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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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kung begleitet war: "se füllen sich nich wedder besupen." Es lebte
eine dunkle Erinnerung in den Männern von Buchholz, daß es des
Krügers Schuldigkeit sei, Bier zu verkaufen , daß es nicht seines
Amtes, eines weisen Munizipalraths Vormund zu sein, daß das Recht
sich zu betrinken, der einzige Ueberrest germanischer Freiheit sei. Daher
die Erbitterung deS Volks gegen die Mäßigkeitsvereine. Das letzte
Bischen Freiheit will sich das Volk durch seine geistlichen und welt¬
lichen Vormünder nicht aus den Handen winden lassen.

In der Errleben'schen Gerichtsordnung von 1603 wird es als
eine "sonderliche und böse Gewohnheit" gerügt, "daß die Ackerleute
auf den Sonnabend nach Gardelegen fahren und also den Feiertag
entheiligen. Wofern sich einer solches ferner unterstehen, soll er in
eine Strafe von fünf Thaler verfallen sein." Gardelegen scheint
wegen seines Garleiö ein verführerischer Ort für trinklustige und
durstige Bauern gewesen zu sein. Zugleich wird verordnet, da die
Krüger zeither "den Leuten, so viel Bier sie immer begehret" geborgt,
soll ihnen solches ernstlich verboten sein. "Welcher nun hinfort einem
Ackermann über zwei Thaler, einem Kossäten über ein Thaler und
einem Hänfling über einen halben Thaler an Bier borgen wird,
soll nirgends zu verhelfen, sondern noch dazu um ein Faß Bier ge¬
straft werden." -- Nach der Kläden'schen Dorfordnung von 1619
soll der Schulze darauf halten, daß die Bauern in der Fastnacht,
in Pfingsten, Weihnachten und an andern Festtagen, "wenn man
Predigt hält", nicht eher als wenn der Gottesdienst beendigt, Bier
auflegen und anzapfen. Wer dagegen handelt, soll der Obrigkeit ein
Wispel Hafer zur Strafe und der Gemeine eine Tonne Bier geben.
Es ist ein gewisser Humor in diesen' alten Ordnungen. Durstige
Seelen können sich wirklich bewogen gefunden haben, um Gelegen¬
heit und gesetzliche Veranlassung zu haben, eine Tonne mehr zu trin¬
ken, das Bier anzuzapfen "wenn man Predigt hält."

Mit feierlichem Handschlage wird man, tritt man bei dem altmärki¬
schen Bauer ein, von Jedermann mit einem "Willkommen" begrüßt,
"Willkoamen deuten." Wie der Oftfricse trägt auch der Altmärker
gern das Haupt bedeckt. Doch weichen die alten Sitten und Ge¬
bräuche mehr und mehr der modernen Civilisation. Saß man sonst


Grcnjboten ISii. U. 52

kung begleitet war: „se füllen sich nich wedder besupen." Es lebte
eine dunkle Erinnerung in den Männern von Buchholz, daß es des
Krügers Schuldigkeit sei, Bier zu verkaufen , daß es nicht seines
Amtes, eines weisen Munizipalraths Vormund zu sein, daß das Recht
sich zu betrinken, der einzige Ueberrest germanischer Freiheit sei. Daher
die Erbitterung deS Volks gegen die Mäßigkeitsvereine. Das letzte
Bischen Freiheit will sich das Volk durch seine geistlichen und welt¬
lichen Vormünder nicht aus den Handen winden lassen.

