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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ruhig und sicher schlafen. Auch der Däne Oehlenschlägcr, welcher
auf seine alten Tage Jnspections- und Triumphreisen durch Deutsch¬
land anstellt, ist hier wie anderwärts beschmaus't worden. Wie We¬
nige unter denen, die im deutschen Norden und Süden sich huldigend
an ihn gedrängt, mögen den Mann gerecht zu würdigen wissen, oder
die dazu nöthige Lectüre und Kenntniß seiner Dichtungen besitzen!
Aus Wien berichtet ein solcher Oehlenschlägerverehrer über die unge¬
heuere Wirkung, welche sein letztes Trauerspiel auf einen Auhörerkreis
gemacht; diese wahrscheinlich höchst reife Frucht aus Oehlenschläger'ö
höherem Alter wurde von dem Wiener Correspondenten geradezu das
vorzüglichste unter seinen Trauerspielen genannt; hier in München will
man dagegen bemerkt haben, daß die Vorlesung dieser Dichtung nicht
gerade zur Belebung und Erweckung der Lebensgeister beigetragen habe.
Dieses Herumreisen unserer Dichter auf Vorlesung ihrer Stücke scheint
Mode zu werden; auch Gutzkow hat hier in einer Gesellschaft einige
Acte aus seinem "Pugatschess" vorgelesen. Natürlich findet man schon
der Höflichkeit wegen Anerkennung vollauf, zieht einflußreiche Perso¬
nen in sein Interesse und bahnt sich somit den Weg zur Bühne.
Auch die Speculationsreisen auf Hervorruf nehmen immer mehr über¬
Hand, und schwerlich sind Göthe und Schiller zusammen so oft her¬
vorgerufen worden, als in unseren Tagen der eine Gutzkow. Wollt
Ihr Lessing's Worte hören? Er sagt: Von Voltaire bis zu Mar-
montel und von Marmontel bis tief herab zu Cordier haben fast alle
an diesem Pranger gestanden. Wie manches Armesündergesicht mag
darunter gewesen sein! Ich wollte lieber durch mein Beispiel 'einen
solchen Uebelstand abgeschafft, als durch zehn Meropcn ihn veranlaßt
haben.

Aus den Zeitungen wird Ihnen bekannt sein, daß wir hier ein
für München sehr bedeutungsvolles Fest zu Ehren Herder's begangen
haben. Die vielen bei dieser Feier ausgebrachten würdigen Toaste
beweisen, daß es wahrlich in München an Männern nicht fehlt, wel¬
che dem durch Herder in einfachen Linien vorgezeichneten Geist des
humanen Fortschritts mit Ernst und Eifer zu huldigen wissen. Auch
wurde bei dieser Feier reines Deutsch, nicht wie bei dem Teneranifest
Italienisch gesprochen. Ein interessanter Zufall wollte, daß die hier
gerade anwesenden modernen Schriftsteller Gutzkow und Dingelstedt
an dem Feste Theil nahmen. Gutzkow sprach einige sehr treffliche
Worte und hob es, auf einen, vorher von dem chinesischen Literatur¬
kenner Houmann ausgebrachten Toast anspielend mit Nachdruck her¬
vor, daß er, ohne "Hofrath" zu sein -- wobei er einen merkwürdigen
Seitenblick auf Dingelstedt warf -- zu denen gehöre, die rein von
ihrer Feder leben. Gutzkow, an dem ich sonst mancherlei auszusetzen
hätte, meint es, so viel ich glaube, in dieser Hinsicht ehrlich. <O>e
Feder ist sein Stolz, die unbetitelte Schriftstellerei seine Ehre; alle


ruhig und sicher schlafen. Auch der Däne Oehlenschlägcr, welcher
auf seine alten Tage Jnspections- und Triumphreisen durch Deutsch¬
land anstellt, ist hier wie anderwärts beschmaus't worden. Wie We¬
nige unter denen, die im deutschen Norden und Süden sich huldigend
an ihn gedrängt, mögen den Mann gerecht zu würdigen wissen, oder
die dazu nöthige Lectüre und Kenntniß seiner Dichtungen besitzen!
Aus Wien berichtet ein solcher Oehlenschlägerverehrer über die unge¬
heuere Wirkung, welche sein letztes Trauerspiel auf einen Auhörerkreis
gemacht; diese wahrscheinlich höchst reife Frucht aus Oehlenschläger'ö
höherem Alter wurde von dem Wiener Correspondenten geradezu das
vorzüglichste unter seinen Trauerspielen genannt; hier in München will
man dagegen bemerkt haben, daß die Vorlesung dieser Dichtung nicht
gerade zur Belebung und Erweckung der Lebensgeister beigetragen habe.
Dieses Herumreisen unserer Dichter auf Vorlesung ihrer Stücke scheint
Mode zu werden; auch Gutzkow hat hier in einer Gesellschaft einige
Acte aus seinem „Pugatschess" vorgelesen. Natürlich findet man schon
der Höflichkeit wegen Anerkennung vollauf, zieht einflußreiche Perso¬
nen in sein Interesse und bahnt sich somit den Weg zur Bühne.
Auch die Speculationsreisen auf Hervorruf nehmen immer mehr über¬
Hand, und schwerlich sind Göthe und Schiller zusammen so oft her¬
vorgerufen worden, als in unseren Tagen der eine Gutzkow. Wollt
Ihr Lessing's Worte hören? Er sagt: Von Voltaire bis zu Mar-
montel und von Marmontel bis tief herab zu Cordier haben fast alle
an diesem Pranger gestanden. Wie manches Armesündergesicht mag
darunter gewesen sein! Ich wollte lieber durch mein Beispiel 'einen
solchen Uebelstand abgeschafft, als durch zehn Meropcn ihn veranlaßt
haben.

