Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

genug vor dem Auslande vertreten sind. Bis zu der Gründung ei¬
nes solchen Journals -- insofern das Bedürfniß des Publicums
je seine Eristenz möglich machen sollte -- werden es die hiesigen
Literaten und Freunde der Literatur namentlich den "Grenzboten"
Dank wissen, wenn sie über der hiesigen Kunst, welche wenigstens in
ihren größeren monumentalen Werken auswärts besprochen wird, die
literarischen Bestrebungen Münchens nicht gänzlich vergessen; denn
allerdings beobachtet man über diese außerhalb ein Stillschweigen,
welches auch die hoffnungsvollsten Talente zu ermüden, aufzureiben,
zu tödten im Stande ist.

Daher erlaube ich mir, zu einer früheren Skizze über hiesige
Literatur und Literaten noch einige Nachträge zu liefern. Unter den
dramatischen Dichtern Münchens vergaß ich Hermann Schmidt
zu nennen, Verfasser der hier aufgeführten und beifällig aufgenom¬
menen Dramen "Brzetiölaw" und "Camoens". Was ich über diese
Stücke besonders von gebildeten Frauen hörte, scheint dafür zu spre¬
chen, daß der Dichter ein zartes poetisches Talent besitzt und, wenn
ihm die Bühnen freundlicher entgegenkommen, als sie in der Regel
thun, manches Gute von sich hoffen läßt. Dem "eeelosiao co-m-
Kvlicao lortissimizs aävuciüus", wie er in seinem Leipziger Ehren-
doctor-Diplom genannt wird, dem Hofrath Thtersch, hätten billi¬
ger Weise an geeigneter Stelle einige Worte der Anerkennung ge¬
widmet werden sollen, da er mit ungebeugter Ausdauer in München
gleichsam den äußersten Brückenkopf des Protestantismus zu verthei¬
digen fortfährt. Er besitzt nicht den starren und mächtigen Erguß
der Geistes- und Charakterbildung, wodurch sich der berühmte Haupt¬
vorkämpfer der entgegenstehenden Partei, I. I. Görres, auszeichnet,
aber um so mehr die Beweglichkeit, den Schmelz und die zeitgemäße
Vielseitigkeit der modernen Bildung, welche weniger durch machtvolle
Worte überreden, als durch klare Schweigsamkeit der Darstellung
überzeugen will. Mit dieser Modernität seines Empfindens und Den¬
kens hat er selbst seine Ansicht, daß der höhere Unterricht wesentlich,
oder fast ausschließlich auf das Studium der alten Sprachen basirt
werden müsse, geschickt in Uebereinstimmung zu bringen gewußt. Zu
den populärer gewordenen Namen Münchens gehört noch Ennemo-
se r, bekannt als geistvoller Geschichtschreiber des Magnetismus und
als eigenthümlich forschender Anthropolog". Er ist der Sohn eines


genug vor dem Auslande vertreten sind. Bis zu der Gründung ei¬
nes solchen Journals — insofern das Bedürfniß des Publicums
je seine Eristenz möglich machen sollte — werden es die hiesigen
Literaten und Freunde der Literatur namentlich den „Grenzboten"
Dank wissen, wenn sie über der hiesigen Kunst, welche wenigstens in
ihren größeren monumentalen Werken auswärts besprochen wird, die
literarischen Bestrebungen Münchens nicht gänzlich vergessen; denn
allerdings beobachtet man über diese außerhalb ein Stillschweigen,
welches auch die hoffnungsvollsten Talente zu ermüden, aufzureiben,
zu tödten im Stande ist.

