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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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digkeit vernichtet wurde und die dem Capitalien endlich als Skla¬
ven verfielen? Nein, Ihr hört Nichts! Ihr seht Nichts! Ihr wollt
nur geschmackvoll gearbeitete Fabrikate begassen, Ihr sucht nur feine
Gespinnste, um Eure Verwesung damit zu verhüllen!

Dem Kaufmann kommt eine bedeutende Stellung in der Gesell¬
schaft zu, aber nur eine secundäre. Sein Beruf besteht darin, die
Consumtion und Produktion zu vermitteln, nicht den Preis der
Waare zu bestimmen. Indem er dieses gethan, indem er den Waa¬
ren einen illusorischen Werth gibt, wie sie eben zu seiner Spekula¬
tion passen mögen, hat er das natürliche Verhältniß zwischen Con¬
sumtion und Production zerrissen. Jetzt ist er, der Makler, der Ver¬
mittler, Herr geworden, Consumenten und Producenten sind seine
Arbeitpflichtigen, und von welchem sittlichen Principe läßt er sich
regieren? Die Concurrenz ist sein Gott, die Concurrenz ist sein
Maßstab, ihr beugt er sich, ihr müssen sich alle seine Sklaven beu¬
gen. -- Da ist eS nicht zu verwundern, daß die Handelsschamlosig¬
keiten, die Handelöbetrügereien, die Handclöscandale immer mehr
überhand nehmen. Der preußische Eisenbahnactienschwindel
hat davon einen eclatanten Beweis geliefert, der Staat sah fich ge--
nöthigt, in diese bodenlose Verwahrlosung einzuschreiten und dem ge¬
meinen Egoismus eine Schranke zu setzen. Der Staat war in sei¬
nem vollkommensten Rechte; er vermochte zu hemmen, aber vermag
er die Verwahrlosung unserer modernen Speculation zu vernichten?
Sie ist aus der Concurrenz hervorgegangen, die Concurrenz ist der
Krieg und sie will den Krieg; wer nicht die Gewalt, die Macht hat,
zu unterdrücken und zu herrschen, der sieht sich leicht verleitet, den
Betrug, die List, die Infamie anzuwenden, um nicht selbst von ihnen
vernichtet zu werden. Fälschung und Lüge durchwüthen die indu¬
strielle Welt und auch die übrige durch ihren unmittelbaren Zusam¬
menhang mit jener. Sie wachsen und steigern sich nicht aus Zufall,
nicht in Folge einer absoluten Verschlechterung des Menschengeschlech¬
tes, sondern ganz natürlich in Folge des immer mehr herrschenden
kaufmännisch-industriellen Geistes. --

Ich habe schon manchen geschickten Handarbeiter gesprochen der
es unterließ, ein Zeugniß seiner Thätigkeit auf die Ausstellung zu
tiefer". Und weshalb? Weil für ihn keine Aufmunterung gegeben


digkeit vernichtet wurde und die dem Capitalien endlich als Skla¬
ven verfielen? Nein, Ihr hört Nichts! Ihr seht Nichts! Ihr wollt
nur geschmackvoll gearbeitete Fabrikate begassen, Ihr sucht nur feine
Gespinnste, um Eure Verwesung damit zu verhüllen!

