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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Schmerzensausdruck in dem Gesichte des Vaters. Dieser alte Fischer
ist eine rohere Natur als das Weib des Schäfers auf dem Becker'-
schen Bilde, und merkwürdig! sein Schmerz tritt, wenn nicht roher,
dock beängstigender für den Beschauer hervor, denn er schreit nicht,
dieser Schmerz. Es ist gewiß, daß der Mann in dem Allgenblicke,
den der Maler erfaßte, im Innern Gott lästert. Der Anblick ist
grausencrregeud. Die Hände, welche die Mütze in die Stube schleu¬
derten, sind geballt herabgesunken, das Auge stiert leblos vor sich hin.
Er hört die Worte des Freundes nicht, der ebenfalls sein Haupt vor
diesem Schmerz entblößte. Wie sich daneben der kindliche Schmerz
äußert in dem kleinen Mädchen. Vor wenigen Minuten spielte sie
noch, wie der kleine Schubkästen beweist, den sie als Wagen an ei¬
nem Faden hinter sich herzieht. In wenigen Augenblicken wird es
wieder spielen. Von allen Figuren ist das junge Mädchen zur Rech¬
ten die nichtssagendste; es wird nicht klar, was sie eigentlich ist;
Schwester oder Braut des Todten. In beiden Fällen bleibt sie zu
kalt; ein Weib hat nicht augenblicklich die Kraft, um den Schmerz
zu verschließen, es muß klagen und weinen. Becker und Ritter haben
Vieles gemein und sind dennoch ganz verschieden. Becker ist gewal-
tiger und selbst idealer, während Ritter mehr eine Familienscene und
zwar in der wunderbar treuen Art und Weise der alten Niederlän.
der gibt. Wie er Kleinigkeiten zu malen versteht, zeigt die Flasche
mit dem übergegossenen Rum auf dem Schemel. Das sind zwei
Bilder, die der schönsten Zeit der Kunst angehören könnten. -- I.
P. Hasenclever gibt drei Bilder, unter denen zwei seinem Rufe ent¬
sprechen, während das dritte dahinter zurückbleibt. Die Nheinwein-
probirenden im Keller ist eins der wahrhaft komischsten Bilder, welche
ich je gesehen habe. Wie diese Herren schnalzen mit der Zunge, wie
sie den Wein bedächtig im Munde hin- und herspülen, wie diesem
dicken, rothbäckigen Manne der Wein über Kinn und Bart läuft,,
und wie der Wirth im Hintergrunde, wohlgefällig schmunzelnd, sagt:
Ein superbes Weinchen, meine Herren! nicht wahr? Hier hat Ha¬
senclever wieder einmal aus dem vollen Born seiner Komik geschöpft;
jedes einzelne dieser Gesichter gäbe Anlaß zu einer Skizze. Das
zweite Bild: Damenbrettspieler hat alle dieselben Vorzüge; der eine
Spieler hat auf Anrctthen eines andern einen überraschenden Zug
gethan, und die Aufgabe des Malers war es, das Erstaunen der


Schmerzensausdruck in dem Gesichte des Vaters. Dieser alte Fischer
ist eine rohere Natur als das Weib des Schäfers auf dem Becker'-
schen Bilde, und merkwürdig! sein Schmerz tritt, wenn nicht roher,
dock beängstigender für den Beschauer hervor, denn er schreit nicht,
dieser Schmerz. Es ist gewiß, daß der Mann in dem Allgenblicke,
den der Maler erfaßte, im Innern Gott lästert. Der Anblick ist
grausencrregeud. Die Hände, welche die Mütze in die Stube schleu¬
derten, sind geballt herabgesunken, das Auge stiert leblos vor sich hin.
Er hört die Worte des Freundes nicht, der ebenfalls sein Haupt vor
diesem Schmerz entblößte. Wie sich daneben der kindliche Schmerz
äußert in dem kleinen Mädchen. Vor wenigen Minuten spielte sie
noch, wie der kleine Schubkästen beweist, den sie als Wagen an ei¬
nem Faden hinter sich herzieht. In wenigen Augenblicken wird es
wieder spielen. Von allen Figuren ist das junge Mädchen zur Rech¬
ten die nichtssagendste; es wird nicht klar, was sie eigentlich ist;
Schwester oder Braut des Todten. In beiden Fällen bleibt sie zu
kalt; ein Weib hat nicht augenblicklich die Kraft, um den Schmerz
zu verschließen, es muß klagen und weinen. Becker und Ritter haben
Vieles gemein und sind dennoch ganz verschieden. Becker ist gewal-
tiger und selbst idealer, während Ritter mehr eine Familienscene und
zwar in der wunderbar treuen Art und Weise der alten Niederlän.
der gibt. Wie er Kleinigkeiten zu malen versteht, zeigt die Flasche
mit dem übergegossenen Rum auf dem Schemel. Das sind zwei
Bilder, die der schönsten Zeit der Kunst angehören könnten. — I.
