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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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mit Entrüstung behauptet. Von einer solchen Parallele ist in dem
Aufsatze der "Jllustrirten" auch nicht entfernt die Rede, sondern, vom
"Falkenberg" sprechend, sagte ich in dem angegriffenen Artikel:

"Das Lesepublicum, wir meinen nicht die buchverschlingende All¬
gemeinheit, sondern den feineren Niederschlag, den nachdenkenden, wich¬
tigeren Theil desselben, liest "Falkenberg" mit Ernst und Nachdenken.
Auch meint man in Bezug auf diesen Roman,*) es müsse wohl,
fern von dem Gewirr der Tagesstreitigkeitcn, ein unterirdischer stiller
Geist eine Zeitung redigiren, die recht eigentlich die öffentliche Mei¬
nung beherrscht, einen unfehlbaren Moniteur des Zeitgeistes, den Nie¬
mand sieht, für den Niemand ein Abonnement bezahlt und den doch
Alle lesen und dem sie Alle glauben. Dieser journalistische Ueberall
und Nirgend muß sich demnach wohl zu Gunsten "Falkenbergs" aus¬
gesprochen haben, und so wollen wir hier unerörtert lassen, ob das
Buch wirklich nur eine ansprechende Variation des "Leone Leoni"
der Dudev ant-Sand, ob das romanhafte Interesse darin zu sehr
in den Hintergrund gedrängt wird durch Reflexion und psychologische
Spitzfindigkeiten u. s. w."

Da haben Sie das angeblich gewagte Uebersehen unserer deut¬
schen Therese über die geniale Aurora. Doch ward bis jetzt nur
die Unredlichkeit, oder der Leichtsinn des "Einsenders" hinsichtlich halt¬
loser Behauptungen dargethan. Seine oben gerügte Malice, welche
mir fast den Schlüssel gab zum Rebus seines seltsamen Artikels,
steckt darin, daß er das von der "Auftritten Zeitung" gebrachte Por¬
trät der Frau von Bacheracht als vollkommen ähnlich bezeichnet, wah¬
rend es nach dem allgemeinen Urtheile nichts weniger war als das.
Der strenge Ausdruck eines Daguerreotypbildes vereinigte sich nämlich
mit den starren, harten Linien eines Holzschnittes, um durch das
Medium der Druckerschnellpresse ein ordinäres, geistloses und trüb¬
seliges Konterfei eines weiblichen Gesichts zu geben, das, ward
ihm auch blühende Jugendfrische schon abgestreift, noch immer sehr
anmuthig genannt werden darf und besonders durch ein großes,
dunkles, brennendes Auge ungemein viel Colorit und Seele erhält.
So viel Gerechtigkeit muß ich diesen bedeutsamen Zügen, selbst auf
die Gefahr hin, ein Eraltado genannt zu werden, um so eher wider¬
fahren lassen, da sie gewissermaßen nicht ohne meine Schuld, in mehr
als zehntausend Exemplaren entstellt, nach allen Himmelsstrichen ge¬
sandt wurden. Und welche Dame wäre geistreich genug, derartige
Unglücksfälle leichthin zu verschmerzen. Therese konnte das vielleicht
so wenig, wie sie sich, was der "Einsender" als Beweispunkt wider
ihre Originalität und Unmittelbarkeit anführt, aus den natürlichsten
socialen Banden zu befreien vermochte. Wohl ihr, daß sie nie den



*) Im Feuilleton der Köln. Zeitung vom Nov. oder Decbr. 1343.

mit Entrüstung behauptet. Von einer solchen Parallele ist in dem
Aufsatze der „Jllustrirten" auch nicht entfernt die Rede, sondern, vom
„Falkenberg" sprechend, sagte ich in dem angegriffenen Artikel:

