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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gutmüthige Flausen, die aus Schonung für Einzelne die Reform des
GanzenZ immer ge"" hinausschiebt, ist eine böse Krankheit. Joseph II.
dieser edle Märtyrer radicaler Energie, hat in seiner Todesstunde sei-,
nem unwürdigen Reiche geflucht, weil es ihm die Dornenkrone um
das großgestnnte Haupt geflochten hat. Fast scheint es so. Denn die Er¬
innerung an sein tragisches Schicksal scheint bei jedem nothwendig
werdenden Schritt den Lenkern Oesterreichs ein momento mori zuzu¬
rufen und sie zurückzuschrecken. Doppelt und dreifach muß man da¬
her das Verdienst der Hofkammer (welche bekanntlich ministvi-o <i"8
eilen""!" und mi"i"lizre clef trilv.ax publics ist) anerkennen, deren
Wirksamkeit und Geist im Vergleich mit dem Uebrigen um fünfund¬
zwanzig Jahre voraus ist. Man mag die Finanzpolitik des Ba¬
ron Kübeck, von welchem Gesichtspunkt man will, kritisiren: eine große
und in Oesterreich seltene Eigenschaft wird Feind und Freund an ihm
verehren, einen festen, moralischen Willen, Energie! Diese Eigenschaft
ist es, was den jüngsten Namen unter den österreichischen Staats¬
männern so schnell populär gemacht hat. -- Die Eröffnung der Ei¬
senbahn von Wien nach Grätz, welche vor acht Tagen stattfand, hat
wieder die öffentliche Stimme aufgeregt und die Blicke hingelenkt auf
die unendlichen Vortheile, welche das Gesetz über den Bau der Staats¬
eisenbahnen uns bringen muß. Die officielle Einweihungsfahrt selbst ist
etwas zu sehr im Zopfstyl ausgefallen. Man hat ein Nationalfest zu
einem Beamtenfest heruntergeschraubt. Die eingeladenen Gäste hatten
sämmtlich in acht Waggons Platz. Dafür war es auch lauter
Elite. Viele Corporationen, die man in anderen "Staaten in der
ersten Reihe bei solchen Feierlichkeiten figuriren sieht, waren hier aus¬
geschlossen, so z.B. die Universität. Was sollte auch diese hier? Die
Universitäten Oesterreichs fahren noch mit der Klepperpost hinter an¬
deren drein. Was sollte man sie an den Fortschritt erinnern?--Auch
die steifleinene Rangordnung, die bei dieser Erössnungsfahrt stattge¬
funden, wurde viel kritisirt. Die Plätze waren numerirt, so daß ja
nichteinj einfachcrMandarinenknopf einemzweiknöpsigen Mandarinen zwi¬
schen die Beine gerathen konnre. Das Merkwürdigste und Widersinnigste
war jedoch, daß bei der Tafel mit keinem einzigen Toaste
des Mannes gedacht wurde, der einer der Haupturheber dieses Festes
und unserer Eisenbahnen überhaupt ist: ich meine des Barons Kuh cet.
Nach den Toasten auf den Kaiser und das Kaiserhaus, auf die Stände
Steiermarks und aus den Erzherzog Johann fand Keiner ein Wort dank¬
barer Erinnerung an den Staatsmann, der mit solcher Energie den
ganzen Bau eingeleitet und überwacht. Ich weiß nicht, wer das un¬
sinnige Gerücht verbreitet hatte, ein solcher Toast würde nicht gerne
gehört werden, aber es war hinreichend, um selbst die unabhängigen
Männer, die bei dem Feste zugegen waren, davon abzuhalten. Ver¬
gebens forderten einige Anwesende den Baron Sina auf, dem es ge-


gutmüthige Flausen, die aus Schonung für Einzelne die Reform des
GanzenZ immer ge"" hinausschiebt, ist eine böse Krankheit. Joseph II.
dieser edle Märtyrer radicaler Energie, hat in seiner Todesstunde sei-,
nem unwürdigen Reiche geflucht, weil es ihm die Dornenkrone um
das großgestnnte Haupt geflochten hat. Fast scheint es so. Denn die Er¬
innerung an sein tragisches Schicksal scheint bei jedem nothwendig
werdenden Schritt den Lenkern Oesterreichs ein momento mori zuzu¬
rufen und sie zurückzuschrecken. Doppelt und dreifach muß man da¬
her das Verdienst der Hofkammer (welche bekanntlich ministvi-o <i«8
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Wirksamkeit und Geist im Vergleich mit dem Uebrigen um fünfund¬
zwanzig Jahre voraus ist. Man mag die Finanzpolitik des Ba¬
ron Kübeck, von welchem Gesichtspunkt man will, kritisiren: eine große
und in Oesterreich seltene Eigenschaft wird Feind und Freund an ihm
verehren, einen festen, moralischen Willen, Energie! Diese Eigenschaft
ist es, was den jüngsten Namen unter den österreichischen Staats¬
männern so schnell populär gemacht hat. — Die Eröffnung der Ei¬
senbahn von Wien nach Grätz, welche vor acht Tagen stattfand, hat
wieder die öffentliche Stimme aufgeregt und die Blicke hingelenkt auf
die unendlichen Vortheile, welche das Gesetz über den Bau der Staats¬
eisenbahnen uns bringen muß. Die officielle Einweihungsfahrt selbst ist
etwas zu sehr im Zopfstyl ausgefallen. Man hat ein Nationalfest zu
einem Beamtenfest heruntergeschraubt. Die eingeladenen Gäste hatten
sämmtlich in acht Waggons Platz. Dafür war es auch lauter
Elite. Viele Corporationen, die man in anderen "Staaten in der
ersten Reihe bei solchen Feierlichkeiten figuriren sieht, waren hier aus¬
geschlossen, so z.B. die Universität. Was sollte auch diese hier? Die
Universitäten Oesterreichs fahren noch mit der Klepperpost hinter an¬
deren drein. Was sollte man sie an den Fortschritt erinnern?—Auch
die steifleinene Rangordnung, die bei dieser Erössnungsfahrt stattge¬
funden, wurde viel kritisirt. Die Plätze waren numerirt, so daß ja
nichteinj einfachcrMandarinenknopf einemzweiknöpsigen Mandarinen zwi¬
schen die Beine gerathen konnre. Das Merkwürdigste und Widersinnigste
war jedoch, daß bei der Tafel mit keinem einzigen Toaste
des Mannes gedacht wurde, der einer der Haupturheber dieses Festes
und unserer Eisenbahnen überhaupt ist: ich meine des Barons Kuh cet.
