Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

baren Wirklichkeit zu überzeugen. Prägt sich in den Gesichtern der
Erwachsenen der Schrecken aus, sehen wir in den Kindern, wel¬
che sich auf den Fußspitzen erheben, ängstliche, aber kindliche Neu-
gier, so gibt sich das Weib durch das Uebermaß seines Schmerzes,
durch die schrankenlose Aeußerung desselben als die verlassene Frau
des Todten zu erkennen. Sie bildet den Uebergang zu der furchtbaren
Naturscene, welche in Begleitung dieses Unglücksfalles ist. Riesige
und wunderschön componirte Bäume, unter welchen der Hirt lagerte,
sind mit ihm vom Blitz getroffen, sie waren verdorrt und gehen in
Flammen auf. Nie sah ich die schwere, kreisende Bewegung großer
Nauchmassen so schön beobachtet. Vorn bemerken wir noch den
treuen Hund des Schäfers, der schon einigermaßen den Borfall ver¬
steht, während die Schafheerde blökend und theilnahmlos in die auf¬
geregte Natur hineinstarrt. Das Bild streift wirklich in seiner gro߬
artigen Auffassung an das historische Bild. -- Dagegen sticht ein
anderes Bild I. Becker's sehr ab. Der Abschied des Rekruten, ein
Seitenstück zu der allbekannten Heimkehr des Rekruten, der es eben¬
falls nicht an die Seite gestellt werden darf. Ein Bild, das dem
"erschlagenen Schäfer" den Rang streitig zu machen sucht, ist: Der
ertrunkene Sohn des Fischers von Ritter in Düsseldorf. Die Auf¬
gabe, die sich der Maler gestellt, hat mit der Becker's viel Verwand¬
tes. Hier ist ebenfalls ein furchtbares Unglück über eine Familie
hereingebrochen, und wir sehen die verschiedenen Aeußerungen des
Schmerzes. Auf einer Lade liegt mit dem Kopfe zum Bilde hinaus
der Ertrunkene. Seine bleichen Züge, auf denen der Wassertod mei¬
sterhaft ausgedrückt ist, überzeugen uns, daß die Belebungsversuche,
auf welche die Rum- und ^ ranntweinflaschen auf einem Schemel
am Bette hindeuten, vergebens waren. Zur Linken des todten Soh¬
nes sitzt der Vater, die Hauptperson, dann ein alter Fischer, der
Worte des Trostes zu sprechen scheint. Weiter in'S Zimmer hinein
stehen zwei andere Schiffer, während an der Thüre noch andere Leute
Erkundigungen einziehen. Zur Rechten des Bettes steht ein junges
Mädchen, das sich schmerzlich bewegt über den Todten hinbeugt --
Noch ein kleines Mädchen steht im Vordergrunde neben dem Vater,
auf dessen Kniee eS seine kleine Hand gelegt hat, während es die
andere eben zu den weinenden Augen führt. Die Vorzüge der
Gruppirung kann ich kaum beschreiben; aber sein Hauptwerth ist der


baren Wirklichkeit zu überzeugen. Prägt sich in den Gesichtern der
Erwachsenen der Schrecken aus, sehen wir in den Kindern, wel¬
che sich auf den Fußspitzen erheben, ängstliche, aber kindliche Neu-
gier, so gibt sich das Weib durch das Uebermaß seines Schmerzes,
durch die schrankenlose Aeußerung desselben als die verlassene Frau
des Todten zu erkennen. Sie bildet den Uebergang zu der furchtbaren
Naturscene, welche in Begleitung dieses Unglücksfalles ist. Riesige
und wunderschön componirte Bäume, unter welchen der Hirt lagerte,
sind mit ihm vom Blitz getroffen, sie waren verdorrt und gehen in
Flammen auf. Nie sah ich die schwere, kreisende Bewegung großer
Nauchmassen so schön beobachtet. Vorn bemerken wir noch den
treuen Hund des Schäfers, der schon einigermaßen den Borfall ver¬
steht, während die Schafheerde blökend und theilnahmlos in die auf¬
geregte Natur hineinstarrt. Das Bild streift wirklich in seiner gro߬
