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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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lose Knabenersindung ?c. fügt indeß bei - "W e n n an dem Ganzen
ein Gran Wahrheit ist, so reducirt sich wohl Alles auf
eine unverfängliche literarische Mittheilung, gewiß je¬
doch nicht von Seiten des Herrn von Medem." Wozu die
letzte Verwahrung? Unverfängliche literarische Mittheilungen erlauben
wir selbst dem Kaiser von Nußland, wenn er nach Wien kommt. Uns
kann es nur freuen, wenn an der erwähnten Nachricht kein wahres
Wort ist; nur fürchten wir, daß allerdings doch ein "Gran Wahr¬
heit" daran sein könnte, und wünschen, daß die Berichtigung nicht
jenem übergroßen Sicherheitsgefühl entsprungen sei, welches dem Kor¬
respondenten zum Ueberfluß noch Folgendes in die Feder dictirtei
"Wir sprechen den russischen Ideen nicht das Wort (sehr
.großmüthig!); wir bekämpfen sie auch nicht." (Wirklich?)
"Sie liegen nach unserem Dafürhalten außer dem Kreise
der Discussion"!!! Hier fangt aber der Correspondent erst recht
zu discutiren an. Er versichert uns, mit der Bestimmtheit eines Tief¬
eingeweihten, daß jRußland durchaus keine Sympathien unter den
Westslaven suche und verfällt sodann -- als hinge dies nothwendig
mit jener Berichtigung zusammen -- in seine gewöhnlichen Ausbrüche
gegen die Magyaren, ist aber unklug genug, diesmal eine warme An¬
preisung der harmlosen und loyalen slavischen Tendenzen daran zu
knüpfen; die Slaven hätten in sich den Kern wahrer und vernünf¬
tiger Freiheit und seien Gottlob nicht wie diese da, wie die Magyaren
nämlich mit ihrem "innerlich modrigen Liberalismus" u. s. w. Wir
wissen, daß es slavische Bestrebungen gibt, die wirklich gut gemeint
sind, und welche die Gerechtigkeit anzuerkennen befiehlt, welche die Er¬
haltung der slavischen Muttersprache und eine volkstümliche Bildung
erzielen -- wir werden darin stets unterscheiden; daß es aber auch
andere slavische Tendenzen, daß es einen weniger harmlosen Ausam¬
menhang zwischen ostslavischer Diplomatie und westsiavischen Träumern
gibt, dafür liefert die Tagesgeschichte zahlreiche Belege, welche die
bloße Behauptung eines antimagyarischen Zeitungscorrespondenten am
wenigsten entkräften wird. Eben so wenig, wie uns seine Versicherung,
der russische Gesandte in Wien sei, als ein Liefländer, "echt germa¬
nisch gesinnt", mehr als ein Lächeln abzwingen kann. Wären nur
alle Diplomaten deutscher Regierungen echt germanisch gesinnt. Von
einem russischen Gesandten dergleichen zu verlangen, fällt uns gar
nicht ein.

-- In Königsberg befindet sich jetzt ein polnischer Flüchtling, der
mit genauer Noth den nachsetzenden Kosaken entkam und über die
preußische Grenze gelangte. Der junge Mann, ein ehmallger Zögling
der Warschauer Rechtsschule, hatte Umgang mit einigen jungen Leuten
gehabt, denen er Unterricht in der Geschichte Polens gab. Dieses sein


lose Knabenersindung ?c. fügt indeß bei - „W e n n an dem Ganzen
ein Gran Wahrheit ist, so reducirt sich wohl Alles auf
eine unverfängliche literarische Mittheilung, gewiß je¬
doch nicht von Seiten des Herrn von Medem." Wozu die
letzte Verwahrung? Unverfängliche literarische Mittheilungen erlauben
wir selbst dem Kaiser von Nußland, wenn er nach Wien kommt. Uns
kann es nur freuen, wenn an der erwähnten Nachricht kein wahres
Wort ist; nur fürchten wir, daß allerdings doch ein „Gran Wahr¬
heit" daran sein könnte, und wünschen, daß die Berichtigung nicht
jenem übergroßen Sicherheitsgefühl entsprungen sei, welches dem Kor¬
respondenten zum Ueberfluß noch Folgendes in die Feder dictirtei
„Wir sprechen den russischen Ideen nicht das Wort (sehr
.großmüthig!); wir bekämpfen sie auch nicht." (Wirklich?)
„Sie liegen nach unserem Dafürhalten außer dem Kreise
der Discussion"!!! Hier fangt aber der Correspondent erst recht
zu discutiren an. Er versichert uns, mit der Bestimmtheit eines Tief¬
eingeweihten, daß jRußland durchaus keine Sympathien unter den
Westslaven suche und verfällt sodann — als hinge dies nothwendig
mit jener Berichtigung zusammen — in seine gewöhnlichen Ausbrüche
gegen die Magyaren, ist aber unklug genug, diesmal eine warme An¬
preisung der harmlosen und loyalen slavischen Tendenzen daran zu
knüpfen; die Slaven hätten in sich den Kern wahrer und vernünf¬
tiger Freiheit und seien Gottlob nicht wie diese da, wie die Magyaren
nämlich mit ihrem „innerlich modrigen Liberalismus" u. s. w. Wir
wissen, daß es slavische Bestrebungen gibt, die wirklich gut gemeint
sind, und welche die Gerechtigkeit anzuerkennen befiehlt, welche die Er¬
haltung der slavischen Muttersprache und eine volkstümliche Bildung
erzielen — wir werden darin stets unterscheiden; daß es aber auch
andere slavische Tendenzen, daß es einen weniger harmlosen Ausam¬
menhang zwischen ostslavischer Diplomatie und westsiavischen Träumern
gibt, dafür liefert die Tagesgeschichte zahlreiche Belege, welche die
bloße Behauptung eines antimagyarischen Zeitungscorrespondenten am
wenigsten entkräften wird. Eben so wenig, wie uns seine Versicherung,
der russische Gesandte in Wien sei, als ein Liefländer, „echt germa¬
nisch gesinnt", mehr als ein Lächeln abzwingen kann. Wären nur
alle Diplomaten deutscher Regierungen echt germanisch gesinnt. Von
einem russischen Gesandten dergleichen zu verlangen, fällt uns gar
nicht ein.

— In Königsberg befindet sich jetzt ein polnischer Flüchtling, der
mit genauer Noth den nachsetzenden Kosaken entkam und über die
preußische Grenze gelangte. Der junge Mann, ein ehmallger Zögling
der Warschauer Rechtsschule, hatte Umgang mit einigen jungen Leuten
gehabt, denen er Unterricht in der Geschichte Polens gab. Dieses sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/193>, abgerufen am 27.07.2024.