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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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den kummervollen Eindruck vermehren, den Sigtnna macht; und im
Hintergrunde schlingt sich ein blauer Tannenwald um das erloschene Bild.

Je wärmer die Sonne schien, desto mehr thaute der Norweger
auf; er legte den steifen Gummimantel weg und begann ein Ge--
sprach mit mir. Bald fand ich, daß Bildung und Gemüth hinter
seiner rauhen Hülse steckten, und ich unterhielt mich sehr gut. Er
kannte die deutsche Literatur, namentlich die theologische, vollständig
und war nicht blos mit den Schlachten, die neuerdings in derselben
geliefert worden, sondern auch mit allen Plänkeleien und Vorposten¬
gefechten vertraut. AIS strenger Evangelist, billigte der Professor die
Angriffe nicht, forderte aber unbedingte Lehrfreiheit, wie Luther sie
geboten, und meinte: nur durch offene Widerlegung könne das Falsche
ausgerottet werden. Wenn man es zurückdränge, dann niste es sich
in geheimen Winkeln ein und säe dort Verderben. Von unserer Cen¬
sur konnte er sich überhaupt nur eine dunkle Vorstellung machen
und forderte Erläuterung von mir. Ich sagte, das sei riskant, ich
wolle ihm aber ein Märchen erzählen und er horchte hoch auf.

-- Sie wissen doch hoffentlich, Herr Professor, wo das König¬
reich Saba liegt? begann ich.

-- Ja wohl! antwortete er.

-- Nun, dort wurden vor vielen hundert Jahren die Spiegel
erfunden. Die wohlgebildeten Leute freuten sich dieser Entdeckung,
aber Alle, die mißgestaltet und bucklig waren oder häßliches Finnen
im Gesicht hatten, ärgerten sich schwer darüber. Sie spieen Gift und
Galle, denn fortwährend erblickten sie nun den Widerschein ihrer
fatalen Mängel, welche sie tief versteckt glaubten. Endlich wirkten
sie ein theilweises Verbot gegen die Spiegel aus; man setzte Jnspec-
toren zur Beaufsichtigung derselben nieder, und wo ein Helles Glas
das Zerrbild eines Buckligen zeigte, mußte es vernichtet werden. Das
half aber nicht viel, denn so lange noch ein Spiegel übrig war
schilderte er, sobald sie ihm nahe kamen, jene widrigen Gestalten mit
scharfen Linien, und deshalb ruhten die Verwachsenen nicht eher, als
bis sie auch den letzten Spiegel zertrümmert sahen. Nun waren die
häßlichen Menschen recht froh in ihrem Sinne, weil sie glaubten es
könne Niemand die Finnen und Höcker bemerken, seit dieselben nicht
mehr offen im Spiegel gezeigt werden dursten.

Der Frühling kam. Sie gingen in's Freie hinaus, doch --


den kummervollen Eindruck vermehren, den Sigtnna macht; und im
Hintergrunde schlingt sich ein blauer Tannenwald um das erloschene Bild.

Je wärmer die Sonne schien, desto mehr thaute der Norweger
auf; er legte den steifen Gummimantel weg und begann ein Ge--
sprach mit mir. Bald fand ich, daß Bildung und Gemüth hinter
seiner rauhen Hülse steckten, und ich unterhielt mich sehr gut. Er
kannte die deutsche Literatur, namentlich die theologische, vollständig
und war nicht blos mit den Schlachten, die neuerdings in derselben
geliefert worden, sondern auch mit allen Plänkeleien und Vorposten¬
gefechten vertraut. AIS strenger Evangelist, billigte der Professor die
Angriffe nicht, forderte aber unbedingte Lehrfreiheit, wie Luther sie
geboten, und meinte: nur durch offene Widerlegung könne das Falsche
ausgerottet werden. Wenn man es zurückdränge, dann niste es sich
in geheimen Winkeln ein und säe dort Verderben. Von unserer Cen¬
sur konnte er sich überhaupt nur eine dunkle Vorstellung machen
und forderte Erläuterung von mir. Ich sagte, das sei riskant, ich
wolle ihm aber ein Märchen erzählen und er horchte hoch auf.

— Sie wissen doch hoffentlich, Herr Professor, wo das König¬
reich Saba liegt? begann ich.

