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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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bloße Nachahmungen der Form, sogar im Titel, auftraten, war
ihnen vom großen Publicum schon ein ungünstiges Urtheil gespro¬
chen, und sie haben höchstens in der localen Sphäre ein vorüberge¬
hendes Aufsehen gemacht. Wäre es nicht ungerecht, von einer dieser
äffischen Produktionen, die ich kennen lernte, auf den Werth aller
zu schließen, so würde ich darauf hindeuten, wie tief die deutschen
Geheimnißmachwerke hinter den Mysterien von Sue zurückstehen, und
den Verfassern zurufen: "Nur wie er sich räuspert und wie er spuckt,
das habt ihr ihm glücklich abgeguckt." Mit Spitzbuben- und grauen¬
vollen Elendsgeschichten, mit Polizei und Gensd'armerie ist die Ten¬
denz des modernen Romans, wofür Eugen Sue die Bahn eröffnete,
nicht zu erfüllen. Wer ihn aber im Geiste nachzuahmen weiß, wer
gleich ihm der Wirklichkeit originell nachzuzeichnen, nachzufühlen und
nachzudenken versteht, der wird mit seinem selbständigen Origi¬
nalwerke auf deutschem Boden so viel Glück machen, als Sue's
Uebersetzungen, vorausgesetzt, daß der Verleger sie auf dieselbe Weise
dem Publicum zugänglich macht. -- Ehrenwerthe Verleger aber
mögen zum Frommen des deutschen Buchhandels und zur Wahrung
der Ehre und des Bestehens unserer Nationalliteratur diese individuelle
Ueberzeugung beherzigen. Sie mögen einen Verein gegen die schran¬
kenlose UebersetzungSmanie schließen und den Produktionen des deut¬
schen Talents im Volke, nicht blos in den Leihbibliotheken, Eingang
zu verschaffen suchen. Dies könnte unmaßgeblich auf dieselbe Weise
wie mit den Uebersetzungen ausländischer Schriften geschehen, näm¬
lich in der Herausgabe wohlfeiler, nach Umständen auch wohl mit
Illustrationen gezierter Hefte. Vier bis sechs Groschen gibt auch der
weniger bemittelte Privatmann zur allmäligen Bildung einer kleinen
eigenen Bibliothek aus und emancipirt dadurch den Buchhandel von
den Leihbibliotheken, die an seinem Fruchtbäume unverhältnißmäßig
zehren helfen. Nur bei niedrigen Preisen einer des Absatzes sichern
großen Auflag' kann eine eigentliche Nationalliteratur der Gegen¬
wart gedacht werden. Man liefere aber auch nur Werke, welche die
triviale Mittelmäßigkeit überragen, und zwar, indem man die Ma¬
nuskripte, statt sie aus Bequemlichkeit, Zeitmangel oder dem Bewußt¬
sein unzulänglicher Urtheilskraft, auf die bloße Garantie des Autor-
namens hin ungelesen drucken zu lassen, einer competenten Vor-


bloße Nachahmungen der Form, sogar im Titel, auftraten, war
ihnen vom großen Publicum schon ein ungünstiges Urtheil gespro¬
chen, und sie haben höchstens in der localen Sphäre ein vorüberge¬
hendes Aufsehen gemacht. Wäre es nicht ungerecht, von einer dieser
äffischen Produktionen, die ich kennen lernte, auf den Werth aller
zu schließen, so würde ich darauf hindeuten, wie tief die deutschen
Geheimnißmachwerke hinter den Mysterien von Sue zurückstehen, und
den Verfassern zurufen: „Nur wie er sich räuspert und wie er spuckt,
das habt ihr ihm glücklich abgeguckt." Mit Spitzbuben- und grauen¬
vollen Elendsgeschichten, mit Polizei und Gensd'armerie ist die Ten¬
denz des modernen Romans, wofür Eugen Sue die Bahn eröffnete,
nicht zu erfüllen. Wer ihn aber im Geiste nachzuahmen weiß, wer
gleich ihm der Wirklichkeit originell nachzuzeichnen, nachzufühlen und
nachzudenken versteht, der wird mit seinem selbständigen Origi¬
nalwerke auf deutschem Boden so viel Glück machen, als Sue's
Uebersetzungen, vorausgesetzt, daß der Verleger sie auf dieselbe Weise
dem Publicum zugänglich macht. — Ehrenwerthe Verleger aber
mögen zum Frommen des deutschen Buchhandels und zur Wahrung
