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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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müßte man sagen, er hat eine halbe, der Lutheraner dreiviertel Reli¬
gion. Nichts destoweniger sagt man von einem Juden, der einen
rechtschaffenen Lebenswandel führt eben so gut, wie von einem Chri¬
sten, er hat Religion. Wenn also derjenige, der nur halb glaubt,
derjenige, der nur den hundertsten und milliontesten Theil glaubt,
Religion besitzt, so hat derjenige, der Nichts glaubt, die Religion des
Nichtsglaubens und kann daher, logisch geschlossen, wenn er bei sei¬
nem Nichtsglauben einen sittlichen Wandel führt, ein religiöser Mensch
genannt wervcn.

Geistlicher Herr. Also nach dieser Definition ist ein jeder
Hund, der brav ist, auch religiös.

Baron. Wie spitzfindig der geistliche Herr ist? er wird witzig!

Garnisons-Lieutenant. Sie können gut urtheilen, aber
Schlüsse machen, haben Sie nicht gelernt. Nachdem nur Menschen
einen Glauben und zwar vom Nichtsglauben bis zum Aberglauben
haben können und das Wort religiös nur auf die Gläubigen bezo¬
gen werden kann, so ist seine Anwendung aus die Hunde natürlich
lächerlich. Nur derjenige, der nach Wahrheit forschen kann und der
das Unglaubliche oder Ueberstnnliche glauben oder verwerfen darf,
hat eine Religion. Daraus folgt aber noch nicht, daß diejenigen
Menschen, welche gleiche Religion haben, auch den nämlichen Glau¬
ben haben müßten. Eine einzige Religion kann vermöge ihrer mo¬
ralischen Principien und des äußern Cultus Millionen vereinigen;
aber ob es unter diesen Millionen zwei Menschen geben wird, die
einen und denselben Glauben haben, das ist eine große Frage.

Geistlicher Herr. Die Sie doch nicht beantworten werden?

Garnisons-Lieutenant. Unser Glaube fängt immer dort
an, wo unser Wissen aufhört! --

Geistlicher Herr. Das ist nicht wahr! Man findet oft
Menschen, die gar Nichts wissen und Nichts glauben, und Men¬
schen, die sehr gelehrt sind und doch Alles glauben!

Garnisons-Lieutenant. Sie verwechseln die crasse Un¬
wissenheit mit dem zur Untersuchung der Wahrheit vorbereiteten Ver¬
stände. Daß ein Wilder in Amerika keine Dreifaltigkeit glaubt, ist
richtig; daß aber ein in der katholischen Religion wohlerzogener
Bauer, der seinen Katechismus erlernt hat, in der Erscheinung einer
Sonnenfinsternis! etwas Uebernatürliches und Unheilbringendes sieht,


müßte man sagen, er hat eine halbe, der Lutheraner dreiviertel Reli¬
gion. Nichts destoweniger sagt man von einem Juden, der einen
rechtschaffenen Lebenswandel führt eben so gut, wie von einem Chri¬
sten, er hat Religion. Wenn also derjenige, der nur halb glaubt,
derjenige, der nur den hundertsten und milliontesten Theil glaubt,
Religion besitzt, so hat derjenige, der Nichts glaubt, die Religion des
Nichtsglaubens und kann daher, logisch geschlossen, wenn er bei sei¬
nem Nichtsglauben einen sittlichen Wandel führt, ein religiöser Mensch
genannt wervcn.

Geistlicher Herr. Also nach dieser Definition ist ein jeder
Hund, der brav ist, auch religiös.

Baron. Wie spitzfindig der geistliche Herr ist? er wird witzig!

Garnisons-Lieutenant. Sie können gut urtheilen, aber
Schlüsse machen, haben Sie nicht gelernt. Nachdem nur Menschen
einen Glauben und zwar vom Nichtsglauben bis zum Aberglauben
haben können und das Wort religiös nur auf die Gläubigen bezo¬
gen werden kann, so ist seine Anwendung aus die Hunde natürlich
lächerlich. Nur derjenige, der nach Wahrheit forschen kann und der
das Unglaubliche oder Ueberstnnliche glauben oder verwerfen darf,
hat eine Religion. Daraus folgt aber noch nicht, daß diejenigen
Menschen, welche gleiche Religion haben, auch den nämlichen Glau¬
ben haben müßten. Eine einzige Religion kann vermöge ihrer mo¬
ralischen Principien und des äußern Cultus Millionen vereinigen;
aber ob es unter diesen Millionen zwei Menschen geben wird, die
einen und denselben Glauben haben, das ist eine große Frage.