artigen Auffassung an das historische Bild. — Dagegen sticht ein
anderes Bild I. Becker's sehr ab. Der Abschied des Rekruten, ein
Seitenstück zu der allbekannten Heimkehr des Rekruten, der es eben¬
falls nicht an die Seite gestellt werden darf. Ein Bild, das dem
„erschlagenen Schäfer" den Rang streitig zu machen sucht, ist: Der
ertrunkene Sohn des Fischers von Ritter in Düsseldorf. Die Auf¬
gabe, die sich der Maler gestellt, hat mit der Becker's viel Verwand¬
tes. Hier ist ebenfalls ein furchtbares Unglück über eine Familie
hereingebrochen, und wir sehen die verschiedenen Aeußerungen des
Schmerzes. Auf einer Lade liegt mit dem Kopfe zum Bilde hinaus
der Ertrunkene. Seine bleichen Züge, auf denen der Wassertod mei¬
sterhaft ausgedrückt ist, überzeugen uns, daß die Belebungsversuche,
auf welche die Rum- und ^ ranntweinflaschen auf einem Schemel
am Bette hindeuten, vergebens waren. Zur Linken des todten Soh¬
nes sitzt der Vater, die Hauptperson, dann ein alter Fischer, der
Worte des Trostes zu sprechen scheint. Weiter in'S Zimmer hinein
stehen zwei andere Schiffer, während an der Thüre noch andere Leute
Erkundigungen einziehen. Zur Rechten des Bettes steht ein junges
Mädchen, das sich schmerzlich bewegt über den Todten hinbeugt —
Noch ein kleines Mädchen steht im Vordergrunde neben dem Vater,
auf dessen Kniee eS seine kleine Hand gelegt hat, während es die
andere eben zu den weinenden Augen führt. Die Vorzüge der
Gruppirung kann ich kaum beschreiben; aber sein Hauptwerth ist der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181554"/>
            <p xml:id="ID_1046" prev="#ID_1045" next="#ID_1047"> baren Wirklichkeit zu überzeugen. Prägt sich in den Gesichtern der<lb/>
Erwachsenen der Schrecken aus, sehen wir in den Kindern, wel¬<lb/>
che sich auf den Fußspitzen erheben, ängstliche, aber kindliche Neu-<lb/>
gier, so gibt sich das Weib durch das Uebermaß seines Schmerzes,<lb/>
durch die schrankenlose Aeußerung desselben als die verlassene Frau<lb/>
des Todten zu erkennen. Sie bildet den Uebergang zu der furchtbaren<lb/>
Naturscene, welche in Begleitung dieses Unglücksfalles ist. Riesige<lb/>
und wunderschön componirte Bäume, unter welchen der Hirt lagerte,<lb/>
sind mit ihm vom Blitz getroffen, sie waren verdorrt und gehen in<lb/>
Flammen auf. Nie sah ich die schwere, kreisende Bewegung großer<lb/>
Nauchmassen so schön beobachtet. Vorn bemerken wir noch den<lb/>
treuen Hund des Schäfers, der schon einigermaßen den Borfall ver¬<lb/>
steht, während die Schafheerde blökend und theilnahmlos in die auf¬<lb/>
geregte Natur hineinstarrt. Das Bild streift wirklich in seiner gro߬<lb/>
artigen Auffassung an das historische Bild. &#x2014; Dagegen sticht ein<lb/>
anderes Bild I. Becker's sehr ab. Der Abschied des Rekruten, ein<lb/>
Seitenstück zu der allbekannten Heimkehr des Rekruten, der es eben¬<lb/>
falls nicht an die Seite gestellt werden darf. Ein Bild, das dem<lb/>
&#x201E;erschlagenen Schäfer" den Rang streitig zu machen sucht, ist: Der<lb/>
ertrunkene Sohn des Fischers von Ritter in Düsseldorf. Die Auf¬<lb/>
gabe, die sich der Maler gestellt, hat mit der Becker's viel Verwand¬<lb/>
tes. Hier ist ebenfalls ein furchtbares Unglück über eine Familie<lb/>
hereingebrochen, und wir sehen die verschiedenen Aeußerungen des<lb/>
Schmerzes. Auf einer Lade liegt mit dem Kopfe zum Bilde hinaus<lb/>
der Ertrunkene. Seine bleichen Züge, auf denen der Wassertod mei¬<lb/>