In der Errleben'schen Gerichtsordnung von 1603 wird es als
eine „sonderliche und böse Gewohnheit" gerügt, „daß die Ackerleute
auf den Sonnabend nach Gardelegen fahren und also den Feiertag
entheiligen. Wofern sich einer solches ferner unterstehen, soll er in
eine Strafe von fünf Thaler verfallen sein." Gardelegen scheint
wegen seines Garleiö ein verführerischer Ort für trinklustige und
durstige Bauern gewesen zu sein. Zugleich wird verordnet, da die
Krüger zeither „den Leuten, so viel Bier sie immer begehret" geborgt,
soll ihnen solches ernstlich verboten sein. „Welcher nun hinfort einem
Ackermann über zwei Thaler, einem Kossäten über ein Thaler und
einem Hänfling über einen halben Thaler an Bier borgen wird,
soll nirgends zu verhelfen, sondern noch dazu um ein Faß Bier ge¬
straft werden." — Nach der Kläden'schen Dorfordnung von 1619
soll der Schulze darauf halten, daß die Bauern in der Fastnacht,
in Pfingsten, Weihnachten und an andern Festtagen, „wenn man
Predigt hält", nicht eher als wenn der Gottesdienst beendigt, Bier
auflegen und anzapfen. Wer dagegen handelt, soll der Obrigkeit ein
Wispel Hafer zur Strafe und der Gemeine eine Tonne Bier geben.
Es ist ein gewisser Humor in diesen' alten Ordnungen. Durstige
Seelen können sich wirklich bewogen gefunden haben, um Gelegen¬
heit und gesetzliche Veranlassung zu haben, eine Tonne mehr zu trin¬
ken, das Bier anzuzapfen „wenn man Predigt hält."

Mit feierlichem Handschlage wird man, tritt man bei dem altmärki¬
schen Bauer ein, von Jedermann mit einem „Willkommen" begrüßt,
„Willkoamen deuten." Wie der Oftfricse trägt auch der Altmärker
gern das Haupt bedeckt. Doch weichen die alten Sitten und Ge¬
bräuche mehr und mehr der modernen Civilisation. Saß man sonst


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[0413] kung begleitet war: „se füllen sich nich wedder besupen." Es lebte eine dunkle Erinnerung in den Männern von Buchholz, daß es des Krügers Schuldigkeit sei, Bier zu verkaufen , daß es nicht seines Amtes, eines weisen Munizipalraths Vormund zu sein, daß das Recht sich zu betrinken, der einzige Ueberrest germanischer Freiheit sei. Daher die Erbitterung deS Volks gegen die Mäßigkeitsvereine. Das letzte Bischen Freiheit will sich das Volk durch seine geistlichen und welt¬ lichen Vormünder nicht aus den Handen winden lassen. In der Errleben'schen Gerichtsordnung von 1603 wird es als eine „sonderliche und böse Gewohnheit" gerügt, „daß die Ackerleute auf den Sonnabend nach Gardelegen fahren und also den Feiertag entheiligen. Wofern sich einer solches ferner unterstehen, soll er in eine Strafe von fünf Thaler verfallen sein." Gardelegen scheint wegen seines Garleiö ein verführerischer Ort für trinklustige und durstige Bauern gewesen zu sein. Zugleich wird verordnet, da die Krüger zeither „den Leuten, so viel Bier sie immer begehret" geborgt, soll ihnen solches ernstlich verboten sein. „Welcher nun hinfort einem Ackermann über zwei Thaler, einem Kossäten über ein Thaler und einem Hänfling über einen halben Thaler an Bier borgen wird, soll nirgends zu verhelfen, sondern noch dazu um ein Faß Bier ge¬ straft werden." — Nach der Kläden'schen Dorfordnung von 1619 soll der Schulze darauf halten, daß die Bauern in der Fastnacht, in Pfingsten, Weihnachten und an andern Festtagen, „wenn man Predigt hält", nicht eher als wenn der Gottesdienst beendigt, Bier auflegen und anzapfen. Wer dagegen handelt, soll der Obrigkeit ein Wispel Hafer zur Strafe und der Gemeine eine Tonne Bier geben. Es ist ein gewisser Humor in diesen' alten Ordnungen. Durstige Seelen können sich wirklich bewogen gefunden haben, um Gelegen¬ heit und gesetzliche Veranlassung zu haben, eine Tonne mehr zu trin¬ ken, das Bier anzuzapfen „wenn man Predigt hält." Mit feierlichem Handschlage wird man, tritt man bei dem altmärki¬ schen Bauer ein, von Jedermann mit einem „Willkommen" begrüßt, „Willkoamen deuten." Wie der Oftfricse trägt auch der Altmärker gern das Haupt bedeckt. Doch weichen die alten Sitten und Ge¬ bräuche mehr und mehr der modernen Civilisation. Saß man sonst Grcnjboten ISii. U. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/413>, abgerufen am 27.07.2024.