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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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schönsten Glänze. Vor ungefähr vierzig Jahren sprach eine Gemeinde
bei der "Richtkost" des Gemeindehirtenhauses dem Salzwedler Bier,
dem "Soltnmnne", so tapfer und so anhaltend zu, bis das ganze Hir¬
tenhaus in Soltmann verwandelt war. Um die Bierrechnung zu
tilgen, entschloß sich die Gemeine, das neuerbaute Haus einstweilen
zu verkaufen und dann ein anderes "ohne Nichtköst" zu bauen. --
Während der westfälischen Regierung, als schon vollkommene Ge¬
werbefreiheit eingeführt, und die Eröffnung neuer Schenkwirthschaftcn
keines Consenses bedürfte, kam zu Buchholz bei Stendal der der
neuen Gesetzgebung unkundige Dorfschulze (Maire), gestützt auf eine
Beschwerde des Munizipalraths, bei dem Canton-Maire zu Lüderitz
mit dem Gesuch, die Eröffnung eines zweiten Kruges zu gestatten,
ein. Nach altem Herkommen und nach altmärkischer Sitte hatte der
neugegründete Munizipalrath bei stets gefüllten Krügen berathen wol¬
len. Der Munizipalrath sei versammelt gewesen und habe zuletzt bei
lange dauernder Berathung von dem Krüger kein Bier mehr bekom¬
men können, obgleich ihnen, wie sie in der Eingabe sagen, "so zu
Muthe gewesen, als sollten sie noch mehr trinken." Wenn nun der
versammelte Munizipalrath so schlecht von dem einzigen Krüger be¬
dient werde, wie werde es da fremden Reisenden ergehen! Damit
Jedermann seinen Durst stillen könne, sei ein zweiter Krug nothwen¬
dig, um dessen Concession man hiemit bitte. So naiv unserm mo¬
dernen Bewußtsein dieser also begründete Antrag einer Dorfbehörde
im neunzehnten Jahrhundert erscheinen mag, so tief begründet ist er
doch ursprünglich im Volksbewußtsein, im Gesetz, das nur ein Aus¬
druck des erstem sein soll, wenn wir uns jener landgerichtlichen Be¬
stimmung von 1603 erinnern, wonach der Krüger Armen und Rei¬
chen Bier verkaufen soll, wo des KrügerS Weigerung, Nachlässigkeit
oder Uebertheuerung deS Publicums, mit ein Faß Bier bestraft wird.
Jene Landgerichtsordnung war für eine ganz andere Gegend der
Altmark gegeben, sie war längst vergessen und im Archive vergraben.
Der Munizipalrath in Buchholz kannte sie gewiß nicht. Daß aber
jene Bestimmung der Landgerichtsvrdnung der Anschauungsweise der
altmärkischen Bauern entsprach, das sehen wir aus dem Antrage des
Munizipalraths im neunzehnten Jahrhundert, aus seiner Entrüstung
über die Weigerung des Krügers, die mit der impertinenten Beiner-


schönsten Glänze. Vor ungefähr vierzig Jahren sprach eine Gemeinde
bei der „Richtkost" des Gemeindehirtenhauses dem Salzwedler Bier,
dem „Soltnmnne", so tapfer und so anhaltend zu, bis das ganze Hir¬
tenhaus in Soltmann verwandelt war. Um die Bierrechnung zu
tilgen, entschloß sich die Gemeine, das neuerbaute Haus einstweilen
zu verkaufen und dann ein anderes „ohne Nichtköst" zu bauen. —
Während der westfälischen Regierung, als schon vollkommene Ge¬
werbefreiheit eingeführt, und die Eröffnung neuer Schenkwirthschaftcn
keines Consenses bedürfte, kam zu Buchholz bei Stendal der der
neuen Gesetzgebung unkundige Dorfschulze (Maire), gestützt auf eine
Beschwerde des Munizipalraths, bei dem Canton-Maire zu Lüderitz
mit dem Gesuch, die Eröffnung eines zweiten Kruges zu gestatten,
ein. Nach altem Herkommen und nach altmärkischer Sitte hatte der
neugegründete Munizipalrath bei stets gefüllten Krügen berathen wol¬
len. Der Munizipalrath sei versammelt gewesen und habe zuletzt bei
lange dauernder Berathung von dem Krüger kein Bier mehr bekom¬
men können, obgleich ihnen, wie sie in der Eingabe sagen, „so zu
Muthe gewesen, als sollten sie noch mehr trinken." Wenn nun der
versammelte Munizipalrath so schlecht von dem einzigen Krüger be¬
dient werde, wie werde es da fremden Reisenden ergehen! Damit
Jedermann seinen Durst stillen könne, sei ein zweiter Krug nothwen¬
dig, um dessen Concession man hiemit bitte. So naiv unserm mo¬
dernen Bewußtsein dieser also begründete Antrag einer Dorfbehörde
im neunzehnten Jahrhundert erscheinen mag, so tief begründet ist er
doch ursprünglich im Volksbewußtsein, im Gesetz, das nur ein Aus¬
druck des erstem sein soll, wenn wir uns jener landgerichtlichen Be¬
stimmung von 1603 erinnern, wonach der Krüger Armen und Rei¬
chen Bier verkaufen soll, wo des KrügerS Weigerung, Nachlässigkeit
oder Uebertheuerung deS Publicums, mit ein Faß Bier bestraft wird.
