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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Stufe und führt die Verklärung des inneren Wesens leicht über die
wandelbaren Freuden des Genusses hinweg. Er schlichtete den Streit,
als er dein Menschen gebot, dem Ganzen als dienendes Glied sich
anzuschließen und im Ganzen nur sich zu fühlen. Er zeigt nicht in
der Liebe allein, sondern auch in der Treue und in der Pflicht wal¬
tende Naturgebote, heilige Triebe des harmlosen Menschen. Und ist
ihm die Erscheinung auch nichtig, so ist ihm die Stimme der
Natur doch göttlich. Und hier staunen wir über die Tiefe seiner
Anschauung, in der er die realistische Betrachtung mit seinem reinen
Idealismus in Einklang auflöst.

Und wie Schiller in seinen einzelnen Gestalten stets Träger
einer Gesammtheit hinstellt, so ist er selbst der schöne Ausdruck
einer schonen und großen Gesammtheit, der des deutschen Volkes.
Tiefsinn, Milde, warmes Gefühl und geistiger Aufschwung zeigen sich
in diesem einzeln und vorübergehend, aber in Schiller's Charakter, in
Schiller's Schriften erscheinen all diese Vorzüge in entzückenden Ver¬
bände. Darum ist er der deutsche Dichter, darum leben seine
Werke so tief im Volke, das den eigenen Adel in ihnen rein und
vollendet wiederfindet. Erhaben steht er da und an seiner
Größe ranken sich Andere empor, von Geschlecht zu Ge¬
schlecht. An seinen Gedanken, daß im menschlichen Geiste die Gott¬
heit ruhe, lehnte sich die neueste Philosophie, reihten sich die Dichter
der Emancipation. Tausende vor ihm empfanden das Hohe, das er
in unvergänglichen Gebilden ausprägte, Taufende mit ihm empfan¬
den eS, Tausende nach ihm werden es empfinden: er aber erfaßte es
klar und machte es selbst dem Sinne des Knaben anschaulich. Nun
ist es als ein theures Gemeingut im Umlauf, das mit unserm
bessern Selbst verwächst und groß wird. Des Dichters Leben
ist in das unsrige übergegangen. Und so ist es denn wahr,
was er, gewiß im Gefühle der eigenen Größe, sagte:


Millionen beschäftigen sich, daß die Gattung bestehe,

Aber durch Wenige nur pflanzet die Menschheit sich fort.

Tausend Keime zerstreuet der Herbst, doch bringet kaum einer

Früchte, zum Element kehren die Meisten zurück,

Aber entfaltet sich auch nur Einer, Einer allein streut

Eine unendliche Welt ewiger Bildungen aus.




Stufe und führt die Verklärung des inneren Wesens leicht über die
wandelbaren Freuden des Genusses hinweg. Er schlichtete den Streit,
als er dein Menschen gebot, dem Ganzen als dienendes Glied sich
anzuschließen und im Ganzen nur sich zu fühlen. Er zeigt nicht in
der Liebe allein, sondern auch in der Treue und in der Pflicht wal¬
tende Naturgebote, heilige Triebe des harmlosen Menschen. Und ist
ihm die Erscheinung auch nichtig, so ist ihm die Stimme der
Natur doch göttlich. Und hier staunen wir über die Tiefe seiner
Anschauung, in der er die realistische Betrachtung mit seinem reinen
Idealismus in Einklang auflöst.

Und wie Schiller in seinen einzelnen Gestalten stets Träger
einer Gesammtheit hinstellt, so ist er selbst der schöne Ausdruck
einer schonen und großen Gesammtheit, der des deutschen Volkes.
Tiefsinn, Milde, warmes Gefühl und geistiger Aufschwung zeigen sich
in diesem einzeln und vorübergehend, aber in Schiller's Charakter, in
Schiller's Schriften erscheinen all diese Vorzüge in entzückenden Ver¬
bände. Darum ist er der deutsche Dichter, darum leben seine
Werke so tief im Volke, das den eigenen Adel in ihnen rein und
vollendet wiederfindet. Erhaben steht er da und an seiner
Größe ranken sich Andere empor, von Geschlecht zu Ge¬
schlecht. An seinen Gedanken, daß im menschlichen Geiste die Gott¬
heit ruhe, lehnte sich die neueste Philosophie, reihten sich die Dichter
der Emancipation. Tausende vor ihm empfanden das Hohe, das er
in unvergänglichen Gebilden ausprägte, Taufende mit ihm empfan¬
den eS, Tausende nach ihm werden es empfinden: er aber erfaßte es
klar und machte es selbst dem Sinne des Knaben anschaulich. Nun
ist es als ein theures Gemeingut im Umlauf, das mit unserm
bessern Selbst verwächst und groß wird. Des Dichters Leben
ist in das unsrige übergegangen. Und so ist es denn wahr,
was er, gewiß im Gefühle der eigenen Größe, sagte:


Millionen beschäftigen sich, daß die Gattung bestehe,

Aber durch Wenige nur pflanzet die Menschheit sich fort.

Tausend Keime zerstreuet der Herbst, doch bringet kaum einer

Früchte, zum Element kehren die Meisten zurück,

Aber entfaltet sich auch nur Einer, Einer allein streut

Eine unendliche Welt ewiger Bildungen aus.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/394>, abgerufen am 01.09.2024.