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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Landschafts- und Genremalerei, viel Astronomie, Naturwissenschaft
und Reisenovellistik. Dann vertritt man wenigstens die deutsche Cul¬
tur vor den Augen Europas. Längst ward dies eingesehen, und da¬
her entstand eine Reihe von nichtallgemeinen Zeitungen, die sich auf
die Partei zu stützen suchen, wie die selige Rheinische, die Aachener,
Trierer, Weser-Zeitung, die Sachs. Vaterlandsblätter ze. Unsere so¬
genannten Parteien aber halten ein Blatt kaum pecuniär, einen Bann¬
strahl pariren können sie noch weniger. Man sing also an, die Tak¬
tik der kleinen belletristischen Blätter nachzuahmen; wie diese, beim
Verfall des rein literarischen Interesses, den einzig poetischen Reiz
durch dilettantisch kecke Politik gewannen, so will man durch das
Feuilleton sich neben der politischen eine Unterhaltungs-Partei
als festem Ankergrund sichern. Die Augsb. hatte dies längst gethan.
Möchten die politischen Zeitungen nur so viel für das literarische In¬
teresse wirken, wie die belletristischen für das politische gewirkt. Ja
diese haben den politischen Sinn, den keine Bibliothek der gründlich¬
sten Zwanzigbogenbände geweckt hätte, durch ihre Hofnarrenweise zuerst
unter dem verweichlichten Publicum allgemeiner verbreitet. Jetzt, wo
dieser Sinn einmal geweckt, ist es Zeit, ihn zu nähren und zu bil¬
den. Jetzt werden immer mehr wohlfeile publicistische Wochen¬
blatter entstehen müssen, die censurfester und unabhängiger durch
Ausschließen der Allerweltscorrespondenz und der Nachrichten über
Alles, die wichtigsten Zeit- und Nationalfragen, an einzelne Ereig¬
nisse anknüpfend, erläutern. -- Ein Wochenblatt dieser Art scheint uns
Biedermann's "Herold", der viele Kräfte, darunter den tüchtigen Pu-
blicisten Lüders, gewonnen hat. Sehr interessant ist die stehende
Rubrik: Gerichtszeitung. Der größeren Sicherheit wegen führt auch
der Herold ein Feuilleton.

-- Ein englischer Tourist nennt Damaskus das syrische Wien
und Aleppo das orientalische Berlin; Damaskus ist bekanntlich
schön, genußsüchtig und gutmüthig, Aleppo dagegen liegt in wüster
Gegend, und seine Bewohner haben die Nesseln des Witzes und die
Dornen der Ironie im Ueberfluß. Ob es auch philosophische Distel¬
köpfe, gravitätische Referendare und fromme Lieutenants in Aleppo
gibt, sagt der Tourist nicht. Etwas Wahres muß aber dran sein.
Auch der im Orient bewanderte Fallmerayer nennt Berlin, mit seinen
stummen Glockenthürmen und der soldatischen Ordnung, eine "Jslam-
stadt", während er Hamburg das nordische Damaskus nennt. Zu
viel Ehre für die pausbäckige Hammonia. Damast, mit seiner kry¬
stallenen Atmosphäre, muß etwas zarter sein.

-- Während ein katholischer Pfarrer, Ronge, in den Säch¬
sischen Vaterlandsblättern ein denkwürdiges Sendschreiben an den Bi-


Landschafts- und Genremalerei, viel Astronomie, Naturwissenschaft
und Reisenovellistik. Dann vertritt man wenigstens die deutsche Cul¬
tur vor den Augen Europas. Längst ward dies eingesehen, und da¬
her entstand eine Reihe von nichtallgemeinen Zeitungen, die sich auf
die Partei zu stützen suchen, wie die selige Rheinische, die Aachener,
Trierer, Weser-Zeitung, die Sachs. Vaterlandsblätter ze. Unsere so¬
genannten Parteien aber halten ein Blatt kaum pecuniär, einen Bann¬
strahl pariren können sie noch weniger. Man sing also an, die Tak¬
tik der kleinen belletristischen Blätter nachzuahmen; wie diese, beim
Verfall des rein literarischen Interesses, den einzig poetischen Reiz
durch dilettantisch kecke Politik gewannen, so will man durch das
Feuilleton sich neben der politischen eine Unterhaltungs-Partei
als festem Ankergrund sichern. Die Augsb. hatte dies längst gethan.
Möchten die politischen Zeitungen nur so viel für das literarische In¬
teresse wirken, wie die belletristischen für das politische gewirkt. Ja
diese haben den politischen Sinn, den keine Bibliothek der gründlich¬
sten Zwanzigbogenbände geweckt hätte, durch ihre Hofnarrenweise zuerst
unter dem verweichlichten Publicum allgemeiner verbreitet. Jetzt, wo
dieser Sinn einmal geweckt, ist es Zeit, ihn zu nähren und zu bil¬
den. Jetzt werden immer mehr wohlfeile publicistische Wochen¬
blatter entstehen müssen, die censurfester und unabhängiger durch
Ausschließen der Allerweltscorrespondenz und der Nachrichten über
Alles, die wichtigsten Zeit- und Nationalfragen, an einzelne Ereig¬
nisse anknüpfend, erläutern. — Ein Wochenblatt dieser Art scheint uns
Biedermann's „Herold", der viele Kräfte, darunter den tüchtigen Pu-
blicisten Lüders, gewonnen hat. Sehr interessant ist die stehende
Rubrik: Gerichtszeitung. Der größeren Sicherheit wegen führt auch
der Herold ein Feuilleton.