der Ehre und des Bestehens unserer Nationalliteratur diese individuelle
Ueberzeugung beherzigen. Sie mögen einen Verein gegen die schran¬
kenlose UebersetzungSmanie schließen und den Produktionen des deut¬
schen Talents im Volke, nicht blos in den Leihbibliotheken, Eingang
zu verschaffen suchen. Dies könnte unmaßgeblich auf dieselbe Weise
wie mit den Uebersetzungen ausländischer Schriften geschehen, näm¬
lich in der Herausgabe wohlfeiler, nach Umständen auch wohl mit
Illustrationen gezierter Hefte. Vier bis sechs Groschen gibt auch der
weniger bemittelte Privatmann zur allmäligen Bildung einer kleinen
eigenen Bibliothek aus und emancipirt dadurch den Buchhandel von
den Leihbibliotheken, die an seinem Fruchtbäume unverhältnißmäßig
zehren helfen. Nur bei niedrigen Preisen einer des Absatzes sichern
großen Auflag' kann eine eigentliche Nationalliteratur der Gegen¬
wart gedacht werden. Man liefere aber auch nur Werke, welche die
triviale Mittelmäßigkeit überragen, und zwar, indem man die Ma¬
nuskripte, statt sie aus Bequemlichkeit, Zeitmangel oder dem Bewußt¬
sein unzulänglicher Urtheilskraft, auf die bloße Garantie des Autor-
namens hin ungelesen drucken zu lassen, einer competenten Vor-


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[0033] bloße Nachahmungen der Form, sogar im Titel, auftraten, war ihnen vom großen Publicum schon ein ungünstiges Urtheil gespro¬ chen, und sie haben höchstens in der localen Sphäre ein vorüberge¬ hendes Aufsehen gemacht. Wäre es nicht ungerecht, von einer dieser äffischen Produktionen, die ich kennen lernte, auf den Werth aller zu schließen, so würde ich darauf hindeuten, wie tief die deutschen Geheimnißmachwerke hinter den Mysterien von Sue zurückstehen, und den Verfassern zurufen: „Nur wie er sich räuspert und wie er spuckt, das habt ihr ihm glücklich abgeguckt." Mit Spitzbuben- und grauen¬ vollen Elendsgeschichten, mit Polizei und Gensd'armerie ist die Ten¬ denz des modernen Romans, wofür Eugen Sue die Bahn eröffnete, nicht zu erfüllen. Wer ihn aber im Geiste nachzuahmen weiß, wer gleich ihm der Wirklichkeit originell nachzuzeichnen, nachzufühlen und nachzudenken versteht, der wird mit seinem selbständigen Origi¬ nalwerke auf deutschem Boden so viel Glück machen, als Sue's Uebersetzungen, vorausgesetzt, daß der Verleger sie auf dieselbe Weise dem Publicum zugänglich macht. — Ehrenwerthe Verleger aber mögen zum Frommen des deutschen Buchhandels und zur Wahrung der Ehre und des Bestehens unserer Nationalliteratur diese individuelle Ueberzeugung beherzigen. Sie mögen einen Verein gegen die schran¬ kenlose UebersetzungSmanie schließen und den Produktionen des deut¬ schen Talents im Volke, nicht blos in den Leihbibliotheken, Eingang zu verschaffen suchen. Dies könnte unmaßgeblich auf dieselbe Weise wie mit den Uebersetzungen ausländischer Schriften geschehen, näm¬ lich in der Herausgabe wohlfeiler, nach Umständen auch wohl mit Illustrationen gezierter Hefte. Vier bis sechs Groschen gibt auch der weniger bemittelte Privatmann zur allmäligen Bildung einer kleinen eigenen Bibliothek aus und emancipirt dadurch den Buchhandel von den Leihbibliotheken, die an seinem Fruchtbäume unverhältnißmäßig zehren helfen. Nur bei niedrigen Preisen einer des Absatzes sichern großen Auflag' kann eine eigentliche Nationalliteratur der Gegen¬ wart gedacht werden. Man liefere aber auch nur Werke, welche die triviale Mittelmäßigkeit überragen, und zwar, indem man die Ma¬ nuskripte, statt sie aus Bequemlichkeit, Zeitmangel oder dem Bewußt¬ sein unzulänglicher Urtheilskraft, auf die bloße Garantie des Autor- namens hin ungelesen drucken zu lassen, einer competenten Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/33>, abgerufen am 01.09.2024.