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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Haupt in altmärkischen Dorf- und Gerichtsordnungen eine bedeutende
Rolle.

Der Wohlstand der altmärkischen Städte war neben der Tuch-
manufactur besonders auf Bierbrauerei gegründet. Brauhaus reihte
sich an Brauhaus. Die berühmten Biere wurden weithin verfahren.
Aus den Thoren Gardelegens gingen noch im siebzehnten Jahrhun¬
dert an einem Tage oft hundert Wagen, beladen mit dem beliebten
"Garlei." Alte nun längst verwachsne, lange nicht mehr befahrene Wege
in der Lutzlinger Haide, durch ihre tiefen Furchen noch sichtbar, füh¬
ren noch den Namen "Bierwcge". Allgemeine Bestürzung unter Leh¬
rern und Schülern der damals hochberühmten, stark besuchten Julia
Carolina, als die Einfuhr des Garlei in Helmstedt verboten wurde.
Professoren und Studenten waren Verehrer des edeln Gerstensafts.
Der berühmte Polyhistor Hermann Canring besang in einem Lob¬
gedicht die guten Eigenschaften des Garlei, um die Zurücknahme des
Verbotes zu erwirken.

Nicht minder waren die altmärkischen Bauern eifrige Diener des
Gambrinus. Wer als Jungbauer in eine Gemeinde eintrat, mußte
sich mit einer Tonne Bier bei der Gemeinde einkaufen: das war ein
so geheiligtes Recht, daß nach vorhandenen Gerichtsacten aus der
letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts Gemeinden dieses Bier
förmlich einklagte". In vielen Dorf- und Gerichtsordnungen werden
Uebertretungen mit Bier bestraft. Die Dorfordnung von Hämesten
aus dem Jahre 1711 besagt noch, nachdem sie bestimmt: Wenn zur
Zusammenkunft der Gemeinde geläutet wird, soll jeder Nachbar
schuldig sein, ungesäumt sich einzufinden. Derjenige, welcher außen¬
bleibt, soll der Gemeinde mit drei Schilling Strafe verfallen sein;
-- bei Zusammenkünften in der Gemeine, es sei auf der Bauernstätte
oder bei Löhnungen, soll ein jeder sich friedfertig verhalten. Der
Ruhestörer soll "der Gemeinem einem Viertel Bier zur Strafe verfal¬
len sein." ES folgt dann in dieser hochobrigkeitlich approbirten Dorford¬
nung eine ganze Reihe von "Bierstrafen." Wer bei Zäunen und
Hecken das Seinige nicht verfertigt hat, soll der Gemeine in eine
halbe Tonne Bier zur Strafe verfallen sein. Die Setzzeit und Kräpf-
zeit der Weiden auf der Gemeinde-Marsch wird vom Schützen und
von der Gemeine bestimmt. Wer außer der Kavelung hauet, soll


Haupt in altmärkischen Dorf- und Gerichtsordnungen eine bedeutende
Rolle.

Der Wohlstand der altmärkischen Städte war neben der Tuch-
manufactur besonders auf Bierbrauerei gegründet. Brauhaus reihte
sich an Brauhaus. Die berühmten Biere wurden weithin verfahren.
Aus den Thoren Gardelegens gingen noch im siebzehnten Jahrhun¬
dert an einem Tage oft hundert Wagen, beladen mit dem beliebten
„Garlei." Alte nun längst verwachsne, lange nicht mehr befahrene Wege
in der Lutzlinger Haide, durch ihre tiefen Furchen noch sichtbar, füh¬
ren noch den Namen „Bierwcge". Allgemeine Bestürzung unter Leh¬
rern und Schülern der damals hochberühmten, stark besuchten Julia
Carolina, als die Einfuhr des Garlei in Helmstedt verboten wurde.
Professoren und Studenten waren Verehrer des edeln Gerstensafts.
Der berühmte Polyhistor Hermann Canring besang in einem Lob¬
gedicht die guten Eigenschaften des Garlei, um die Zurücknahme des
Verbotes zu erwirken.

