Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

graphischen Artikeln gewidmeten Werke eine Stelle zu finden. Dem
mit der Abfassung des Artikels beauftragten, durchaus ehrenwerthen
Schriftsteller erklärte er jedoch kurzweg: er sehe sich leider veranlaßt,
alle Materialien zu verweigern, da seine Fähigkeiten, Leistungen und
Verdienste so gering seien, daß er auf einen biographischen Artikel
in einem solchen Werke gar keinen Anspruch habe. Während seines
Lebens wenigstens, dies sei sein Wunsch, möge über ihn Nichts ge¬
schrieben werden.

In einer Stadt, wo man in solchem Maße selbst die solideste
öffentliche Besprechung scheut, wird man natürlich jeden journalisti¬
schen Tadel, möge er noch so gemäßigt und in eine Weihrauchwolke
des überschwänglichsten Lobes eingehüllt sein, wie das höllische Feuer
selbst fürchten. Von dieser Empfindlichkeit und Reizbarkeit hiesiger,
besonders künstlerischer Autoritäten könnte ich Beispiele erzählen, die
man in Norddeutschland nicht für möglich halten würde. Freilich
kommt man in Deutschland wie unter den Lappen und Eskimos am
besten fort, wenn man seinem Urtheil das seidene Mäntelchen der
Schmeichelei geschickt umzuhängen weiß. Auch unter den Eskimos?
Allerdings! Man rühme nur ihren Fisch- und Seehundöthran als
eine vorzügliche Speise, und man wird sehen, wie trefflich man bei
ihnen wegen dieser Anerkennung ihres guten Geschmacks aufgenom¬
men sein wird. Der ehrliche Wandsbecker Bote, mit dessen gesundem
Humor der Himmel irgend einen jungen Deutschen begraben wolle,
sagt in seiner köstlichen "Nachricht von seiner Audienz beim Kaiser
von Japan" zum Chan: "Hast Du wohl schon eine Katze gesehen?
Je mehr man der den Rücken streichelt, desto höher hält sie den
Schwanz; und in jedem Menschen steckt eine solche Katze, Sire!"
"Die Wahrheit aber," sagt Shakspeare, "wird in's Hundelvch ge¬
sperrt."

Die bereits moderner angeregten Jüngeren beginnen jedoch das
rasche Transportmittel der Publicistik und Journalistik, jener unwider¬
stehlichen, Alles überwältigenden Macht, gerechter zu würdigen. Sie
fühlen, daß ihnen die Journalistik denselben Vortheil zu gewähren
berufen ist, welchen der Verkehr durch Schiffe den Bewohnern einer
einsamen Insel gewährt, und empfinden es, wie die hiesigen Künst¬
ler, namentlich schmerzlich, daß sie an Ort und Stelle durch ein alle
ihre Interessen umfassendes Journal nicht rasch, kräftig und würdig


34 "

graphischen Artikeln gewidmeten Werke eine Stelle zu finden. Dem
mit der Abfassung des Artikels beauftragten, durchaus ehrenwerthen
Schriftsteller erklärte er jedoch kurzweg: er sehe sich leider veranlaßt,
alle Materialien zu verweigern, da seine Fähigkeiten, Leistungen und
Verdienste so gering seien, daß er auf einen biographischen Artikel
in einem solchen Werke gar keinen Anspruch habe. Während seines
Lebens wenigstens, dies sei sein Wunsch, möge über ihn Nichts ge¬
schrieben werden.