Jene Landgerichtsordnung war für eine ganz andere Gegend der
Altmark gegeben, sie war längst vergessen und im Archive vergraben.
Der Munizipalrath in Buchholz kannte sie gewiß nicht. Daß aber
jene Bestimmung der Landgerichtsvrdnung der Anschauungsweise der
altmärkischen Bauern entsprach, das sehen wir aus dem Antrage des
Munizipalraths im neunzehnten Jahrhundert, aus seiner Entrüstung
über die Weigerung des Krügers, die mit der impertinenten Beiner-


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[0412] schönsten Glänze. Vor ungefähr vierzig Jahren sprach eine Gemeinde bei der „Richtkost" des Gemeindehirtenhauses dem Salzwedler Bier, dem „Soltnmnne", so tapfer und so anhaltend zu, bis das ganze Hir¬ tenhaus in Soltmann verwandelt war. Um die Bierrechnung zu tilgen, entschloß sich die Gemeine, das neuerbaute Haus einstweilen zu verkaufen und dann ein anderes „ohne Nichtköst" zu bauen. — Während der westfälischen Regierung, als schon vollkommene Ge¬ werbefreiheit eingeführt, und die Eröffnung neuer Schenkwirthschaftcn keines Consenses bedürfte, kam zu Buchholz bei Stendal der der neuen Gesetzgebung unkundige Dorfschulze (Maire), gestützt auf eine Beschwerde des Munizipalraths, bei dem Canton-Maire zu Lüderitz mit dem Gesuch, die Eröffnung eines zweiten Kruges zu gestatten, ein. Nach altem Herkommen und nach altmärkischer Sitte hatte der neugegründete Munizipalrath bei stets gefüllten Krügen berathen wol¬ len. Der Munizipalrath sei versammelt gewesen und habe zuletzt bei lange dauernder Berathung von dem Krüger kein Bier mehr bekom¬ men können, obgleich ihnen, wie sie in der Eingabe sagen, „so zu Muthe gewesen, als sollten sie noch mehr trinken." Wenn nun der versammelte Munizipalrath so schlecht von dem einzigen Krüger be¬ dient werde, wie werde es da fremden Reisenden ergehen! Damit Jedermann seinen Durst stillen könne, sei ein zweiter Krug nothwen¬ dig, um dessen Concession man hiemit bitte. So naiv unserm mo¬ dernen Bewußtsein dieser also begründete Antrag einer Dorfbehörde im neunzehnten Jahrhundert erscheinen mag, so tief begründet ist er doch ursprünglich im Volksbewußtsein, im Gesetz, das nur ein Aus¬ druck des erstem sein soll, wenn wir uns jener landgerichtlichen Be¬ stimmung von 1603 erinnern, wonach der Krüger Armen und Rei¬ chen Bier verkaufen soll, wo des KrügerS Weigerung, Nachlässigkeit oder Uebertheuerung deS Publicums, mit ein Faß Bier bestraft wird. Jene Landgerichtsordnung war für eine ganz andere Gegend der Altmark gegeben, sie war längst vergessen und im Archive vergraben. Der Munizipalrath in Buchholz kannte sie gewiß nicht. Daß aber jene Bestimmung der Landgerichtsvrdnung der Anschauungsweise der altmärkischen Bauern entsprach, das sehen wir aus dem Antrage des Munizipalraths im neunzehnten Jahrhundert, aus seiner Entrüstung über die Weigerung des Krügers, die mit der impertinenten Beiner-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/412>, abgerufen am 27.07.2024.