sterhaft ausgedrückt ist, überzeugen uns, daß die Belebungsversuche,<lb/>
auf welche die Rum- und ^ ranntweinflaschen auf einem Schemel<lb/>
am Bette hindeuten, vergebens waren. Zur Linken des todten Soh¬<lb/>
nes sitzt der Vater, die Hauptperson, dann ein alter Fischer, der<lb/>
Worte des Trostes zu sprechen scheint. Weiter in'S Zimmer hinein<lb/>
stehen zwei andere Schiffer, während an der Thüre noch andere Leute<lb/>
Erkundigungen einziehen. Zur Rechten des Bettes steht ein junges<lb/>
Mädchen, das sich schmerzlich bewegt über den Todten hinbeugt &#x2014;<lb/>
Noch ein kleines Mädchen steht im Vordergrunde neben dem Vater,<lb/>
auf dessen Kniee eS seine kleine Hand gelegt hat, während es die<lb/>
andere eben zu den weinenden Augen führt. Die Vorzüge der<lb/>
Gruppirung kann ich kaum beschreiben; aber sein Hauptwerth ist der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] baren Wirklichkeit zu überzeugen. Prägt sich in den Gesichtern der Erwachsenen der Schrecken aus, sehen wir in den Kindern, wel¬ che sich auf den Fußspitzen erheben, ängstliche, aber kindliche Neu- gier, so gibt sich das Weib durch das Uebermaß seines Schmerzes, durch die schrankenlose Aeußerung desselben als die verlassene Frau des Todten zu erkennen. Sie bildet den Uebergang zu der furchtbaren Naturscene, welche in Begleitung dieses Unglücksfalles ist. Riesige und wunderschön componirte Bäume, unter welchen der Hirt lagerte, sind mit ihm vom Blitz getroffen, sie waren verdorrt und gehen in Flammen auf. Nie sah ich die schwere, kreisende Bewegung großer Nauchmassen so schön beobachtet. Vorn bemerken wir noch den treuen Hund des Schäfers, der schon einigermaßen den Borfall ver¬ steht, während die Schafheerde blökend und theilnahmlos in die auf¬ geregte Natur hineinstarrt. Das Bild streift wirklich in seiner gro߬ artigen Auffassung an das historische Bild. — Dagegen sticht ein anderes Bild I. Becker's sehr ab. Der Abschied des Rekruten, ein Seitenstück zu der allbekannten Heimkehr des Rekruten, der es eben¬ falls nicht an die Seite gestellt werden darf. Ein Bild, das dem „erschlagenen Schäfer" den Rang streitig zu machen sucht, ist: Der ertrunkene Sohn des Fischers von Ritter in Düsseldorf. Die Auf¬ gabe, die sich der Maler gestellt, hat mit der Becker's viel Verwand¬ tes. Hier ist ebenfalls ein furchtbares Unglück über eine Familie hereingebrochen, und wir sehen die verschiedenen Aeußerungen des Schmerzes. Auf einer Lade liegt mit dem Kopfe zum Bilde hinaus der Ertrunkene. Seine bleichen Züge, auf denen der Wassertod mei¬ sterhaft ausgedrückt ist, überzeugen uns, daß die Belebungsversuche, auf welche die Rum- und ^ ranntweinflaschen auf einem Schemel am Bette hindeuten, vergebens waren. Zur Linken des todten Soh¬ nes sitzt der Vater, die Hauptperson, dann ein alter Fischer, der Worte des Trostes zu sprechen scheint. Weiter in'S Zimmer hinein stehen zwei andere Schiffer, während an der Thüre noch andere Leute Erkundigungen einziehen. Zur Rechten des Bettes steht ein junges Mädchen, das sich schmerzlich bewegt über den Todten hinbeugt — Noch ein kleines Mädchen steht im Vordergrunde neben dem Vater, auf dessen Kniee eS seine kleine Hand gelegt hat, während es die andere eben zu den weinenden Augen führt. Die Vorzüge der Gruppirung kann ich kaum beschreiben; aber sein Hauptwerth ist der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/370>, abgerufen am 01.09.2024.