Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Du wähnst, von außen die himmlische Gottheit zu vernehmen."
Keine Weihe offenbart sie.

Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,
Es ist dennoch, das Schöne und Wahre,
Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor,
Es ist in Dir, Du bringst es selber hervor.

Der Einfalt des kindlich reinen Gemüths ist die innere Stimme
verständlich: auch der sinnende Weise, der in dem stilleren Selbst den
schaffenden Geist behorcht, vernimmt sie noch, und wie sein Genius
verspricht: was die hoffende Seele verheißt, hält gewiß die Natur.
Doch nicht auf den Wogen des rauschenden Wassers, sondern auf
der stillen Fläche des kleinen Baches schwimmt klar und ungetrübt
das Himmelsgewölbe. Gegenüber dem harten Sinn, der ungestümen
Kraft, der zermalmenden Gewalt des Mannes preist daher der Dich¬
ter mit hohem Lobe die Frauen, die treuen Töchter der frommen
Natur, die wachsam das ewige Feuer schöner Gefühle nähren. Und
nun verstehen wir jene so oft falsch gedeuteten Worte, die er "am
Antritt des neuen Jahrhunderts" sprach:

In des Herzens heilig stille Räume
Mußt Du fliehen aus des Lebens Drang.
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,
Und das Schöne blüht nur im Gesang.

Ja, nur so viel erreicht der Mensch, als er ihm liegt. Seine
Vollendung ist nur eine Selbstentfaltung. Die Kunst leitet
ihn sanft hin zur Wahrheit, noch ehe der alternde Verstand die Pforten
der Erkenntniß öffnet. Der Sänger, der ahndend das Ewige em¬
pfindet, beherrscht das bewegte Herz, taucht es in Schrecken und hebt
es himmelwärts, und wo er weilt, darf nichts Gemeines nahen. Und
>wo der Genius bildend auf dein Lichtpfade der Schönheit einher¬
schreitet, rauscht es von Leben und Lust.

Aus dieser durchgebildeten Lebensansicht sproßen zwei unvergäng¬
liche Blumen hervor. Die eine ist die Zuversicht, daß der eignen
Neigung und Liebe die Tugendübung entstamme, die andere
heißt Freiheit. Fridolin ist vor dem Feuertode bewahrt geblieben,
weil er in Andacht sich so lange verweilte, bis sein tückischer Feind
in's Verderben gestürzt war: aber nicht, weil es ihm die Herrin
befahl, betrat er die Kirche, sondern weil ihn, ausdrücklich bemerkt


Du wähnst, von außen die himmlische Gottheit zu vernehmen."
Keine Weihe offenbart sie.

Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,
Es ist dennoch, das Schöne und Wahre,
Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor,
Es ist in Dir, Du bringst es selber hervor.

Der Einfalt des kindlich reinen Gemüths ist die innere Stimme
verständlich: auch der sinnende Weise, der in dem stilleren Selbst den
schaffenden Geist behorcht, vernimmt sie noch, und wie sein Genius
verspricht: was die hoffende Seele verheißt, hält gewiß die Natur.
Doch nicht auf den Wogen des rauschenden Wassers, sondern auf
der stillen Fläche des kleinen Baches schwimmt klar und ungetrübt
das Himmelsgewölbe. Gegenüber dem harten Sinn, der ungestümen
Kraft, der zermalmenden Gewalt des Mannes preist daher der Dich¬
ter mit hohem Lobe die Frauen, die treuen Töchter der frommen
Natur, die wachsam das ewige Feuer schöner Gefühle nähren. Und
nun verstehen wir jene so oft falsch gedeuteten Worte, die er „am
Antritt des neuen Jahrhunderts" sprach:

In des Herzens heilig stille Räume
Mußt Du fliehen aus des Lebens Drang.
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,
Und das Schöne blüht nur im Gesang.

Ja, nur so viel erreicht der Mensch, als er ihm liegt. Seine
Vollendung ist nur eine Selbstentfaltung. Die Kunst leitet
ihn sanft hin zur Wahrheit, noch ehe der alternde Verstand die Pforten
der Erkenntniß öffnet. Der Sänger, der ahndend das Ewige em¬
pfindet, beherrscht das bewegte Herz, taucht es in Schrecken und hebt
es himmelwärts, und wo er weilt, darf nichts Gemeines nahen. Und
>wo der Genius bildend auf dein Lichtpfade der Schönheit einher¬
schreitet, rauscht es von Leben und Lust.

