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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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die Kunst von oben herab auf eine Art beschützt wird, die an das
goldene Zeitalter der Kunst erinnert: Frankreich. Wenn sich die Kunst
auch dort trotzdem nicht zu bedeutender Hohe erhob, so liegt das
darin, daß es eben Frankreich ist. Unter allen Völkern ist der Fran¬
zose am allermeisten von der Mode abhängig, und wer wird so blind
sein, den Einfluß der Mode auf die Kunst der.Jetztzeit zu über¬
sehen? -- Bei uns macht der Staat nur gute Geschäfte, d. h. er
kauft nur Bilder von renommirten Künstlern. Das nenne ich nicht
die Kunst beschützen. Das kann jeder Privatmann; wenn sich das
Kapital eines guten Bildes auch nicht immer verzinst, so bleibt es
doch in der Regel Kapital. -- Der wohlthätige Einfluß der deut¬
schen Kunstvereine kann und darf nicht verkannt werden. Leider
muß ich aber auch hier eine Unvorsichtigkeit rügen, an der die Mode
Schuld ist. Einer unserer bedeutendsten Kunstvereine kauft alljähr¬
lich französische Bilder, nicht solche, die er etwa in Deutschland nicht
bekäme, sondern schlechtere. -- Noch einen Uebelstand muß ich er¬
wähnen, dessen Folgen nicht so gering sind, wie sie scheinen; ich
meine das Mißtrauen der Künstler gegen die Kritik. Ein Künstler
gesteht selten oder nie einem Menschen das Recht und die Befähi¬
gung zu, sein Bild zu beurtheilen, wenn dieser Mensch nicht selbst
Künstler ist. Er übersieht, daß jeder Gebildete denkt. Der Kern
jedes Kunstwerkes soll dessen poetischer Gedanke sein, und den ver¬
steht auch zu beurtheilen, wer nicht malen kann. Aber da stoßen
wir auf die traurige Erfahrung, daß es eben viele Künstler gibt,
welche sich nicht einmal bemühen, ihren Bildern einen Kern zu geben.

Schon früher, in einem Briefe über den Berliner Kunstverein
(in den Grenzboten) klagte ich, daß das einzige Berliner Organ,
welches sich ausführlich mit Kunstkritik beschäftigt, einen Referenten
habe, der zu gutmüthig und zu schwach ist, um einigermaßen gegen
die Unnatur in der heutigen Kunst aufzutreten. Es scheint, daß die
Redaction dies ebenfalls empfand, denn an dem ersten Worte, wel¬
ches ich in der Vossischen über die heurige Ausstellung las, erkannte
ich, daß ein Anderer an die Stelle des früheren Referenten getreten
sein muß. Und zwar ein sehr Anderer, der sich vom Anfang an
als ein kräftiger Gegner beinah der ganzen neuen Richtung der
Kunst dvcumentirte. Aber einen so vorzüglichen Kenner ich in ihm
anerkenne, kann ich doch wieder nicht verhehlen, daß sein Urtheil


die Kunst von oben herab auf eine Art beschützt wird, die an das
goldene Zeitalter der Kunst erinnert: Frankreich. Wenn sich die Kunst
auch dort trotzdem nicht zu bedeutender Hohe erhob, so liegt das
darin, daß es eben Frankreich ist. Unter allen Völkern ist der Fran¬
zose am allermeisten von der Mode abhängig, und wer wird so blind
sein, den Einfluß der Mode auf die Kunst der.Jetztzeit zu über¬
sehen? — Bei uns macht der Staat nur gute Geschäfte, d. h. er
kauft nur Bilder von renommirten Künstlern. Das nenne ich nicht
die Kunst beschützen. Das kann jeder Privatmann; wenn sich das
Kapital eines guten Bildes auch nicht immer verzinst, so bleibt es
doch in der Regel Kapital. — Der wohlthätige Einfluß der deut¬
schen Kunstvereine kann und darf nicht verkannt werden. Leider
muß ich aber auch hier eine Unvorsichtigkeit rügen, an der die Mode
Schuld ist. Einer unserer bedeutendsten Kunstvereine kauft alljähr¬
lich französische Bilder, nicht solche, die er etwa in Deutschland nicht
bekäme, sondern schlechtere. — Noch einen Uebelstand muß ich er¬
wähnen, dessen Folgen nicht so gering sind, wie sie scheinen; ich
meine das Mißtrauen der Künstler gegen die Kritik. Ein Künstler
gesteht selten oder nie einem Menschen das Recht und die Befähi¬
gung zu, sein Bild zu beurtheilen, wenn dieser Mensch nicht selbst
Künstler ist. Er übersieht, daß jeder Gebildete denkt. Der Kern
jedes Kunstwerkes soll dessen poetischer Gedanke sein, und den ver¬
steht auch zu beurtheilen, wer nicht malen kann. Aber da stoßen
wir auf die traurige Erfahrung, daß es eben viele Künstler gibt,
welche sich nicht einmal bemühen, ihren Bildern einen Kern zu geben.

