Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
N <! es wo r t.

Eine Rede kann nur Hauptumrisse geben. Sie erfüllt ihre Be¬
stimmung, wenn sie einen augenblicklichen Eindruck hervorbringt und
zu weiterem Nachdenken erweckt. Die systematische Entwickelung, die
ihren Stoff erschöpft und alle Zweifel los't, gehört auf's Katheder,
in's Buch, aber nicht auf eine Tribüne, von welcher der Redner dich-,
de Reihen schon geputzter Damen, mit einem schwarzen Saume von
Männern erblickt. Dieser hat die schlichten Worte der gemeinen Un¬
terhaltung zu suchen, auch wenn er sich den Nortrag philosophischer
Gedanken zur Aufgabe stellte. Eigentlich müßte man, das weiß ich
recht gut, ästhetifirenden Zuhörern von Butterbrod, kaltem Braten und
Kindermacherei ("i'-ni-i" ,?t. <!it<-<!us<zö") sprechen, wofern man sie zu
fesseln beabsichtigt: bei meinem Publicum aber habe ich die ernste
Stimmung einer Feier vorausgesetzt und bedacht, daß der Redner,
welchem unsern Schiller zu verherrlichen obliegt, sprechen müsse, als
glaube er, daß sein Ton an das Ohr des großen Mannes anschlüge.
Den überflüssigen Schmuck der Einkleidung -- eine Rede soll Kno¬
chen und Muskeln und Nerven, aber keine Fleischfülle haben -- wolle
der Kenner nachsichtig überblicken; einige hundert Damen (und be¬
sonders die, por denen der Unterzeichnete die Ehre hatte, zu sprechen)
verdienen es gewiß, daß ihnen einige Blumen entgegengestreut werden.

Der Inhalt dieser Rede dürfte leicht Widerspruch erfahren. Darum
sei in voraus erinnert, daß wohl auch einer anderen Darstellung,
als der hier versuchten, Stellen aus Schiller'S Werken entgegenge¬
halten werden könnten. Durch Vergleichung der -von einander ab¬
weichenden Aeußerungen, durch Betrachtung des besonderen Verhält¬
nisses, unter welchem daS Nichtzusammenstimmende entstand, durch
Aufsuchung von Parallelstellen und endlich durch genaue Zergliede¬
rung der gelungensten Gedichte, wie des Ideals und des Lebens,
wollte ich dasjenige herausfinden, was als der Kern angesehen wer¬
den muß. Das Gedicht "der Abend" verfaßte Schiller im Jahre
.1770 und am "Demetrius" arbeitete er 1805. Dazwischen liegen
viele Jahre viele ungleiche Stimmungen. Was mir schwankend schien,
überging ich lieber ganz. Nach vereinzelten gangbaren Versen wolle
der geneigte Leser diese Darstellung nicht prüfen, denn der Zusa.n-


N <! es wo r t.

Eine Rede kann nur Hauptumrisse geben. Sie erfüllt ihre Be¬
stimmung, wenn sie einen augenblicklichen Eindruck hervorbringt und
zu weiterem Nachdenken erweckt. Die systematische Entwickelung, die
ihren Stoff erschöpft und alle Zweifel los't, gehört auf's Katheder,
in's Buch, aber nicht auf eine Tribüne, von welcher der Redner dich-,
de Reihen schon geputzter Damen, mit einem schwarzen Saume von
Männern erblickt. Dieser hat die schlichten Worte der gemeinen Un¬
terhaltung zu suchen, auch wenn er sich den Nortrag philosophischer
Gedanken zur Aufgabe stellte. Eigentlich müßte man, das weiß ich
recht gut, ästhetifirenden Zuhörern von Butterbrod, kaltem Braten und
Kindermacherei („i'-ni-i» ,?t. <!it<-<!us<zö") sprechen, wofern man sie zu
fesseln beabsichtigt: bei meinem Publicum aber habe ich die ernste
Stimmung einer Feier vorausgesetzt und bedacht, daß der Redner,
welchem unsern Schiller zu verherrlichen obliegt, sprechen müsse, als
glaube er, daß sein Ton an das Ohr des großen Mannes anschlüge.
Den überflüssigen Schmuck der Einkleidung — eine Rede soll Kno¬
chen und Muskeln und Nerven, aber keine Fleischfülle haben — wolle
der Kenner nachsichtig überblicken; einige hundert Damen (und be¬
sonders die, por denen der Unterzeichnete die Ehre hatte, zu sprechen)
verdienen es gewiß, daß ihnen einige Blumen entgegengestreut werden.