Nach den Toasten auf den Kaiser und das Kaiserhaus, auf die Stände
Steiermarks und aus den Erzherzog Johann fand Keiner ein Wort dank¬
barer Erinnerung an den Staatsmann, der mit solcher Energie den
ganzen Bau eingeleitet und überwacht. Ich weiß nicht, wer das un¬
sinnige Gerücht verbreitet hatte, ein solcher Toast würde nicht gerne
gehört werden, aber es war hinreichend, um selbst die unabhängigen
Männer, die bei dem Feste zugegen waren, davon abzuhalten. Ver¬
gebens forderten einige Anwesende den Baron Sina auf, dem es ge-


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[0329] gutmüthige Flausen, die aus Schonung für Einzelne die Reform des GanzenZ immer ge"" hinausschiebt, ist eine böse Krankheit. Joseph II. dieser edle Märtyrer radicaler Energie, hat in seiner Todesstunde sei-, nem unwürdigen Reiche geflucht, weil es ihm die Dornenkrone um das großgestnnte Haupt geflochten hat. Fast scheint es so. Denn die Er¬ innerung an sein tragisches Schicksal scheint bei jedem nothwendig werdenden Schritt den Lenkern Oesterreichs ein momento mori zuzu¬ rufen und sie zurückzuschrecken. Doppelt und dreifach muß man da¬ her das Verdienst der Hofkammer (welche bekanntlich ministvi-o <i«8 eilen»"!» und mi»i«lizre clef trilv.ax publics ist) anerkennen, deren Wirksamkeit und Geist im Vergleich mit dem Uebrigen um fünfund¬ zwanzig Jahre voraus ist. Man mag die Finanzpolitik des Ba¬ ron Kübeck, von welchem Gesichtspunkt man will, kritisiren: eine große und in Oesterreich seltene Eigenschaft wird Feind und Freund an ihm verehren, einen festen, moralischen Willen, Energie! Diese Eigenschaft ist es, was den jüngsten Namen unter den österreichischen Staats¬ männern so schnell populär gemacht hat. — Die Eröffnung der Ei¬ senbahn von Wien nach Grätz, welche vor acht Tagen stattfand, hat wieder die öffentliche Stimme aufgeregt und die Blicke hingelenkt auf die unendlichen Vortheile, welche das Gesetz über den Bau der Staats¬ eisenbahnen uns bringen muß. Die officielle Einweihungsfahrt selbst ist etwas zu sehr im Zopfstyl ausgefallen. Man hat ein Nationalfest zu einem Beamtenfest heruntergeschraubt. Die eingeladenen Gäste hatten sämmtlich in acht Waggons Platz. Dafür war es auch lauter Elite. Viele Corporationen, die man in anderen "Staaten in der ersten Reihe bei solchen Feierlichkeiten figuriren sieht, waren hier aus¬ geschlossen, so z.B. die Universität. Was sollte auch diese hier? Die Universitäten Oesterreichs fahren noch mit der Klepperpost hinter an¬ deren drein. Was sollte man sie an den Fortschritt erinnern?—Auch die steifleinene Rangordnung, die bei dieser Erössnungsfahrt stattge¬ funden, wurde viel kritisirt. Die Plätze waren numerirt, so daß ja nichteinj einfachcrMandarinenknopf einemzweiknöpsigen Mandarinen zwi¬ schen die Beine gerathen konnre. Das Merkwürdigste und Widersinnigste war jedoch, daß bei der Tafel mit keinem einzigen Toaste des Mannes gedacht wurde, der einer der Haupturheber dieses Festes und unserer Eisenbahnen überhaupt ist: ich meine des Barons Kuh cet. Nach den Toasten auf den Kaiser und das Kaiserhaus, auf die Stände Steiermarks und aus den Erzherzog Johann fand Keiner ein Wort dank¬ barer Erinnerung an den Staatsmann, der mit solcher Energie den ganzen Bau eingeleitet und überwacht. Ich weiß nicht, wer das un¬ sinnige Gerücht verbreitet hatte, ein solcher Toast würde nicht gerne gehört werden, aber es war hinreichend, um selbst die unabhängigen Männer, die bei dem Feste zugegen waren, davon abzuhalten. Ver¬ gebens forderten einige Anwesende den Baron Sina auf, dem es ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/329>, abgerufen am 01.09.2024.