— Ja wohl! antwortete er.

— Nun, dort wurden vor vielen hundert Jahren die Spiegel
erfunden. Die wohlgebildeten Leute freuten sich dieser Entdeckung,
aber Alle, die mißgestaltet und bucklig waren oder häßliches Finnen
im Gesicht hatten, ärgerten sich schwer darüber. Sie spieen Gift und
Galle, denn fortwährend erblickten sie nun den Widerschein ihrer
fatalen Mängel, welche sie tief versteckt glaubten. Endlich wirkten
sie ein theilweises Verbot gegen die Spiegel aus; man setzte Jnspec-
toren zur Beaufsichtigung derselben nieder, und wo ein Helles Glas
das Zerrbild eines Buckligen zeigte, mußte es vernichtet werden. Das
half aber nicht viel, denn so lange noch ein Spiegel übrig war
schilderte er, sobald sie ihm nahe kamen, jene widrigen Gestalten mit
scharfen Linien, und deshalb ruhten die Verwachsenen nicht eher, als
bis sie auch den letzten Spiegel zertrümmert sahen. Nun waren die
häßlichen Menschen recht froh in ihrem Sinne, weil sie glaubten es
könne Niemand die Finnen und Höcker bemerken, seit dieselben nicht
mehr offen im Spiegel gezeigt werden dursten.

Der Frühling kam. Sie gingen in's Freie hinaus, doch —


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[0249] den kummervollen Eindruck vermehren, den Sigtnna macht; und im Hintergrunde schlingt sich ein blauer Tannenwald um das erloschene Bild. Je wärmer die Sonne schien, desto mehr thaute der Norweger auf; er legte den steifen Gummimantel weg und begann ein Ge-- sprach mit mir. Bald fand ich, daß Bildung und Gemüth hinter seiner rauhen Hülse steckten, und ich unterhielt mich sehr gut. Er kannte die deutsche Literatur, namentlich die theologische, vollständig und war nicht blos mit den Schlachten, die neuerdings in derselben geliefert worden, sondern auch mit allen Plänkeleien und Vorposten¬ gefechten vertraut. AIS strenger Evangelist, billigte der Professor die Angriffe nicht, forderte aber unbedingte Lehrfreiheit, wie Luther sie geboten, und meinte: nur durch offene Widerlegung könne das Falsche ausgerottet werden. Wenn man es zurückdränge, dann niste es sich in geheimen Winkeln ein und säe dort Verderben. Von unserer Cen¬ sur konnte er sich überhaupt nur eine dunkle Vorstellung machen und forderte Erläuterung von mir. Ich sagte, das sei riskant, ich wolle ihm aber ein Märchen erzählen und er horchte hoch auf. — Sie wissen doch hoffentlich, Herr Professor, wo das König¬ reich Saba liegt? begann ich. — Ja wohl! antwortete er. — Nun, dort wurden vor vielen hundert Jahren die Spiegel erfunden. Die wohlgebildeten Leute freuten sich dieser Entdeckung, aber Alle, die mißgestaltet und bucklig waren oder häßliches Finnen im Gesicht hatten, ärgerten sich schwer darüber. Sie spieen Gift und Galle, denn fortwährend erblickten sie nun den Widerschein ihrer fatalen Mängel, welche sie tief versteckt glaubten. Endlich wirkten sie ein theilweises Verbot gegen die Spiegel aus; man setzte Jnspec- toren zur Beaufsichtigung derselben nieder, und wo ein Helles Glas das Zerrbild eines Buckligen zeigte, mußte es vernichtet werden. Das half aber nicht viel, denn so lange noch ein Spiegel übrig war schilderte er, sobald sie ihm nahe kamen, jene widrigen Gestalten mit scharfen Linien, und deshalb ruhten die Verwachsenen nicht eher, als bis sie auch den letzten Spiegel zertrümmert sahen. Nun waren die häßlichen Menschen recht froh in ihrem Sinne, weil sie glaubten es könne Niemand die Finnen und Höcker bemerken, seit dieselben nicht mehr offen im Spiegel gezeigt werden dursten. Der Frühling kam. Sie gingen in's Freie hinaus, doch —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/249>, abgerufen am 28.07.2024.