Schon früher, in einem Briefe über den Berliner Kunstverein
(in den Grenzboten) klagte ich, daß das einzige Berliner Organ,
welches sich ausführlich mit Kunstkritik beschäftigt, einen Referenten
habe, der zu gutmüthig und zu schwach ist, um einigermaßen gegen
die Unnatur in der heutigen Kunst aufzutreten. Es scheint, daß die
Redaction dies ebenfalls empfand, denn an dem ersten Worte, wel¬
ches ich in der Vossischen über die heurige Ausstellung las, erkannte
ich, daß ein Anderer an die Stelle des früheren Referenten getreten
sein muß. Und zwar ein sehr Anderer, der sich vom Anfang an
als ein kräftiger Gegner beinah der ganzen neuen Richtung der
Kunst dvcumentirte. Aber einen so vorzüglichen Kenner ich in ihm
anerkenne, kann ich doch wieder nicht verhehlen, daß sein Urtheil


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[0352] die Kunst von oben herab auf eine Art beschützt wird, die an das goldene Zeitalter der Kunst erinnert: Frankreich. Wenn sich die Kunst auch dort trotzdem nicht zu bedeutender Hohe erhob, so liegt das darin, daß es eben Frankreich ist. Unter allen Völkern ist der Fran¬ zose am allermeisten von der Mode abhängig, und wer wird so blind sein, den Einfluß der Mode auf die Kunst der.Jetztzeit zu über¬ sehen? — Bei uns macht der Staat nur gute Geschäfte, d. h. er kauft nur Bilder von renommirten Künstlern. Das nenne ich nicht die Kunst beschützen. Das kann jeder Privatmann; wenn sich das Kapital eines guten Bildes auch nicht immer verzinst, so bleibt es doch in der Regel Kapital. — Der wohlthätige Einfluß der deut¬ schen Kunstvereine kann und darf nicht verkannt werden. Leider muß ich aber auch hier eine Unvorsichtigkeit rügen, an der die Mode Schuld ist. Einer unserer bedeutendsten Kunstvereine kauft alljähr¬ lich französische Bilder, nicht solche, die er etwa in Deutschland nicht bekäme, sondern schlechtere. — Noch einen Uebelstand muß ich er¬ wähnen, dessen Folgen nicht so gering sind, wie sie scheinen; ich meine das Mißtrauen der Künstler gegen die Kritik. Ein Künstler gesteht selten oder nie einem Menschen das Recht und die Befähi¬ gung zu, sein Bild zu beurtheilen, wenn dieser Mensch nicht selbst Künstler ist. Er übersieht, daß jeder Gebildete denkt. Der Kern jedes Kunstwerkes soll dessen poetischer Gedanke sein, und den ver¬ steht auch zu beurtheilen, wer nicht malen kann. Aber da stoßen wir auf die traurige Erfahrung, daß es eben viele Künstler gibt, welche sich nicht einmal bemühen, ihren Bildern einen Kern zu geben. Schon früher, in einem Briefe über den Berliner Kunstverein (in den Grenzboten) klagte ich, daß das einzige Berliner Organ, welches sich ausführlich mit Kunstkritik beschäftigt, einen Referenten habe, der zu gutmüthig und zu schwach ist, um einigermaßen gegen die Unnatur in der heutigen Kunst aufzutreten. Es scheint, daß die Redaction dies ebenfalls empfand, denn an dem ersten Worte, wel¬ ches ich in der Vossischen über die heurige Ausstellung las, erkannte ich, daß ein Anderer an die Stelle des früheren Referenten getreten sein muß. Und zwar ein sehr Anderer, der sich vom Anfang an als ein kräftiger Gegner beinah der ganzen neuen Richtung der Kunst dvcumentirte. Aber einen so vorzüglichen Kenner ich in ihm anerkenne, kann ich doch wieder nicht verhehlen, daß sein Urtheil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/352>, abgerufen am 27.07.2024.