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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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über die deutsche Ehre brechen; und Euere "gute" Presse genirt sich
nicht, in ganz loyaler, gemüthlicher Weise viel unverzeihlicher, als
"Ruge und Eonsocten" Deutschland zu verleumden! Was würde die
Nachwelt sagen, wenn sie die Deutschen von jetzt nach ihrer Zeitungs-
prcsse allein zu beurtheilen gezwungen wäre? Ist das deutsche Grad-
heit und Ehrlichkeit oder die höhnischste Parodie darauf?

-- In der fränkischen Vorstadt Konstantinopels, in Pera, hat
eine, vermuthlich angelegte Feuersbrunst über 200 Hauser verzehrt.
Unter den müßigen Zuschauern, die ein solches Spektakel in der Tür¬
kei jedesmal herbeizieht, waren hohe Würdenträger der Pforte, die,
anstatt das Volk zum Löschen anzutreiben, sich am Anblick der Flam¬
men weideten und innerlich zu triumphiren schienen. Die Europäer
verfehlen nicht, über die Barbarei, die Uncivilisirbarkeit und die grim¬
mige Tücke der Moslemiten zu schreien; und doch erwähnen sie selbst
den unheimlichen Grund, aus dem jene Flammen zum Himmel schlu¬
gen. Der größte Theil von Pera steht aus türkischen Friedhöfen! Als
man jüngst eine Kloake, welche durch diesen Stadttheil geht, ausgrub,
fand man einen türkischen Leichenstein, in ihrem unheiligen In¬
halt begraben. Wer die orientalische Ehrfurcht vor den Gräbern der
Väter kennt, wird in der konstantinopolitanischen Mordbrennerei et¬
was Anderes als gemeinen Frankenhaß sehen. Welche sonderbare
Wege pflegt doch unsere "Civilisation" in ihrem Kampfe und in ihren
Eroberungen gegen Naturvölker oder gesunkene Nationen einzuschlagen.
Mit Kloaken überzieht sie ihr Heiligstes, mit Verachtung die Gräber
ihrer Vorfahren, mit dem Fußtritt des Hochmuths sucht sie alte Sitte,
Sprache und Religion zu ersticken. Dann aber wundert sie sich, wenn
die Besiegten ihren Rückzug mit Flammen des Hasses, mit Tücke
und Grausamkeit bezeichnen. Aehnliche Schauspiele haben wir nicht
nur in der Türkei; wir haben sie auch im Kaukasus, in Algerien
und in Nordamerika, bei dem Kampf zwischen Indianern und phari¬
säischen Pelzhändlern gehabt.

-- In Hamburg ist vor einigen Tagen Gutzkow's Pugatschcff
mit günstigem Erfolge über die Bretter gegangen. Einen ausführli¬
chen Bericht erhalten wir in nächster Woche von unserem Hamburger
Correspondenten. Hoffentlich wird das Stück nicht, wegen politischer
Rücksichten für den Schwagerstaat, in Berlin verboten werden. In
Leipzig erwarten wir es gewiß aufgeführt zu sehen.

-- Wozu die Verbote in Baiern nützen sollen, ist wahrlich nicht
einzusehen. In andern Ländern regen sie die Leselust an und fördern
das Interesse für Zeiterscheinungen. In Baiern haben nicht einmal


über die deutsche Ehre brechen; und Euere „gute" Presse genirt sich
nicht, in ganz loyaler, gemüthlicher Weise viel unverzeihlicher, als
„Ruge und Eonsocten" Deutschland zu verleumden! Was würde die
Nachwelt sagen, wenn sie die Deutschen von jetzt nach ihrer Zeitungs-
prcsse allein zu beurtheilen gezwungen wäre? Ist das deutsche Grad-
heit und Ehrlichkeit oder die höhnischste Parodie darauf?

— In der fränkischen Vorstadt Konstantinopels, in Pera, hat
eine, vermuthlich angelegte Feuersbrunst über 200 Hauser verzehrt.
Unter den müßigen Zuschauern, die ein solches Spektakel in der Tür¬
kei jedesmal herbeizieht, waren hohe Würdenträger der Pforte, die,
anstatt das Volk zum Löschen anzutreiben, sich am Anblick der Flam¬
men weideten und innerlich zu triumphiren schienen. Die Europäer
verfehlen nicht, über die Barbarei, die Uncivilisirbarkeit und die grim¬
mige Tücke der Moslemiten zu schreien; und doch erwähnen sie selbst
den unheimlichen Grund, aus dem jene Flammen zum Himmel schlu¬
gen. Der größte Theil von Pera steht aus türkischen Friedhöfen! Als
man jüngst eine Kloake, welche durch diesen Stadttheil geht, ausgrub,
fand man einen türkischen Leichenstein, in ihrem unheiligen In¬
halt begraben. Wer die orientalische Ehrfurcht vor den Gräbern der
Väter kennt, wird in der konstantinopolitanischen Mordbrennerei et¬
was Anderes als gemeinen Frankenhaß sehen. Welche sonderbare
Wege pflegt doch unsere „Civilisation" in ihrem Kampfe und in ihren
Eroberungen gegen Naturvölker oder gesunkene Nationen einzuschlagen.
Mit Kloaken überzieht sie ihr Heiligstes, mit Verachtung die Gräber
ihrer Vorfahren, mit dem Fußtritt des Hochmuths sucht sie alte Sitte,
Sprache und Religion zu ersticken. Dann aber wundert sie sich, wenn
die Besiegten ihren Rückzug mit Flammen des Hasses, mit Tücke
und Grausamkeit bezeichnen. Aehnliche Schauspiele haben wir nicht
nur in der Türkei; wir haben sie auch im Kaukasus, in Algerien
und in Nordamerika, bei dem Kampf zwischen Indianern und phari¬
säischen Pelzhändlern gehabt.