P. Hasenclever gibt drei Bilder, unter denen zwei seinem Rufe ent¬
sprechen, während das dritte dahinter zurückbleibt. Die Nheinwein-
probirenden im Keller ist eins der wahrhaft komischsten Bilder, welche
ich je gesehen habe. Wie diese Herren schnalzen mit der Zunge, wie
sie den Wein bedächtig im Munde hin- und herspülen, wie diesem
dicken, rothbäckigen Manne der Wein über Kinn und Bart läuft,,
und wie der Wirth im Hintergrunde, wohlgefällig schmunzelnd, sagt:
Ein superbes Weinchen, meine Herren! nicht wahr? Hier hat Ha¬
senclever wieder einmal aus dem vollen Born seiner Komik geschöpft;
jedes einzelne dieser Gesichter gäbe Anlaß zu einer Skizze. Das
zweite Bild: Damenbrettspieler hat alle dieselben Vorzüge; der eine
Spieler hat auf Anrctthen eines andern einen überraschenden Zug
gethan, und die Aufgabe des Malers war es, das Erstaunen der


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[0371] Schmerzensausdruck in dem Gesichte des Vaters. Dieser alte Fischer ist eine rohere Natur als das Weib des Schäfers auf dem Becker'- schen Bilde, und merkwürdig! sein Schmerz tritt, wenn nicht roher, dock beängstigender für den Beschauer hervor, denn er schreit nicht, dieser Schmerz. Es ist gewiß, daß der Mann in dem Allgenblicke, den der Maler erfaßte, im Innern Gott lästert. Der Anblick ist grausencrregeud. Die Hände, welche die Mütze in die Stube schleu¬ derten, sind geballt herabgesunken, das Auge stiert leblos vor sich hin. Er hört die Worte des Freundes nicht, der ebenfalls sein Haupt vor diesem Schmerz entblößte. Wie sich daneben der kindliche Schmerz äußert in dem kleinen Mädchen. Vor wenigen Minuten spielte sie noch, wie der kleine Schubkästen beweist, den sie als Wagen an ei¬ nem Faden hinter sich herzieht. In wenigen Augenblicken wird es wieder spielen. Von allen Figuren ist das junge Mädchen zur Rech¬ ten die nichtssagendste; es wird nicht klar, was sie eigentlich ist; Schwester oder Braut des Todten. In beiden Fällen bleibt sie zu kalt; ein Weib hat nicht augenblicklich die Kraft, um den Schmerz zu verschließen, es muß klagen und weinen. Becker und Ritter haben Vieles gemein und sind dennoch ganz verschieden. Becker ist gewal- tiger und selbst idealer, während Ritter mehr eine Familienscene und zwar in der wunderbar treuen Art und Weise der alten Niederlän. der gibt. Wie er Kleinigkeiten zu malen versteht, zeigt die Flasche mit dem übergegossenen Rum auf dem Schemel. Das sind zwei Bilder, die der schönsten Zeit der Kunst angehören könnten. — I. P. Hasenclever gibt drei Bilder, unter denen zwei seinem Rufe ent¬ sprechen, während das dritte dahinter zurückbleibt. Die Nheinwein- probirenden im Keller ist eins der wahrhaft komischsten Bilder, welche ich je gesehen habe. Wie diese Herren schnalzen mit der Zunge, wie sie den Wein bedächtig im Munde hin- und herspülen, wie diesem dicken, rothbäckigen Manne der Wein über Kinn und Bart läuft,, und wie der Wirth im Hintergrunde, wohlgefällig schmunzelnd, sagt: Ein superbes Weinchen, meine Herren! nicht wahr? Hier hat Ha¬ senclever wieder einmal aus dem vollen Born seiner Komik geschöpft; jedes einzelne dieser Gesichter gäbe Anlaß zu einer Skizze. Das zweite Bild: Damenbrettspieler hat alle dieselben Vorzüge; der eine Spieler hat auf Anrctthen eines andern einen überraschenden Zug gethan, und die Aufgabe des Malers war es, das Erstaunen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/371>, abgerufen am 28.07.2024.