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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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weil sie nicht in unsre Zeit hineinpassen. Sie glauben, sie sind ori¬
ginell, wenn sie dieser und jener Figur eine andere Stellung geben,
wenn sie sie anders zu coloriren suchen. Daher steht das Publicum
einen Augenblick gleichartig vor solchen Bildern und geht weiter;
der Kenner verweilt höchstens einen Augenblick länger davor, weil
ihm dies oder jenes in der Technik auffällt. Solcher Bilder sind
auf jeder Ausstellung die Menge, so auch auf dieser. Da ist das
Gleichniß vom großen Abendmahl, Luc. Kap. 14. V. 16--
24, von Eduard Steinbrück, ein Bild, das einen seltsamen,
unangenehmen Eindruck machen mußte. Der "Herr" sitzt an einer
reich geschmückten und bedeckten Tafel, während zwei Diener die
Gäste einladen. Die Armen und Hungrigen folgen dieser Einladung;
die Reichen und Satter kehren ihm den Rücken. Da ist ferner ein
Altarblatt von Will), v. Schadow: Mariä Himmelfahrt, so
harr und unharmonisch in der Farbe, so steif und langweilig in der
Zeichnung, daß man von solcher Frömmigkeit wirklich erschreckt wird.
Da ist eine Madonna von demselben Maler, ein Christus von
Brockmann, welche sich total an die hergebrachte Formel anleh¬
nen. Ein König Ezechias, der die eherne Schlange zer¬
stören läßt und die Gesetze Mosis wiedereinführt, von
Molitor, der wenigstens in der Malerei seinen eignen Weg geht.
Eine wahre Freude machte mir dagegen ein Franzose: Ary Schef-
fer in seinem Christus, die Kinder segnend. Hier stoßen wir
auf eine total originelle Auffassung, welche freilich die Frage zuläßt:
Ist dies Bild ein historisches? Schon in der Größe rechnet es sich
nicht zu diesen, denn es ist kaum zwei Fuß hoch und einen Fuß breit,
aber es muß dennoch zu ihnen und zwar zu den Besten gerechnet
werden. Der Künstler hat Christus den strengen, chrfurchtgebieten-
den Beigeschmack genommen, der ihm in der Regel gegeben wird.
Er gibt uns nur seine Milde, seine Güte, er gibt uns den Men¬
schen. Christus liegt unter Palmen ausgestreckt, von seinen Jüngern
und den Weibern mit ihren Kindern umgeben. Das Ganze wird
durch die säulenartige Wölbung der Palmen abgeschlossen und macht
einen so wohlthuenden, bezaubernden Eindruck, daß man ein
Kind sein möchte, um zu dem Herrn hin zu kriechen. Dabei ist das
Bild gemalt, wie wenig neuere; so harmonisch, so ruhig, daß es
unmöglich ist, irgendwie dabei zerstreut zu werden. Dieser, goldig


weil sie nicht in unsre Zeit hineinpassen. Sie glauben, sie sind ori¬
ginell, wenn sie dieser und jener Figur eine andere Stellung geben,
wenn sie sie anders zu coloriren suchen. Daher steht das Publicum
einen Augenblick gleichartig vor solchen Bildern und geht weiter;
der Kenner verweilt höchstens einen Augenblick länger davor, weil
ihm dies oder jenes in der Technik auffällt. Solcher Bilder sind
auf jeder Ausstellung die Menge, so auch auf dieser. Da ist das
Gleichniß vom großen Abendmahl, Luc. Kap. 14. V. 16—
24, von Eduard Steinbrück, ein Bild, das einen seltsamen,
unangenehmen Eindruck machen mußte. Der „Herr" sitzt an einer
reich geschmückten und bedeckten Tafel, während zwei Diener die
Gäste einladen. Die Armen und Hungrigen folgen dieser Einladung;
die Reichen und Satter kehren ihm den Rücken. Da ist ferner ein
Altarblatt von Will), v. Schadow: Mariä Himmelfahrt, so
harr und unharmonisch in der Farbe, so steif und langweilig in der
Zeichnung, daß man von solcher Frömmigkeit wirklich erschreckt wird.