In einer Stadt, wo man in solchem Maße selbst die solideste
öffentliche Besprechung scheut, wird man natürlich jeden journalisti¬
schen Tadel, möge er noch so gemäßigt und in eine Weihrauchwolke
des überschwänglichsten Lobes eingehüllt sein, wie das höllische Feuer
selbst fürchten. Von dieser Empfindlichkeit und Reizbarkeit hiesiger,
besonders künstlerischer Autoritäten könnte ich Beispiele erzählen, die
man in Norddeutschland nicht für möglich halten würde. Freilich
kommt man in Deutschland wie unter den Lappen und Eskimos am
besten fort, wenn man seinem Urtheil das seidene Mäntelchen der
Schmeichelei geschickt umzuhängen weiß. Auch unter den Eskimos?
Allerdings! Man rühme nur ihren Fisch- und Seehundöthran als
eine vorzügliche Speise, und man wird sehen, wie trefflich man bei
ihnen wegen dieser Anerkennung ihres guten Geschmacks aufgenom¬
men sein wird. Der ehrliche Wandsbecker Bote, mit dessen gesundem
Humor der Himmel irgend einen jungen Deutschen begraben wolle,
sagt in seiner köstlichen „Nachricht von seiner Audienz beim Kaiser
von Japan" zum Chan: „Hast Du wohl schon eine Katze gesehen?
Je mehr man der den Rücken streichelt, desto höher hält sie den
Schwanz; und in jedem Menschen steckt eine solche Katze, Sire!"
„Die Wahrheit aber," sagt Shakspeare, „wird in's Hundelvch ge¬
sperrt."

Die bereits moderner angeregten Jüngeren beginnen jedoch das
rasche Transportmittel der Publicistik und Journalistik, jener unwider¬
stehlichen, Alles überwältigenden Macht, gerechter zu würdigen. Sie
fühlen, daß ihnen die Journalistik denselben Vortheil zu gewähren
berufen ist, welchen der Verkehr durch Schiffe den Bewohnern einer
einsamen Insel gewährt, und empfinden es, wie die hiesigen Künst¬
ler, namentlich schmerzlich, daß sie an Ort und Stelle durch ein alle
ihre Interessen umfassendes Journal nicht rasch, kräftig und würdig