Der Inhalt dieser Rede dürfte leicht Widerspruch erfahren. Darum
sei in voraus erinnert, daß wohl auch einer anderen Darstellung,
als der hier versuchten, Stellen aus Schiller'S Werken entgegenge¬
halten werden könnten. Durch Vergleichung der -von einander ab¬
weichenden Aeußerungen, durch Betrachtung des besonderen Verhält¬
nisses, unter welchem daS Nichtzusammenstimmende entstand, durch
Aufsuchung von Parallelstellen und endlich durch genaue Zergliede¬
rung der gelungensten Gedichte, wie des Ideals und des Lebens,
wollte ich dasjenige herausfinden, was als der Kern angesehen wer¬
den muß. Das Gedicht „der Abend" verfaßte Schiller im Jahre
.1770 und am „Demetrius" arbeitete er 1805. Dazwischen liegen
viele Jahre viele ungleiche Stimmungen. Was mir schwankend schien,
überging ich lieber ganz. Nach vereinzelten gangbaren Versen wolle
der geneigte Leser diese Darstellung nicht prüfen, denn der Zusa.n-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181579"/>
          <div n="2">
            <head> N &lt;! es wo r t.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1109"> Eine Rede kann nur Hauptumrisse geben. Sie erfüllt ihre Be¬<lb/>
stimmung, wenn sie einen augenblicklichen Eindruck hervorbringt und<lb/>
zu weiterem Nachdenken erweckt. Die systematische Entwickelung, die<lb/>
ihren Stoff erschöpft und alle Zweifel los't, gehört auf's Katheder,<lb/>
in's Buch, aber nicht auf eine Tribüne, von welcher der Redner dich-,<lb/>
de Reihen schon geputzter Damen, mit einem schwarzen Saume von<lb/>
Männern erblickt. Dieser hat die schlichten Worte der gemeinen Un¬<lb/>
terhaltung zu suchen, auch wenn er sich den Nortrag philosophischer<lb/>
Gedanken zur Aufgabe stellte. Eigentlich müßte man, das weiß ich<lb/>
recht gut, ästhetifirenden Zuhörern von Butterbrod, kaltem Braten und<lb/>
Kindermacherei (&#x201E;i'-ni-i» ,?t. &lt;!it&lt;-&lt;!us&lt;zö") sprechen, wofern man sie zu<lb/>
fesseln beabsichtigt: bei meinem Publicum aber habe ich die ernste<lb/>
Stimmung einer Feier vorausgesetzt und bedacht, daß der Redner,<lb/>
welchem unsern Schiller zu verherrlichen obliegt, sprechen müsse, als<lb/>
glaube er, daß sein Ton an das Ohr des großen Mannes anschlüge.<lb/>
Den überflüssigen Schmuck der Einkleidung &#x2014; eine Rede soll Kno¬<lb/>
chen und Muskeln und Nerven, aber keine Fleischfülle haben &#x2014; wolle<lb/>
der Kenner nachsichtig überblicken; einige hundert Damen (und be¬<lb/>
sonders die, por denen der Unterzeichnete die Ehre hatte, zu sprechen)<lb/>
verdienen es gewiß, daß ihnen einige Blumen entgegengestreut werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1110" next="#ID_1111"> Der Inhalt dieser Rede dürfte leicht Widerspruch erfahren. Darum<lb/>
sei in voraus erinnert, daß wohl auch einer anderen Darstellung,<lb/>
als der hier versuchten, Stellen aus Schiller'S Werken entgegenge¬<lb/>
halten werden könnten. Durch Vergleichung der -von einander ab¬<lb/>
weichenden Aeußerungen, durch Betrachtung des besonderen Verhält¬<lb/>
nisses, unter welchem daS Nichtzusammenstimmende entstand, durch<lb/>