— In Hamburg ist vor einigen Tagen Gutzkow's Pugatschcff
mit günstigem Erfolge über die Bretter gegangen. Einen ausführli¬
chen Bericht erhalten wir in nächster Woche von unserem Hamburger
Correspondenten. Hoffentlich wird das Stück nicht, wegen politischer
Rücksichten für den Schwagerstaat, in Berlin verboten werden. In
Leipzig erwarten wir es gewiß aufgeführt zu sehen.

— Wozu die Verbote in Baiern nützen sollen, ist wahrlich nicht
einzusehen. In andern Ländern regen sie die Leselust an und fördern
das Interesse für Zeiterscheinungen. In Baiern haben nicht einmal


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[0291] über die deutsche Ehre brechen; und Euere „gute" Presse genirt sich nicht, in ganz loyaler, gemüthlicher Weise viel unverzeihlicher, als „Ruge und Eonsocten" Deutschland zu verleumden! Was würde die Nachwelt sagen, wenn sie die Deutschen von jetzt nach ihrer Zeitungs- prcsse allein zu beurtheilen gezwungen wäre? Ist das deutsche Grad- heit und Ehrlichkeit oder die höhnischste Parodie darauf? — In der fränkischen Vorstadt Konstantinopels, in Pera, hat eine, vermuthlich angelegte Feuersbrunst über 200 Hauser verzehrt. Unter den müßigen Zuschauern, die ein solches Spektakel in der Tür¬ kei jedesmal herbeizieht, waren hohe Würdenträger der Pforte, die, anstatt das Volk zum Löschen anzutreiben, sich am Anblick der Flam¬ men weideten und innerlich zu triumphiren schienen. Die Europäer verfehlen nicht, über die Barbarei, die Uncivilisirbarkeit und die grim¬ mige Tücke der Moslemiten zu schreien; und doch erwähnen sie selbst den unheimlichen Grund, aus dem jene Flammen zum Himmel schlu¬ gen. Der größte Theil von Pera steht aus türkischen Friedhöfen! Als man jüngst eine Kloake, welche durch diesen Stadttheil geht, ausgrub, fand man einen türkischen Leichenstein, in ihrem unheiligen In¬ halt begraben. Wer die orientalische Ehrfurcht vor den Gräbern der Väter kennt, wird in der konstantinopolitanischen Mordbrennerei et¬ was Anderes als gemeinen Frankenhaß sehen. Welche sonderbare Wege pflegt doch unsere „Civilisation" in ihrem Kampfe und in ihren Eroberungen gegen Naturvölker oder gesunkene Nationen einzuschlagen. Mit Kloaken überzieht sie ihr Heiligstes, mit Verachtung die Gräber ihrer Vorfahren, mit dem Fußtritt des Hochmuths sucht sie alte Sitte, Sprache und Religion zu ersticken. Dann aber wundert sie sich, wenn die Besiegten ihren Rückzug mit Flammen des Hasses, mit Tücke und Grausamkeit bezeichnen. Aehnliche Schauspiele haben wir nicht nur in der Türkei; wir haben sie auch im Kaukasus, in Algerien und in Nordamerika, bei dem Kampf zwischen Indianern und phari¬ säischen Pelzhändlern gehabt. — In Hamburg ist vor einigen Tagen Gutzkow's Pugatschcff mit günstigem Erfolge über die Bretter gegangen. Einen ausführli¬ chen Bericht erhalten wir in nächster Woche von unserem Hamburger Correspondenten. Hoffentlich wird das Stück nicht, wegen politischer Rücksichten für den Schwagerstaat, in Berlin verboten werden. In Leipzig erwarten wir es gewiß aufgeführt zu sehen. — Wozu die Verbote in Baiern nützen sollen, ist wahrlich nicht einzusehen. In andern Ländern regen sie die Leselust an und fördern das Interesse für Zeiterscheinungen. In Baiern haben nicht einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/291>, abgerufen am 01.09.2024.