Dem Kaufmann kommt eine bedeutende Stellung in der Gesell¬
schaft zu, aber nur eine secundäre. Sein Beruf besteht darin, die
Consumtion und Produktion zu vermitteln, nicht den Preis der
Waare zu bestimmen. Indem er dieses gethan, indem er den Waa¬
ren einen illusorischen Werth gibt, wie sie eben zu seiner Spekula¬
tion passen mögen, hat er das natürliche Verhältniß zwischen Con¬
sumtion und Production zerrissen. Jetzt ist er, der Makler, der Ver¬
mittler, Herr geworden, Consumenten und Producenten sind seine
Arbeitpflichtigen, und von welchem sittlichen Principe läßt er sich
regieren? Die Concurrenz ist sein Gott, die Concurrenz ist sein
Maßstab, ihr beugt er sich, ihr müssen sich alle seine Sklaven beu¬
gen. — Da ist eS nicht zu verwundern, daß die Handelsschamlosig¬
keiten, die Handelöbetrügereien, die Handclöscandale immer mehr
überhand nehmen. Der preußische Eisenbahnactienschwindel
hat davon einen eclatanten Beweis geliefert, der Staat sah fich ge--
nöthigt, in diese bodenlose Verwahrlosung einzuschreiten und dem ge¬
meinen Egoismus eine Schranke zu setzen. Der Staat war in sei¬
nem vollkommensten Rechte; er vermochte zu hemmen, aber vermag
er die Verwahrlosung unserer modernen Speculation zu vernichten?
Sie ist aus der Concurrenz hervorgegangen, die Concurrenz ist der
Krieg und sie will den Krieg; wer nicht die Gewalt, die Macht hat,
zu unterdrücken und zu herrschen, der sieht sich leicht verleitet, den
Betrug, die List, die Infamie anzuwenden, um nicht selbst von ihnen
vernichtet zu werden. Fälschung und Lüge durchwüthen die indu¬
strielle Welt und auch die übrige durch ihren unmittelbaren Zusam¬
menhang mit jener. Sie wachsen und steigern sich nicht aus Zufall,
nicht in Folge einer absoluten Verschlechterung des Menschengeschlech¬
tes, sondern ganz natürlich in Folge des immer mehr herrschenden
kaufmännisch-industriellen Geistes. —

Ich habe schon manchen geschickten Handarbeiter gesprochen der
es unterließ, ein Zeugniß seiner Thätigkeit auf die Ausstellung zu
tiefer». Und weshalb? Weil für ihn keine Aufmunterung gegeben


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[0171] digkeit vernichtet wurde und die dem Capitalien endlich als Skla¬ ven verfielen? Nein, Ihr hört Nichts! Ihr seht Nichts! Ihr wollt nur geschmackvoll gearbeitete Fabrikate begassen, Ihr sucht nur feine Gespinnste, um Eure Verwesung damit zu verhüllen! Dem Kaufmann kommt eine bedeutende Stellung in der Gesell¬ schaft zu, aber nur eine secundäre. Sein Beruf besteht darin, die Consumtion und Produktion zu vermitteln, nicht den Preis der Waare zu bestimmen. Indem er dieses gethan, indem er den Waa¬ ren einen illusorischen Werth gibt, wie sie eben zu seiner Spekula¬ tion passen mögen, hat er das natürliche Verhältniß zwischen Con¬ sumtion und Production zerrissen. Jetzt ist er, der Makler, der Ver¬ mittler, Herr geworden, Consumenten und Producenten sind seine Arbeitpflichtigen, und von welchem sittlichen Principe läßt er sich regieren? Die Concurrenz ist sein Gott, die Concurrenz ist sein Maßstab, ihr beugt er sich, ihr müssen sich alle seine Sklaven beu¬ gen. — Da ist eS nicht zu verwundern, daß die Handelsschamlosig¬ keiten, die Handelöbetrügereien, die Handclöscandale immer mehr überhand nehmen. Der preußische Eisenbahnactienschwindel hat davon einen eclatanten Beweis geliefert, der Staat sah fich ge-- nöthigt, in diese bodenlose Verwahrlosung einzuschreiten und dem ge¬ meinen Egoismus eine Schranke zu setzen. Der Staat war in sei¬ nem vollkommensten Rechte; er vermochte zu hemmen, aber vermag er die Verwahrlosung unserer modernen Speculation zu vernichten? Sie ist aus der Concurrenz hervorgegangen, die Concurrenz ist der Krieg und sie will den Krieg; wer nicht die Gewalt, die Macht hat, zu unterdrücken und zu herrschen, der sieht sich leicht verleitet, den Betrug, die List, die Infamie anzuwenden, um nicht selbst von ihnen vernichtet zu werden. Fälschung und Lüge durchwüthen die indu¬ strielle Welt und auch die übrige durch ihren unmittelbaren Zusam¬ menhang mit jener. Sie wachsen und steigern sich nicht aus Zufall, nicht in Folge einer absoluten Verschlechterung des Menschengeschlech¬ tes, sondern ganz natürlich in Folge des immer mehr herrschenden kaufmännisch-industriellen Geistes. — Ich habe schon manchen geschickten Handarbeiter gesprochen der es unterließ, ein Zeugniß seiner Thätigkeit auf die Ausstellung zu tiefer». Und weshalb? Weil für ihn keine Aufmunterung gegeben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/171>, abgerufen am 01.09.2024.