Geistlicher Herr. Die Sie doch nicht beantworten werden?

Garnisons-Lieutenant. Unser Glaube fängt immer dort
an, wo unser Wissen aufhört! —

Geistlicher Herr. Das ist nicht wahr! Man findet oft
Menschen, die gar Nichts wissen und Nichts glauben, und Men¬
schen, die sehr gelehrt sind und doch Alles glauben!

Garnisons-Lieutenant. Sie verwechseln die crasse Un¬
wissenheit mit dem zur Untersuchung der Wahrheit vorbereiteten Ver¬
stände. Daß ein Wilder in Amerika keine Dreifaltigkeit glaubt, ist
richtig; daß aber ein in der katholischen Religion wohlerzogener
Bauer, der seinen Katechismus erlernt hat, in der Erscheinung einer
Sonnenfinsternis! etwas Uebernatürliches und Unheilbringendes sieht,


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[0321] müßte man sagen, er hat eine halbe, der Lutheraner dreiviertel Reli¬ gion. Nichts destoweniger sagt man von einem Juden, der einen rechtschaffenen Lebenswandel führt eben so gut, wie von einem Chri¬ sten, er hat Religion. Wenn also derjenige, der nur halb glaubt, derjenige, der nur den hundertsten und milliontesten Theil glaubt, Religion besitzt, so hat derjenige, der Nichts glaubt, die Religion des Nichtsglaubens und kann daher, logisch geschlossen, wenn er bei sei¬ nem Nichtsglauben einen sittlichen Wandel führt, ein religiöser Mensch genannt wervcn. Geistlicher Herr. Also nach dieser Definition ist ein jeder Hund, der brav ist, auch religiös. Baron. Wie spitzfindig der geistliche Herr ist? er wird witzig! Garnisons-Lieutenant. Sie können gut urtheilen, aber Schlüsse machen, haben Sie nicht gelernt. Nachdem nur Menschen einen Glauben und zwar vom Nichtsglauben bis zum Aberglauben haben können und das Wort religiös nur auf die Gläubigen bezo¬ gen werden kann, so ist seine Anwendung aus die Hunde natürlich lächerlich. Nur derjenige, der nach Wahrheit forschen kann und der das Unglaubliche oder Ueberstnnliche glauben oder verwerfen darf, hat eine Religion. Daraus folgt aber noch nicht, daß diejenigen Menschen, welche gleiche Religion haben, auch den nämlichen Glau¬ ben haben müßten. Eine einzige Religion kann vermöge ihrer mo¬ ralischen Principien und des äußern Cultus Millionen vereinigen; aber ob es unter diesen Millionen zwei Menschen geben wird, die einen und denselben Glauben haben, das ist eine große Frage. Geistlicher Herr. Die Sie doch nicht beantworten werden? Garnisons-Lieutenant. Unser Glaube fängt immer dort an, wo unser Wissen aufhört! — Geistlicher Herr. Das ist nicht wahr! Man findet oft Menschen, die gar Nichts wissen und Nichts glauben, und Men¬ schen, die sehr gelehrt sind und doch Alles glauben! Garnisons-Lieutenant. Sie verwechseln die crasse Un¬ wissenheit mit dem zur Untersuchung der Wahrheit vorbereiteten Ver¬ stände. Daß ein Wilder in Amerika keine Dreifaltigkeit glaubt, ist richtig; daß aber ein in der katholischen Religion wohlerzogener Bauer, der seinen Katechismus erlernt hat, in der Erscheinung einer Sonnenfinsternis! etwas Uebernatürliches und Unheilbringendes sieht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/321>, abgerufen am 01.09.2024.