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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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bereit steht -- wie man sich neben den Postillon setzt, der ein halb¬
erwachsener Bursch, oft aber auch eine Dirne mit frischen Wangen,
blauen Augen und gelbem Flachshaar ist -- und wie man nun im
rasenden Trab oder Galopp bergauf, bergab gefahren wird, daß
"Kies und Funken stieben" -- diese ganze althergebrachte Neisemanier
kennt der Leser bereits vollständig. Es ist wenig Cultur, aber desto
mehr Freiheit darin, und sogar Humor... nämlich wenn'S nicht reg¬
net. Zieht der Himmel aber die graue Kapuze über, schämt er sich,
daß er so lange mit der Sonne coquettirt hat, und fängt er an, Reue-
thräncn zu vergießen, dann hat man nur noch Sinn für Mäntel
und trockne Wäsche. Dicht wie eine Mauer liegt der Regen auf
der Landschaft; man sieht Nichts als triefende Häuser und Bäume,
man fühlt sich nach Gräfenberg hingezaubert, denn man sitzt ganz
im Wasser. Und der weibliche Postillon, der gleichfalls keinen trock¬
nen Faden mehr hat, schwingt die Peitsche, das nasse Rößlein wie¬
hert lustig durch die Luft, es verdoppelt seinen Lauf, und der feuchte
Sand knirscht unter den Rädern.

Auf glatter Straße ging'S nach Dannemora, wo so viel Eisen
im Schooß der Erde ruht, daß sich das Menschengeschlecht noch
Jahrtausende seine Schwerter und Ketten daraus wird schmieden
können. Schwerter und Ketten sage ich? Sind das nicht Wider¬
sprüche? Ja wohl, und doch bestehen sie neben einander. -- Ich
fuhr ein in den tiefen, finstern, grauenhaften Schacht, aber zu erzäh¬
len habe ich Nichts davon. Der blasse Bergmann und sein trübes,
gefahrvolles Leben in Nacht, in Dunst und Schmutz, konnte nur da¬
mals als Ausbeute für Poesie benutzt werden, wo eine eidechsartige
Romantik sich in Kellern und Burgverließen versteckte und die Pflanze
der Dichtkunst von Heller Sonne und freier Luft zu entwöhnen trach¬
tete.. Jetzt fröstelt uns bei solchem Beginnen; wir halten nur volles,
warmes Leben für ergiebig; und ohne Licht, ohne Wärme, ohne Luft
hat für uns alle Poesie ein klägliches Ende. Wir mögen wohl den
Maulwurfsstnn eingebüßt haben, womit jene Romantiker begabt wa>
ren und womit sie die unterirdische Poesie erschnüffelten.




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bereit steht — wie man sich neben den Postillon setzt, der ein halb¬
erwachsener Bursch, oft aber auch eine Dirne mit frischen Wangen,
blauen Augen und gelbem Flachshaar ist — und wie man nun im
rasenden Trab oder Galopp bergauf, bergab gefahren wird, daß
„Kies und Funken stieben" — diese ganze althergebrachte Neisemanier
kennt der Leser bereits vollständig. Es ist wenig Cultur, aber desto
mehr Freiheit darin, und sogar Humor... nämlich wenn'S nicht reg¬
net. Zieht der Himmel aber die graue Kapuze über, schämt er sich,
daß er so lange mit der Sonne coquettirt hat, und fängt er an, Reue-
thräncn zu vergießen, dann hat man nur noch Sinn für Mäntel
und trockne Wäsche. Dicht wie eine Mauer liegt der Regen auf
der Landschaft; man sieht Nichts als triefende Häuser und Bäume,
man fühlt sich nach Gräfenberg hingezaubert, denn man sitzt ganz
im Wasser. Und der weibliche Postillon, der gleichfalls keinen trock¬
nen Faden mehr hat, schwingt die Peitsche, das nasse Rößlein wie¬
hert lustig durch die Luft, es verdoppelt seinen Lauf, und der feuchte
Sand knirscht unter den Rädern.