Aufsuchung von Parallelstellen und endlich durch genaue Zergliede¬<lb/>
rung der gelungensten Gedichte, wie des Ideals und des Lebens,<lb/>
wollte ich dasjenige herausfinden, was als der Kern angesehen wer¬<lb/>
den muß. Das Gedicht &#x201E;der Abend" verfaßte Schiller im Jahre<lb/>
.1770 und am &#x201E;Demetrius" arbeitete er 1805. Dazwischen liegen<lb/>
viele Jahre viele ungleiche Stimmungen. Was mir schwankend schien,<lb/>
überging ich lieber ganz. Nach vereinzelten gangbaren Versen wolle<lb/>
der geneigte Leser diese Darstellung nicht prüfen, denn der Zusa.n-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0395] N <! es wo r t. Eine Rede kann nur Hauptumrisse geben. Sie erfüllt ihre Be¬ stimmung, wenn sie einen augenblicklichen Eindruck hervorbringt und zu weiterem Nachdenken erweckt. Die systematische Entwickelung, die ihren Stoff erschöpft und alle Zweifel los't, gehört auf's Katheder, in's Buch, aber nicht auf eine Tribüne, von welcher der Redner dich-, de Reihen schon geputzter Damen, mit einem schwarzen Saume von Männern erblickt. Dieser hat die schlichten Worte der gemeinen Un¬ terhaltung zu suchen, auch wenn er sich den Nortrag philosophischer Gedanken zur Aufgabe stellte. Eigentlich müßte man, das weiß ich recht gut, ästhetifirenden Zuhörern von Butterbrod, kaltem Braten und Kindermacherei („i'-ni-i» ,?t. <!it<-<!us<zö") sprechen, wofern man sie zu fesseln beabsichtigt: bei meinem Publicum aber habe ich die ernste Stimmung einer Feier vorausgesetzt und bedacht, daß der Redner, welchem unsern Schiller zu verherrlichen obliegt, sprechen müsse, als glaube er, daß sein Ton an das Ohr des großen Mannes anschlüge. Den überflüssigen Schmuck der Einkleidung — eine Rede soll Kno¬ chen und Muskeln und Nerven, aber keine Fleischfülle haben — wolle der Kenner nachsichtig überblicken; einige hundert Damen (und be¬ sonders die, por denen der Unterzeichnete die Ehre hatte, zu sprechen) verdienen es gewiß, daß ihnen einige Blumen entgegengestreut werden. Der Inhalt dieser Rede dürfte leicht Widerspruch erfahren. Darum sei in voraus erinnert, daß wohl auch einer anderen Darstellung, als der hier versuchten, Stellen aus Schiller'S Werken entgegenge¬ halten werden könnten. Durch Vergleichung der -von einander ab¬ weichenden Aeußerungen, durch Betrachtung des besonderen Verhält¬ nisses, unter welchem daS Nichtzusammenstimmende entstand, durch Aufsuchung von Parallelstellen und endlich durch genaue Zergliede¬ rung der gelungensten Gedichte, wie des Ideals und des Lebens, wollte ich dasjenige herausfinden, was als der Kern angesehen wer¬ den muß. Das Gedicht „der Abend" verfaßte Schiller im Jahre .1770 und am „Demetrius" arbeitete er 1805. Dazwischen liegen viele Jahre viele ungleiche Stimmungen. Was mir schwankend schien, überging ich lieber ganz. Nach vereinzelten gangbaren Versen wolle der geneigte Leser diese Darstellung nicht prüfen, denn der Zusa.n-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/395
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/395>, abgerufen am 27.07.2024.