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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Journalisten meist nur wie des Färbers Gaul im Ring herumschlen¬
dert. Die junge deutsche Schriftstellerwelt hat, unter der Maske
demokratischer Tendenzen, recht der aristokratischen Salon- und Mode¬
herrschast in die Hände gearbeitet, ohne zu bedenken, wie perfide und
wetterwendisch die Gunst der fashionablen aristokratischen Bildung ist
und wie zersplittert, zerfahren und kleinlich die Einführung französi¬
scher Zustände auf deutsches Gebiet in der Regel geräth. Ja, wenn
wir nur Eine Centralstadt besäßen und eine allgemeine ausgleichende
nationale Grundmeinung, welche sich wenigstens über die Haupt¬
principien verständigt hätte! Wer aber besitzt jetzt die Fertigkeit, eS
in dem bunten deutschen Durcheinander auf die Dauer nur einem
kleinen Anhange, geschweige Allen recht zu machen? Und was im
Grunde hilft es mir, wenn ich den Kaiser von China und seine
Minister angreifen darf und mich doch genöthigt sehe, den Schrift¬
steller Hinz und seine Verwandtschaft zu schonen und dem Redacteur
und seiner Frau Gemahlin nicht vor den Kopf zu stoßen? Was
hilft es mir, wenn ich über die Fliege an der Wand nicht urtheilen
darf, ohne dabei zu denken: was werden Herr M. und V. in Ber¬
lin, oder Herr G. in Frankfurt, oder Herr L. und K.in Leipzig, oder Lu-
dolf Schleier in Halle dazu sagen? Und was werden sie nicht schon
gegen diese Zusammenstellungen zu bemerken haben, gegen dieses
"unschuldige Hüpfen eines ungebornen Witzes." -- Aber im Vertrauen
gesagt, wie der Katholicismus jetzt aus der Zersplitterung und der
theilweisen Rathlosigkeit des Protestantismus immer neue Kräfte ge¬
winnt und seine besten Vertheidiger im Schooß des Protestantismus
selbst findet, so haben die bürgerlichen aristolratisirenden Schriftsteller,
welche im matten Abglanze protegirender Vornehmheit ihren Fisch¬
rücken sonnen, dem Adelöthum ein Fußgestell untergeschoben, dessen
sich dasselbe mit Geschick zu bedienen weiß. Möglich, daß man ein
Recht hat, die wenig lästige, feine und delicate ältere Adelsbildung
der plumperen modernen Geldaristokratie vorzuziehen, aber was soll
man dazu sagen, wenn selbst in einem wissenschaftlichen Aufsatze:
"Ueber eine neue Erdtheorie" folgende menschenlästerliche Phrase mit
einschlüpft: "Den Menschen demüthigt seine körperliche, in gewisser
Beziehung auch geistige Verwandtschaft mit der Thterwelt eben so
wenig, als den Adel der Einwand, daß wir Alle von Adam her
sind." Mithin scheinen Thterwelt und Bürgerthum diesem Manne


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Journalisten meist nur wie des Färbers Gaul im Ring herumschlen¬
dert. Die junge deutsche Schriftstellerwelt hat, unter der Maske
demokratischer Tendenzen, recht der aristokratischen Salon- und Mode¬
herrschast in die Hände gearbeitet, ohne zu bedenken, wie perfide und
wetterwendisch die Gunst der fashionablen aristokratischen Bildung ist
und wie zersplittert, zerfahren und kleinlich die Einführung französi¬
scher Zustände auf deutsches Gebiet in der Regel geräth. Ja, wenn
wir nur Eine Centralstadt besäßen und eine allgemeine ausgleichende
nationale Grundmeinung, welche sich wenigstens über die Haupt¬
principien verständigt hätte! Wer aber besitzt jetzt die Fertigkeit, eS
in dem bunten deutschen Durcheinander auf die Dauer nur einem
kleinen Anhange, geschweige Allen recht zu machen? Und was im
Grunde hilft es mir, wenn ich den Kaiser von China und seine
Minister angreifen darf und mich doch genöthigt sehe, den Schrift¬
steller Hinz und seine Verwandtschaft zu schonen und dem Redacteur
und seiner Frau Gemahlin nicht vor den Kopf zu stoßen? Was
hilft es mir, wenn ich über die Fliege an der Wand nicht urtheilen
darf, ohne dabei zu denken: was werden Herr M. und V. in Ber¬