34 »
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181455"/>
            <p xml:id="ID_749" prev="#ID_748"> graphischen Artikeln gewidmeten Werke eine Stelle zu finden. Dem<lb/>
mit der Abfassung des Artikels beauftragten, durchaus ehrenwerthen<lb/>
Schriftsteller erklärte er jedoch kurzweg: er sehe sich leider veranlaßt,<lb/>
alle Materialien zu verweigern, da seine Fähigkeiten, Leistungen und<lb/>
Verdienste so gering seien, daß er auf einen biographischen Artikel<lb/>
in einem solchen Werke gar keinen Anspruch habe. Während seines<lb/>
Lebens wenigstens, dies sei sein Wunsch, möge über ihn Nichts ge¬<lb/>
schrieben werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_750"> In einer Stadt, wo man in solchem Maße selbst die solideste<lb/>
öffentliche Besprechung scheut, wird man natürlich jeden journalisti¬<lb/>
schen Tadel, möge er noch so gemäßigt und in eine Weihrauchwolke<lb/>
des überschwänglichsten Lobes eingehüllt sein, wie das höllische Feuer<lb/>
selbst fürchten. Von dieser Empfindlichkeit und Reizbarkeit hiesiger,<lb/>
besonders künstlerischer Autoritäten könnte ich Beispiele erzählen, die<lb/>
man in Norddeutschland nicht für möglich halten würde. Freilich<lb/>
kommt man in Deutschland wie unter den Lappen und Eskimos am<lb/>
besten fort, wenn man seinem Urtheil das seidene Mäntelchen der<lb/>
Schmeichelei geschickt umzuhängen weiß. Auch unter den Eskimos?<lb/>
Allerdings! Man rühme nur ihren Fisch- und Seehundöthran als<lb/>
eine vorzügliche Speise, und man wird sehen, wie trefflich man bei<lb/>
ihnen wegen dieser Anerkennung ihres guten Geschmacks aufgenom¬<lb/>
men sein wird. Der ehrliche Wandsbecker Bote, mit dessen gesundem<lb/>
Humor der Himmel irgend einen jungen Deutschen begraben wolle,<lb/>
sagt in seiner köstlichen &#x201E;Nachricht von seiner Audienz beim Kaiser<lb/>
von Japan" zum Chan: &#x201E;Hast Du wohl schon eine Katze gesehen?<lb/>
Je mehr man der den Rücken streichelt, desto höher hält sie den<lb/>
Schwanz; und in jedem Menschen steckt eine solche Katze, Sire!"<lb/>
&#x201E;Die Wahrheit aber," sagt Shakspeare, &#x201E;wird in's Hundelvch ge¬<lb/>
sperrt."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_751" next="#ID_752"> Die bereits moderner angeregten Jüngeren beginnen jedoch das<lb/>
rasche Transportmittel der Publicistik und Journalistik, jener unwider¬<lb/>
stehlichen, Alles überwältigenden Macht, gerechter zu würdigen. Sie<lb/>
fühlen, daß ihnen die Journalistik denselben Vortheil zu gewähren<lb/>
berufen ist, welchen der Verkehr durch Schiffe den Bewohnern einer<lb/>
einsamen Insel gewährt, und empfinden es, wie die hiesigen Künst¬<lb/>
ler, namentlich schmerzlich, daß sie an Ort und Stelle durch ein alle<lb/>
ihre Interessen umfassendes Journal nicht rasch, kräftig und würdig</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 34 »</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] graphischen Artikeln gewidmeten Werke eine Stelle zu finden. Dem mit der Abfassung des Artikels beauftragten, durchaus ehrenwerthen Schriftsteller erklärte er jedoch kurzweg: er sehe sich leider veranlaßt, alle Materialien zu verweigern, da seine Fähigkeiten, Leistungen und Verdienste so gering seien, daß er auf einen biographischen Artikel in einem solchen Werke gar keinen Anspruch habe. Während seines Lebens wenigstens, dies sei sein Wunsch, möge über ihn Nichts ge¬ schrieben werden. In einer Stadt, wo man in solchem Maße selbst die solideste öffentliche Besprechung scheut, wird man natürlich jeden journalisti¬ schen Tadel, möge er noch so gemäßigt und in eine Weihrauchwolke des überschwänglichsten Lobes eingehüllt sein, wie das höllische Feuer selbst fürchten. Von dieser Empfindlichkeit und Reizbarkeit hiesiger, besonders künstlerischer Autoritäten könnte ich Beispiele erzählen, die man in Norddeutschland nicht für möglich halten würde. Freilich kommt man in Deutschland wie unter den Lappen und Eskimos am besten fort, wenn man seinem Urtheil das seidene Mäntelchen der Schmeichelei geschickt umzuhängen weiß. Auch unter den Eskimos? Allerdings! Man rühme nur ihren Fisch- und Seehundöthran als eine vorzügliche Speise, und man wird sehen, wie trefflich man bei ihnen wegen dieser Anerkennung ihres guten Geschmacks aufgenom¬ men sein wird. Der ehrliche Wandsbecker Bote, mit dessen gesundem Humor der Himmel irgend einen jungen Deutschen begraben wolle, sagt in seiner köstlichen „Nachricht von seiner Audienz beim Kaiser von Japan" zum Chan: „Hast Du wohl schon eine Katze gesehen? Je mehr man der den Rücken streichelt, desto höher hält sie den Schwanz; und in jedem Menschen steckt eine solche Katze, Sire!" „Die Wahrheit aber," sagt Shakspeare, „wird in's Hundelvch ge¬ sperrt." Die bereits moderner angeregten Jüngeren beginnen jedoch das rasche Transportmittel der Publicistik und Journalistik, jener unwider¬ stehlichen, Alles überwältigenden Macht, gerechter zu würdigen. Sie fühlen, daß ihnen die Journalistik denselben Vortheil zu gewähren berufen ist, welchen der Verkehr durch Schiffe den Bewohnern einer einsamen Insel gewährt, und empfinden es, wie die hiesigen Künst¬ ler, namentlich schmerzlich, daß sie an Ort und Stelle durch ein alle ihre Interessen umfassendes Journal nicht rasch, kräftig und würdig 34 »

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/271>, abgerufen am 27.07.2024.