Da ist eine Madonna von demselben Maler, ein Christus von
Brockmann, welche sich total an die hergebrachte Formel anleh¬
nen. Ein König Ezechias, der die eherne Schlange zer¬
stören läßt und die Gesetze Mosis wiedereinführt, von
Molitor, der wenigstens in der Malerei seinen eignen Weg geht.
Eine wahre Freude machte mir dagegen ein Franzose: Ary Schef-
fer in seinem Christus, die Kinder segnend. Hier stoßen wir
auf eine total originelle Auffassung, welche freilich die Frage zuläßt:
Ist dies Bild ein historisches? Schon in der Größe rechnet es sich
nicht zu diesen, denn es ist kaum zwei Fuß hoch und einen Fuß breit,
aber es muß dennoch zu ihnen und zwar zu den Besten gerechnet
werden. Der Künstler hat Christus den strengen, chrfurchtgebieten-
den Beigeschmack genommen, der ihm in der Regel gegeben wird.
Er gibt uns nur seine Milde, seine Güte, er gibt uns den Men¬
schen. Christus liegt unter Palmen ausgestreckt, von seinen Jüngern
und den Weibern mit ihren Kindern umgeben. Das Ganze wird
durch die säulenartige Wölbung der Palmen abgeschlossen und macht
einen so wohlthuenden, bezaubernden Eindruck, daß man ein
Kind sein möchte, um zu dem Herrn hin zu kriechen. Dabei ist das
Bild gemalt, wie wenig neuere; so harmonisch, so ruhig, daß es
unmöglich ist, irgendwie dabei zerstreut zu werden. Dieser, goldig


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[0354] weil sie nicht in unsre Zeit hineinpassen. Sie glauben, sie sind ori¬ ginell, wenn sie dieser und jener Figur eine andere Stellung geben, wenn sie sie anders zu coloriren suchen. Daher steht das Publicum einen Augenblick gleichartig vor solchen Bildern und geht weiter; der Kenner verweilt höchstens einen Augenblick länger davor, weil ihm dies oder jenes in der Technik auffällt. Solcher Bilder sind auf jeder Ausstellung die Menge, so auch auf dieser. Da ist das Gleichniß vom großen Abendmahl, Luc. Kap. 14. V. 16— 24, von Eduard Steinbrück, ein Bild, das einen seltsamen, unangenehmen Eindruck machen mußte. Der „Herr" sitzt an einer reich geschmückten und bedeckten Tafel, während zwei Diener die Gäste einladen. Die Armen und Hungrigen folgen dieser Einladung; die Reichen und Satter kehren ihm den Rücken. Da ist ferner ein Altarblatt von Will), v. Schadow: Mariä Himmelfahrt, so harr und unharmonisch in der Farbe, so steif und langweilig in der Zeichnung, daß man von solcher Frömmigkeit wirklich erschreckt wird. Da ist eine Madonna von demselben Maler, ein Christus von Brockmann, welche sich total an die hergebrachte Formel anleh¬ nen. Ein König Ezechias, der die eherne Schlange zer¬ stören läßt und die Gesetze Mosis wiedereinführt, von Molitor, der wenigstens in der Malerei seinen eignen Weg geht. Eine wahre Freude machte mir dagegen ein Franzose: Ary Schef- fer in seinem Christus, die Kinder segnend. Hier stoßen wir auf eine total originelle Auffassung, welche freilich die Frage zuläßt: Ist dies Bild ein historisches? Schon in der Größe rechnet es sich nicht zu diesen, denn es ist kaum zwei Fuß hoch und einen Fuß breit, aber es muß dennoch zu ihnen und zwar zu den Besten gerechnet werden. Der Künstler hat Christus den strengen, chrfurchtgebieten- den Beigeschmack genommen, der ihm in der Regel gegeben wird. Er gibt uns nur seine Milde, seine Güte, er gibt uns den Men¬ schen. Christus liegt unter Palmen ausgestreckt, von seinen Jüngern und den Weibern mit ihren Kindern umgeben. Das Ganze wird durch die säulenartige Wölbung der Palmen abgeschlossen und macht einen so wohlthuenden, bezaubernden Eindruck, daß man ein Kind sein möchte, um zu dem Herrn hin zu kriechen. Dabei ist das Bild gemalt, wie wenig neuere; so harmonisch, so ruhig, daß es unmöglich ist, irgendwie dabei zerstreut zu werden. Dieser, goldig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/354>, abgerufen am 01.09.2024.