Daher erlaube ich mir, zu einer früheren Skizze über hiesige
Literatur und Literaten noch einige Nachträge zu liefern. Unter den
dramatischen Dichtern Münchens vergaß ich Hermann Schmidt
zu nennen, Verfasser der hier aufgeführten und beifällig aufgenom¬
menen Dramen „Brzetiölaw" und „Camoens". Was ich über diese
Stücke besonders von gebildeten Frauen hörte, scheint dafür zu spre¬
chen, daß der Dichter ein zartes poetisches Talent besitzt und, wenn
ihm die Bühnen freundlicher entgegenkommen, als sie in der Regel
thun, manches Gute von sich hoffen läßt. Dem „eeelosiao co-m-
Kvlicao lortissimizs aävuciüus", wie er in seinem Leipziger Ehren-
doctor-Diplom genannt wird, dem Hofrath Thtersch, hätten billi¬
ger Weise an geeigneter Stelle einige Worte der Anerkennung ge¬
widmet werden sollen, da er mit ungebeugter Ausdauer in München
gleichsam den äußersten Brückenkopf des Protestantismus zu verthei¬
digen fortfährt. Er besitzt nicht den starren und mächtigen Erguß
der Geistes- und Charakterbildung, wodurch sich der berühmte Haupt¬
vorkämpfer der entgegenstehenden Partei, I. I. Görres, auszeichnet,
aber um so mehr die Beweglichkeit, den Schmelz und die zeitgemäße
Vielseitigkeit der modernen Bildung, welche weniger durch machtvolle
Worte überreden, als durch klare Schweigsamkeit der Darstellung
überzeugen will. Mit dieser Modernität seines Empfindens und Den¬
kens hat er selbst seine Ansicht, daß der höhere Unterricht wesentlich,
oder fast ausschließlich auf das Studium der alten Sprachen basirt
werden müsse, geschickt in Uebereinstimmung zu bringen gewußt. Zu
den populärer gewordenen Namen Münchens gehört noch Ennemo-
se r, bekannt als geistvoller Geschichtschreiber des Magnetismus und
als eigenthümlich forschender Anthropolog«. Er ist der Sohn eines