lin, oder Herr G. in Frankfurt, oder Herr L. und K.in Leipzig, oder Lu-
dolf Schleier in Halle dazu sagen? Und was werden sie nicht schon
gegen diese Zusammenstellungen zu bemerken haben, gegen dieses
„unschuldige Hüpfen eines ungebornen Witzes." — Aber im Vertrauen
gesagt, wie der Katholicismus jetzt aus der Zersplitterung und der
theilweisen Rathlosigkeit des Protestantismus immer neue Kräfte ge¬
winnt und seine besten Vertheidiger im Schooß des Protestantismus
selbst findet, so haben die bürgerlichen aristolratisirenden Schriftsteller,
welche im matten Abglanze protegirender Vornehmheit ihren Fisch¬
rücken sonnen, dem Adelöthum ein Fußgestell untergeschoben, dessen
sich dasselbe mit Geschick zu bedienen weiß. Möglich, daß man ein
Recht hat, die wenig lästige, feine und delicate ältere Adelsbildung
der plumperen modernen Geldaristokratie vorzuziehen, aber was soll
man dazu sagen, wenn selbst in einem wissenschaftlichen Aufsatze:
„Ueber eine neue Erdtheorie" folgende menschenlästerliche Phrase mit
einschlüpft: „Den Menschen demüthigt seine körperliche, in gewisser
Beziehung auch geistige Verwandtschaft mit der Thterwelt eben so
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sind." Mithin scheinen Thterwelt und Bürgerthum diesem Manne


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[0263] Journalisten meist nur wie des Färbers Gaul im Ring herumschlen¬ dert. Die junge deutsche Schriftstellerwelt hat, unter der Maske demokratischer Tendenzen, recht der aristokratischen Salon- und Mode¬ herrschast in die Hände gearbeitet, ohne zu bedenken, wie perfide und wetterwendisch die Gunst der fashionablen aristokratischen Bildung ist und wie zersplittert, zerfahren und kleinlich die Einführung französi¬ scher Zustände auf deutsches Gebiet in der Regel geräth. Ja, wenn wir nur Eine Centralstadt besäßen und eine allgemeine ausgleichende nationale Grundmeinung, welche sich wenigstens über die Haupt¬ principien verständigt hätte! Wer aber besitzt jetzt die Fertigkeit, eS in dem bunten deutschen Durcheinander auf die Dauer nur einem kleinen Anhange, geschweige Allen recht zu machen? Und was im Grunde hilft es mir, wenn ich den Kaiser von China und seine Minister angreifen darf und mich doch genöthigt sehe, den Schrift¬ steller Hinz und seine Verwandtschaft zu schonen und dem Redacteur und seiner Frau Gemahlin nicht vor den Kopf zu stoßen? Was hilft es mir, wenn ich über die Fliege an der Wand nicht urtheilen darf, ohne dabei zu denken: was werden Herr M. und V. in Ber¬ lin, oder Herr G. in Frankfurt, oder Herr L. und K.in Leipzig, oder Lu- dolf Schleier in Halle dazu sagen? Und was werden sie nicht schon gegen diese Zusammenstellungen zu bemerken haben, gegen dieses „unschuldige Hüpfen eines ungebornen Witzes." — Aber im Vertrauen gesagt, wie der Katholicismus jetzt aus der Zersplitterung und der theilweisen Rathlosigkeit des Protestantismus immer neue Kräfte ge¬ winnt und seine besten Vertheidiger im Schooß des Protestantismus selbst findet, so haben die bürgerlichen aristolratisirenden Schriftsteller, welche im matten Abglanze protegirender Vornehmheit ihren Fisch¬ rücken sonnen, dem Adelöthum ein Fußgestell untergeschoben, dessen sich dasselbe mit Geschick zu bedienen weiß. Möglich, daß man ein Recht hat, die wenig lästige, feine und delicate ältere Adelsbildung der plumperen modernen Geldaristokratie vorzuziehen, aber was soll man dazu sagen, wenn selbst in einem wissenschaftlichen Aufsatze: „Ueber eine neue Erdtheorie" folgende menschenlästerliche Phrase mit einschlüpft: „Den Menschen demüthigt seine körperliche, in gewisser Beziehung auch geistige Verwandtschaft mit der Thterwelt eben so wenig, als den Adel der Einwand, daß wir Alle von Adam her sind." Mithin scheinen Thterwelt und Bürgerthum diesem Manne zz »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/263>, abgerufen am 01.09.2024.