Nicht minder waren die altmärkischen Bauern eifrige Diener des
Gambrinus. Wer als Jungbauer in eine Gemeinde eintrat, mußte
sich mit einer Tonne Bier bei der Gemeinde einkaufen: das war ein
so geheiligtes Recht, daß nach vorhandenen Gerichtsacten aus der
letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts Gemeinden dieses Bier
förmlich einklagte». In vielen Dorf- und Gerichtsordnungen werden
Uebertretungen mit Bier bestraft. Die Dorfordnung von Hämesten
aus dem Jahre 1711 besagt noch, nachdem sie bestimmt: Wenn zur
Zusammenkunft der Gemeinde geläutet wird, soll jeder Nachbar
schuldig sein, ungesäumt sich einzufinden. Derjenige, welcher außen¬
bleibt, soll der Gemeinde mit drei Schilling Strafe verfallen sein;
— bei Zusammenkünften in der Gemeine, es sei auf der Bauernstätte
oder bei Löhnungen, soll ein jeder sich friedfertig verhalten. Der
Ruhestörer soll „der Gemeinem einem Viertel Bier zur Strafe verfal¬
len sein." ES folgt dann in dieser hochobrigkeitlich approbirten Dorford¬
nung eine ganze Reihe von „Bierstrafen." Wer bei Zäunen und
Hecken das Seinige nicht verfertigt hat, soll der Gemeine in eine
halbe Tonne Bier zur Strafe verfallen sein. Die Setzzeit und Kräpf-
zeit der Weiden auf der Gemeinde-Marsch wird vom Schützen und
von der Gemeine bestimmt. Wer außer der Kavelung hauet, soll


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[0409] Haupt in altmärkischen Dorf- und Gerichtsordnungen eine bedeutende Rolle. Der Wohlstand der altmärkischen Städte war neben der Tuch- manufactur besonders auf Bierbrauerei gegründet. Brauhaus reihte sich an Brauhaus. Die berühmten Biere wurden weithin verfahren. Aus den Thoren Gardelegens gingen noch im siebzehnten Jahrhun¬ dert an einem Tage oft hundert Wagen, beladen mit dem beliebten „Garlei." Alte nun längst verwachsne, lange nicht mehr befahrene Wege in der Lutzlinger Haide, durch ihre tiefen Furchen noch sichtbar, füh¬ ren noch den Namen „Bierwcge". Allgemeine Bestürzung unter Leh¬ rern und Schülern der damals hochberühmten, stark besuchten Julia Carolina, als die Einfuhr des Garlei in Helmstedt verboten wurde. Professoren und Studenten waren Verehrer des edeln Gerstensafts. Der berühmte Polyhistor Hermann Canring besang in einem Lob¬ gedicht die guten Eigenschaften des Garlei, um die Zurücknahme des Verbotes zu erwirken. Nicht minder waren die altmärkischen Bauern eifrige Diener des Gambrinus. Wer als Jungbauer in eine Gemeinde eintrat, mußte sich mit einer Tonne Bier bei der Gemeinde einkaufen: das war ein so geheiligtes Recht, daß nach vorhandenen Gerichtsacten aus der letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts Gemeinden dieses Bier förmlich einklagte». In vielen Dorf- und Gerichtsordnungen werden Uebertretungen mit Bier bestraft. Die Dorfordnung von Hämesten aus dem Jahre 1711 besagt noch, nachdem sie bestimmt: Wenn zur Zusammenkunft der Gemeinde geläutet wird, soll jeder Nachbar schuldig sein, ungesäumt sich einzufinden. Derjenige, welcher außen¬ bleibt, soll der Gemeinde mit drei Schilling Strafe verfallen sein; — bei Zusammenkünften in der Gemeine, es sei auf der Bauernstätte oder bei Löhnungen, soll ein jeder sich friedfertig verhalten. Der Ruhestörer soll „der Gemeinem einem Viertel Bier zur Strafe verfal¬ len sein." ES folgt dann in dieser hochobrigkeitlich approbirten Dorford¬ nung eine ganze Reihe von „Bierstrafen." Wer bei Zäunen und Hecken das Seinige nicht verfertigt hat, soll der Gemeine in eine halbe Tonne Bier zur Strafe verfallen sein. Die Setzzeit und Kräpf- zeit der Weiden auf der Gemeinde-Marsch wird vom Schützen und von der Gemeine bestimmt. Wer außer der Kavelung hauet, soll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/409>, abgerufen am 28.07.2024.