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181456"/>
            <p xml:id="ID_752" prev="#ID_751"> genug vor dem Auslande vertreten sind. Bis zu der Gründung ei¬<lb/>
nes solchen Journals &#x2014; insofern das Bedürfniß des Publicums<lb/>
je seine Eristenz möglich machen sollte &#x2014; werden es die hiesigen<lb/>
Literaten und Freunde der Literatur namentlich den &#x201E;Grenzboten"<lb/>
Dank wissen, wenn sie über der hiesigen Kunst, welche wenigstens in<lb/>
ihren größeren monumentalen Werken auswärts besprochen wird, die<lb/>
literarischen Bestrebungen Münchens nicht gänzlich vergessen; denn<lb/>
allerdings beobachtet man über diese außerhalb ein Stillschweigen,<lb/>
welches auch die hoffnungsvollsten Talente zu ermüden, aufzureiben,<lb/>
zu tödten im Stande ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_753" next="#ID_754"> Daher erlaube ich mir, zu einer früheren Skizze über hiesige<lb/>
Literatur und Literaten noch einige Nachträge zu liefern. Unter den<lb/>
dramatischen Dichtern Münchens vergaß ich Hermann Schmidt<lb/>
zu nennen, Verfasser der hier aufgeführten und beifällig aufgenom¬<lb/>
menen Dramen &#x201E;Brzetiölaw" und &#x201E;Camoens". Was ich über diese<lb/>
Stücke besonders von gebildeten Frauen hörte, scheint dafür zu spre¬<lb/>
chen, daß der Dichter ein zartes poetisches Talent besitzt und, wenn<lb/>
ihm die Bühnen freundlicher entgegenkommen, als sie in der Regel<lb/>
thun, manches Gute von sich hoffen läßt. Dem &#x201E;eeelosiao co-m-<lb/>
Kvlicao lortissimizs aävuciüus", wie er in seinem Leipziger Ehren-<lb/>
doctor-Diplom genannt wird, dem Hofrath Thtersch, hätten billi¬<lb/>
ger Weise an geeigneter Stelle einige Worte der Anerkennung ge¬<lb/>
widmet werden sollen, da er mit ungebeugter Ausdauer in München<lb/>
gleichsam den äußersten Brückenkopf des Protestantismus zu verthei¬<lb/>
digen fortfährt. Er besitzt nicht den starren und mächtigen Erguß<lb/>
der Geistes- und Charakterbildung, wodurch sich der berühmte Haupt¬<lb/>
vorkämpfer der entgegenstehenden Partei, I. I. Görres, auszeichnet,<lb/>
aber um so mehr die Beweglichkeit, den Schmelz und die zeitgemäße<lb/>
Vielseitigkeit der modernen Bildung, welche weniger durch machtvolle<lb/>
Worte überreden, als durch klare Schweigsamkeit der Darstellung<lb/>
überzeugen will. Mit dieser Modernität seines Empfindens und Den¬<lb/>
kens hat er selbst seine Ansicht, daß der höhere Unterricht wesentlich,<lb/>
oder fast ausschließlich auf das Studium der alten Sprachen basirt<lb/>
werden müsse, geschickt in Uebereinstimmung zu bringen gewußt. Zu<lb/>
den populärer gewordenen Namen Münchens gehört noch Ennemo-<lb/>
se r, bekannt als geistvoller Geschichtschreiber des Magnetismus und<lb/>
als eigenthümlich forschender Anthropolog«. Er ist der Sohn eines</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] genug vor dem Auslande vertreten sind. Bis zu der Gründung ei¬ nes solchen Journals — insofern das Bedürfniß des Publicums je seine Eristenz möglich machen sollte — werden es die hiesigen Literaten und Freunde der Literatur namentlich den „Grenzboten" Dank wissen, wenn sie über der hiesigen Kunst, welche wenigstens in ihren größeren monumentalen Werken auswärts besprochen wird, die literarischen Bestrebungen Münchens nicht gänzlich vergessen; denn allerdings beobachtet man über diese außerhalb ein Stillschweigen, welches auch die hoffnungsvollsten Talente zu ermüden, aufzureiben, zu tödten im Stande ist. Daher erlaube ich mir, zu einer früheren Skizze über hiesige Literatur und Literaten noch einige Nachträge zu liefern. Unter den dramatischen Dichtern Münchens vergaß ich Hermann Schmidt zu nennen, Verfasser der hier aufgeführten und beifällig aufgenom¬ menen Dramen „Brzetiölaw" und „Camoens". Was ich über diese Stücke besonders von gebildeten Frauen hörte, scheint dafür zu spre¬ chen, daß der Dichter ein zartes poetisches Talent besitzt und, wenn ihm die Bühnen freundlicher entgegenkommen, als sie in der Regel thun, manches Gute von sich hoffen läßt. Dem „eeelosiao co-m- Kvlicao lortissimizs aävuciüus", wie er in seinem Leipziger Ehren- doctor-Diplom genannt wird, dem Hofrath Thtersch, hätten billi¬ ger Weise an geeigneter Stelle einige Worte der Anerkennung ge¬ widmet werden sollen, da er mit ungebeugter Ausdauer in München gleichsam den äußersten Brückenkopf des Protestantismus zu verthei¬ digen fortfährt. Er besitzt nicht den starren und mächtigen Erguß der Geistes- und Charakterbildung, wodurch sich der berühmte Haupt¬ vorkämpfer der entgegenstehenden Partei, I. I. Görres, auszeichnet, aber um so mehr die Beweglichkeit, den Schmelz und die zeitgemäße Vielseitigkeit der modernen Bildung, welche weniger durch machtvolle Worte überreden, als durch klare Schweigsamkeit der Darstellung überzeugen will. Mit dieser Modernität seines Empfindens und Den¬ kens hat er selbst seine Ansicht, daß der höhere Unterricht wesentlich, oder fast ausschließlich auf das Studium der alten Sprachen basirt werden müsse, geschickt in Uebereinstimmung zu bringen gewußt. Zu den populärer gewordenen Namen Münchens gehört noch Ennemo- se r, bekannt als geistvoller Geschichtschreiber des Magnetismus und als eigenthümlich forschender Anthropolog«. Er ist der Sohn eines

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/272>, abgerufen am 27.07.2024.