— Ein englischer Tourist nennt Damaskus das syrische Wien
und Aleppo das orientalische Berlin; Damaskus ist bekanntlich
schön, genußsüchtig und gutmüthig, Aleppo dagegen liegt in wüster
Gegend, und seine Bewohner haben die Nesseln des Witzes und die
Dornen der Ironie im Ueberfluß. Ob es auch philosophische Distel¬
köpfe, gravitätische Referendare und fromme Lieutenants in Aleppo
gibt, sagt der Tourist nicht. Etwas Wahres muß aber dran sein.
Auch der im Orient bewanderte Fallmerayer nennt Berlin, mit seinen
stummen Glockenthürmen und der soldatischen Ordnung, eine „Jslam-
stadt", während er Hamburg das nordische Damaskus nennt. Zu
viel Ehre für die pausbäckige Hammonia. Damast, mit seiner kry¬
stallenen Atmosphäre, muß etwas zarter sein.

— Während ein katholischer Pfarrer, Ronge, in den Säch¬
sischen Vaterlandsblättern ein denkwürdiges Sendschreiben an den Bi-


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[0241] Landschafts- und Genremalerei, viel Astronomie, Naturwissenschaft und Reisenovellistik. Dann vertritt man wenigstens die deutsche Cul¬ tur vor den Augen Europas. Längst ward dies eingesehen, und da¬ her entstand eine Reihe von nichtallgemeinen Zeitungen, die sich auf die Partei zu stützen suchen, wie die selige Rheinische, die Aachener, Trierer, Weser-Zeitung, die Sachs. Vaterlandsblätter ze. Unsere so¬ genannten Parteien aber halten ein Blatt kaum pecuniär, einen Bann¬ strahl pariren können sie noch weniger. Man sing also an, die Tak¬ tik der kleinen belletristischen Blätter nachzuahmen; wie diese, beim Verfall des rein literarischen Interesses, den einzig poetischen Reiz durch dilettantisch kecke Politik gewannen, so will man durch das Feuilleton sich neben der politischen eine Unterhaltungs-Partei als festem Ankergrund sichern. Die Augsb. hatte dies längst gethan. Möchten die politischen Zeitungen nur so viel für das literarische In¬ teresse wirken, wie die belletristischen für das politische gewirkt. Ja diese haben den politischen Sinn, den keine Bibliothek der gründlich¬ sten Zwanzigbogenbände geweckt hätte, durch ihre Hofnarrenweise zuerst unter dem verweichlichten Publicum allgemeiner verbreitet. Jetzt, wo dieser Sinn einmal geweckt, ist es Zeit, ihn zu nähren und zu bil¬ den. Jetzt werden immer mehr wohlfeile publicistische Wochen¬ blatter entstehen müssen, die censurfester und unabhängiger durch Ausschließen der Allerweltscorrespondenz und der Nachrichten über Alles, die wichtigsten Zeit- und Nationalfragen, an einzelne Ereig¬ nisse anknüpfend, erläutern. — Ein Wochenblatt dieser Art scheint uns Biedermann's „Herold", der viele Kräfte, darunter den tüchtigen Pu- blicisten Lüders, gewonnen hat. Sehr interessant ist die stehende Rubrik: Gerichtszeitung. Der größeren Sicherheit wegen führt auch der Herold ein Feuilleton. — Ein englischer Tourist nennt Damaskus das syrische Wien und Aleppo das orientalische Berlin; Damaskus ist bekanntlich schön, genußsüchtig und gutmüthig, Aleppo dagegen liegt in wüster Gegend, und seine Bewohner haben die Nesseln des Witzes und die Dornen der Ironie im Ueberfluß. Ob es auch philosophische Distel¬ köpfe, gravitätische Referendare und fromme Lieutenants in Aleppo gibt, sagt der Tourist nicht. Etwas Wahres muß aber dran sein. Auch der im Orient bewanderte Fallmerayer nennt Berlin, mit seinen stummen Glockenthürmen und der soldatischen Ordnung, eine „Jslam- stadt", während er Hamburg das nordische Damaskus nennt. Zu viel Ehre für die pausbäckige Hammonia. Damast, mit seiner kry¬ stallenen Atmosphäre, muß etwas zarter sein. — Während ein katholischer Pfarrer, Ronge, in den Säch¬ sischen Vaterlandsblättern ein denkwürdiges Sendschreiben an den Bi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/241>, abgerufen am 01.09.2024.