Aus dieser durchgebildeten Lebensansicht sproßen zwei unvergäng¬
liche Blumen hervor. Die eine ist die Zuversicht, daß der eignen
Neigung und Liebe die Tugendübung entstamme, die andere
heißt Freiheit. Fridolin ist vor dem Feuertode bewahrt geblieben,
weil er in Andacht sich so lange verweilte, bis sein tückischer Feind
in's Verderben gestürzt war: aber nicht, weil es ihm die Herrin
befahl, betrat er die Kirche, sondern weil ihn, ausdrücklich bemerkt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181576"/>
          <p xml:id="ID_1093" prev="#ID_1092"> Du wähnst, von außen die himmlische Gottheit zu vernehmen."<lb/>
Keine Weihe offenbart sie.</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_21" type="poem">
            <l> Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,<lb/>
Es ist dennoch, das Schöne und Wahre,<lb/>
Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor,<lb/>
Es ist in Dir, Du bringst es selber hervor.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1094"> Der Einfalt des kindlich reinen Gemüths ist die innere Stimme<lb/>
verständlich: auch der sinnende Weise, der in dem stilleren Selbst den<lb/>
schaffenden Geist behorcht, vernimmt sie noch, und wie sein Genius<lb/>
verspricht: was die hoffende Seele verheißt, hält gewiß die Natur.<lb/>
Doch nicht auf den Wogen des rauschenden Wassers, sondern auf<lb/>
der stillen Fläche des kleinen Baches schwimmt klar und ungetrübt<lb/>
das Himmelsgewölbe. Gegenüber dem harten Sinn, der ungestümen<lb/>
Kraft, der zermalmenden Gewalt des Mannes preist daher der Dich¬<lb/>
ter mit hohem Lobe die Frauen, die treuen Töchter der frommen<lb/>
Natur, die wachsam das ewige Feuer schöner Gefühle nähren. Und<lb/>
nun verstehen wir jene so oft falsch gedeuteten Worte, die er &#x201E;am<lb/>
Antritt des neuen Jahrhunderts" sprach:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_22" type="poem">
            <l> In des Herzens heilig stille Räume<lb/>
Mußt Du fliehen aus des Lebens Drang.<lb/>
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,<lb/>
Und das Schöne blüht nur im Gesang.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1095"> Ja, nur so viel erreicht der Mensch, als er ihm liegt. Seine<lb/>
Vollendung ist nur eine Selbstentfaltung. Die Kunst leitet<lb/>
ihn sanft hin zur Wahrheit, noch ehe der alternde Verstand die Pforten<lb/>
der Erkenntniß öffnet. Der Sänger, der ahndend das Ewige em¬<lb/>
pfindet, beherrscht das bewegte Herz, taucht es in Schrecken und hebt<lb/>
es himmelwärts, und wo er weilt, darf nichts Gemeines nahen. Und<lb/>
&gt;wo der Genius bildend auf dein Lichtpfade der Schönheit einher¬<lb/>
schreitet, rauscht es von Leben und Lust.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1096" next="#ID_1097"> Aus dieser durchgebildeten Lebensansicht sproßen zwei unvergäng¬<lb/>
liche Blumen hervor. Die eine ist die Zuversicht, daß der eignen<lb/>
Neigung und Liebe die Tugendübung entstamme, die andere<lb/>
heißt Freiheit. Fridolin ist vor dem Feuertode bewahrt geblieben,<lb/>
weil er in Andacht sich so lange verweilte, bis sein tückischer Feind<lb/>
in's Verderben gestürzt war: aber nicht, weil es ihm die Herrin<lb/>
befahl, betrat er die Kirche, sondern weil ihn, ausdrücklich bemerkt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] Du wähnst, von außen die himmlische Gottheit zu vernehmen." Keine Weihe offenbart sie. Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn, Es ist dennoch, das Schöne und Wahre, Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor, Es ist in Dir, Du bringst es selber hervor. Der Einfalt des kindlich reinen Gemüths ist die innere Stimme verständlich: auch der sinnende Weise, der in dem stilleren Selbst den schaffenden Geist behorcht, vernimmt sie noch, und wie sein Genius verspricht: was die hoffende Seele verheißt, hält gewiß die Natur. Doch nicht auf den Wogen des rauschenden Wassers, sondern auf der stillen Fläche des kleinen Baches schwimmt klar und ungetrübt das Himmelsgewölbe. Gegenüber dem harten Sinn, der ungestümen Kraft, der zermalmenden Gewalt des Mannes preist daher der Dich¬ ter mit hohem Lobe die Frauen, die treuen Töchter der frommen Natur, die wachsam das ewige Feuer schöner Gefühle nähren. Und nun verstehen wir jene so oft falsch gedeuteten Worte, die er „am Antritt des neuen Jahrhunderts" sprach: In des Herzens heilig stille Räume Mußt Du fliehen aus des Lebens Drang. Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, Und das Schöne blüht nur im Gesang. Ja, nur so viel erreicht der Mensch, als er ihm liegt. Seine Vollendung ist nur eine Selbstentfaltung. Die Kunst leitet ihn sanft hin zur Wahrheit, noch ehe der alternde Verstand die Pforten der Erkenntniß öffnet. Der Sänger, der ahndend das Ewige em¬ pfindet, beherrscht das bewegte Herz, taucht es in Schrecken und hebt es himmelwärts, und wo er weilt, darf nichts Gemeines nahen. Und >wo der Genius bildend auf dein Lichtpfade der Schönheit einher¬ schreitet, rauscht es von Leben und Lust. Aus dieser durchgebildeten Lebensansicht sproßen zwei unvergäng¬ liche Blumen hervor. Die eine ist die Zuversicht, daß der eignen Neigung und Liebe die Tugendübung entstamme, die andere heißt Freiheit. Fridolin ist vor dem Feuertode bewahrt geblieben, weil er in Andacht sich so lange verweilte, bis sein tückischer Feind in's Verderben gestürzt war: aber nicht, weil es ihm die Herrin befahl, betrat er die Kirche, sondern weil ihn, ausdrücklich bemerkt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/392>, abgerufen am 28.07.2024.