Aus den Zeitungen wird Ihnen bekannt sein, daß wir hier ein
für München sehr bedeutungsvolles Fest zu Ehren Herder's begangen
haben. Die vielen bei dieser Feier ausgebrachten würdigen Toaste
beweisen, daß es wahrlich in München an Männern nicht fehlt, wel¬
che dem durch Herder in einfachen Linien vorgezeichneten Geist des
humanen Fortschritts mit Ernst und Eifer zu huldigen wissen. Auch
wurde bei dieser Feier reines Deutsch, nicht wie bei dem Teneranifest
Italienisch gesprochen. Ein interessanter Zufall wollte, daß die hier
gerade anwesenden modernen Schriftsteller Gutzkow und Dingelstedt
an dem Feste Theil nahmen. Gutzkow sprach einige sehr treffliche
Worte und hob es, auf einen, vorher von dem chinesischen Literatur¬
kenner Houmann ausgebrachten Toast anspielend mit Nachdruck her¬
vor, daß er, ohne „Hofrath" zu sein — wobei er einen merkwürdigen
Seitenblick auf Dingelstedt warf — zu denen gehöre, die rein von
ihrer Feder leben. Gutzkow, an dem ich sonst mancherlei auszusetzen
hätte, meint es, so viel ich glaube, in dieser Hinsicht ehrlich. <O>e
Feder ist sein Stolz, die unbetitelte Schriftstellerei seine Ehre; alle


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[0040] ruhig und sicher schlafen. Auch der Däne Oehlenschlägcr, welcher auf seine alten Tage Jnspections- und Triumphreisen durch Deutsch¬ land anstellt, ist hier wie anderwärts beschmaus't worden. Wie We¬ nige unter denen, die im deutschen Norden und Süden sich huldigend an ihn gedrängt, mögen den Mann gerecht zu würdigen wissen, oder die dazu nöthige Lectüre und Kenntniß seiner Dichtungen besitzen! Aus Wien berichtet ein solcher Oehlenschlägerverehrer über die unge¬ heuere Wirkung, welche sein letztes Trauerspiel auf einen Auhörerkreis gemacht; diese wahrscheinlich höchst reife Frucht aus Oehlenschläger'ö höherem Alter wurde von dem Wiener Correspondenten geradezu das vorzüglichste unter seinen Trauerspielen genannt; hier in München will man dagegen bemerkt haben, daß die Vorlesung dieser Dichtung nicht gerade zur Belebung und Erweckung der Lebensgeister beigetragen habe. Dieses Herumreisen unserer Dichter auf Vorlesung ihrer Stücke scheint Mode zu werden; auch Gutzkow hat hier in einer Gesellschaft einige Acte aus seinem „Pugatschess" vorgelesen. Natürlich findet man schon der Höflichkeit wegen Anerkennung vollauf, zieht einflußreiche Perso¬ nen in sein Interesse und bahnt sich somit den Weg zur Bühne. Auch die Speculationsreisen auf Hervorruf nehmen immer mehr über¬ Hand, und schwerlich sind Göthe und Schiller zusammen so oft her¬ vorgerufen worden, als in unseren Tagen der eine Gutzkow. Wollt Ihr Lessing's Worte hören? Er sagt: Von Voltaire bis zu Mar- montel und von Marmontel bis tief herab zu Cordier haben fast alle an diesem Pranger gestanden. Wie manches Armesündergesicht mag darunter gewesen sein! Ich wollte lieber durch mein Beispiel 'einen solchen Uebelstand abgeschafft, als durch zehn Meropcn ihn veranlaßt haben. Aus den Zeitungen wird Ihnen bekannt sein, daß wir hier ein für München sehr bedeutungsvolles Fest zu Ehren Herder's begangen haben. Die vielen bei dieser Feier ausgebrachten würdigen Toaste beweisen, daß es wahrlich in München an Männern nicht fehlt, wel¬ che dem durch Herder in einfachen Linien vorgezeichneten Geist des humanen Fortschritts mit Ernst und Eifer zu huldigen wissen. Auch wurde bei dieser Feier reines Deutsch, nicht wie bei dem Teneranifest Italienisch gesprochen. Ein interessanter Zufall wollte, daß die hier gerade anwesenden modernen Schriftsteller Gutzkow und Dingelstedt an dem Feste Theil nahmen. Gutzkow sprach einige sehr treffliche Worte und hob es, auf einen, vorher von dem chinesischen Literatur¬ kenner Houmann ausgebrachten Toast anspielend mit Nachdruck her¬ vor, daß er, ohne „Hofrath" zu sein — wobei er einen merkwürdigen Seitenblick auf Dingelstedt warf — zu denen gehöre, die rein von ihrer Feder leben. Gutzkow, an dem ich sonst mancherlei auszusetzen hätte, meint es, so viel ich glaube, in dieser Hinsicht ehrlich. <O>e Feder ist sein Stolz, die unbetitelte Schriftstellerei seine Ehre; alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/40>, abgerufen am 01.09.2024.