Auf glatter Straße ging'S nach Dannemora, wo so viel Eisen
im Schooß der Erde ruht, daß sich das Menschengeschlecht noch
Jahrtausende seine Schwerter und Ketten daraus wird schmieden
können. Schwerter und Ketten sage ich? Sind das nicht Wider¬
sprüche? Ja wohl, und doch bestehen sie neben einander. — Ich
fuhr ein in den tiefen, finstern, grauenhaften Schacht, aber zu erzäh¬
len habe ich Nichts davon. Der blasse Bergmann und sein trübes,
gefahrvolles Leben in Nacht, in Dunst und Schmutz, konnte nur da¬
mals als Ausbeute für Poesie benutzt werden, wo eine eidechsartige
Romantik sich in Kellern und Burgverließen versteckte und die Pflanze
der Dichtkunst von Heller Sonne und freier Luft zu entwöhnen trach¬
tete.. Jetzt fröstelt uns bei solchem Beginnen; wir halten nur volles,
warmes Leben für ergiebig; und ohne Licht, ohne Wärme, ohne Luft
hat für uns alle Poesie ein klägliches Ende. Wir mögen wohl den
Maulwurfsstnn eingebüßt haben, womit jene Romantiker begabt wa>
ren und womit sie die unterirdische Poesie erschnüffelten.




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[0261] bereit steht — wie man sich neben den Postillon setzt, der ein halb¬ erwachsener Bursch, oft aber auch eine Dirne mit frischen Wangen, blauen Augen und gelbem Flachshaar ist — und wie man nun im rasenden Trab oder Galopp bergauf, bergab gefahren wird, daß „Kies und Funken stieben" — diese ganze althergebrachte Neisemanier kennt der Leser bereits vollständig. Es ist wenig Cultur, aber desto mehr Freiheit darin, und sogar Humor... nämlich wenn'S nicht reg¬ net. Zieht der Himmel aber die graue Kapuze über, schämt er sich, daß er so lange mit der Sonne coquettirt hat, und fängt er an, Reue- thräncn zu vergießen, dann hat man nur noch Sinn für Mäntel und trockne Wäsche. Dicht wie eine Mauer liegt der Regen auf der Landschaft; man sieht Nichts als triefende Häuser und Bäume, man fühlt sich nach Gräfenberg hingezaubert, denn man sitzt ganz im Wasser. Und der weibliche Postillon, der gleichfalls keinen trock¬ nen Faden mehr hat, schwingt die Peitsche, das nasse Rößlein wie¬ hert lustig durch die Luft, es verdoppelt seinen Lauf, und der feuchte Sand knirscht unter den Rädern. Auf glatter Straße ging'S nach Dannemora, wo so viel Eisen im Schooß der Erde ruht, daß sich das Menschengeschlecht noch Jahrtausende seine Schwerter und Ketten daraus wird schmieden können. Schwerter und Ketten sage ich? Sind das nicht Wider¬ sprüche? Ja wohl, und doch bestehen sie neben einander. — Ich fuhr ein in den tiefen, finstern, grauenhaften Schacht, aber zu erzäh¬ len habe ich Nichts davon. Der blasse Bergmann und sein trübes, gefahrvolles Leben in Nacht, in Dunst und Schmutz, konnte nur da¬ mals als Ausbeute für Poesie benutzt werden, wo eine eidechsartige Romantik sich in Kellern und Burgverließen versteckte und die Pflanze der Dichtkunst von Heller Sonne und freier Luft zu entwöhnen trach¬ tete.. Jetzt fröstelt uns bei solchem Beginnen; wir halten nur volles, warmes Leben für ergiebig; und ohne Licht, ohne Wärme, ohne Luft hat für uns alle Poesie ein klägliches Ende. Wir mögen wohl den Maulwurfsstnn eingebüßt haben, womit jene Romantiker begabt wa> ren und womit sie die unterirdische Poesie erschnüffelten. Grenzboten 1«ii>, I>.33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/261>, abgerufen am 27.07.2024.