„Das Lesepublicum, wir meinen nicht die buchverschlingende All¬
gemeinheit, sondern den feineren Niederschlag, den nachdenkenden, wich¬
tigeren Theil desselben, liest „Falkenberg" mit Ernst und Nachdenken.
Auch meint man in Bezug auf diesen Roman,*) es müsse wohl,
fern von dem Gewirr der Tagesstreitigkeitcn, ein unterirdischer stiller
Geist eine Zeitung redigiren, die recht eigentlich die öffentliche Mei¬
nung beherrscht, einen unfehlbaren Moniteur des Zeitgeistes, den Nie¬
mand sieht, für den Niemand ein Abonnement bezahlt und den doch
Alle lesen und dem sie Alle glauben. Dieser journalistische Ueberall
und Nirgend muß sich demnach wohl zu Gunsten „Falkenbergs" aus¬
gesprochen haben, und so wollen wir hier unerörtert lassen, ob das
Buch wirklich nur eine ansprechende Variation des „Leone Leoni"
der Dudev ant-Sand, ob das romanhafte Interesse darin zu sehr
in den Hintergrund gedrängt wird durch Reflexion und psychologische
Spitzfindigkeiten u. s. w."

Da haben Sie das angeblich gewagte Uebersehen unserer deut¬
schen Therese über die geniale Aurora. Doch ward bis jetzt nur
die Unredlichkeit, oder der Leichtsinn des „Einsenders" hinsichtlich halt¬
loser Behauptungen dargethan. Seine oben gerügte Malice, welche
mir fast den Schlüssel gab zum Rebus seines seltsamen Artikels,
steckt darin, daß er das von der „Auftritten Zeitung" gebrachte Por¬
trät der Frau von Bacheracht als vollkommen ähnlich bezeichnet, wah¬
rend es nach dem allgemeinen Urtheile nichts weniger war als das.
Der strenge Ausdruck eines Daguerreotypbildes vereinigte sich nämlich
mit den starren, harten Linien eines Holzschnittes, um durch das
Medium der Druckerschnellpresse ein ordinäres, geistloses und trüb¬
seliges Konterfei eines weiblichen Gesichts zu geben, das, ward
ihm auch blühende Jugendfrische schon abgestreift, noch immer sehr
anmuthig genannt werden darf und besonders durch ein großes,
dunkles, brennendes Auge ungemein viel Colorit und Seele erhält.
So viel Gerechtigkeit muß ich diesen bedeutsamen Zügen, selbst auf
die Gefahr hin, ein Eraltado genannt zu werden, um so eher wider¬
fahren lassen, da sie gewissermaßen nicht ohne meine Schuld, in mehr
als zehntausend Exemplaren entstellt, nach allen Himmelsstrichen ge¬
sandt wurden. Und welche Dame wäre geistreich genug, derartige
Unglücksfälle leichthin zu verschmerzen. Therese konnte das vielleicht
so wenig, wie sie sich, was der „Einsender" als Beweispunkt wider
ihre Originalität und Unmittelbarkeit anführt, aus den natürlichsten
socialen Banden zu befreien vermochte. Wohl ihr, daß sie nie den



*) Im Feuilleton der Köln. Zeitung vom Nov. oder Decbr. 1343.
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[0139] mit Entrüstung behauptet. Von einer solchen Parallele ist in dem Aufsatze der „Jllustrirten" auch nicht entfernt die Rede, sondern, vom „Falkenberg" sprechend, sagte ich in dem angegriffenen Artikel: „Das Lesepublicum, wir meinen nicht die buchverschlingende All¬ gemeinheit, sondern den feineren Niederschlag, den nachdenkenden, wich¬ tigeren Theil desselben, liest „Falkenberg" mit Ernst und Nachdenken. Auch meint man in Bezug auf diesen Roman,*) es müsse wohl, fern von dem Gewirr der Tagesstreitigkeitcn, ein unterirdischer stiller Geist eine Zeitung redigiren, die recht eigentlich die öffentliche Mei¬ nung beherrscht, einen unfehlbaren Moniteur des Zeitgeistes, den Nie¬ mand sieht, für den Niemand ein Abonnement bezahlt und den doch Alle lesen und dem sie Alle glauben. Dieser journalistische Ueberall und Nirgend muß sich demnach wohl zu Gunsten „Falkenbergs" aus¬ gesprochen haben, und so wollen wir hier unerörtert lassen, ob das Buch wirklich nur eine ansprechende Variation des „Leone Leoni" der Dudev ant-Sand, ob das romanhafte Interesse darin zu sehr in den Hintergrund gedrängt wird durch Reflexion und psychologische Spitzfindigkeiten u. s. w." Da haben Sie das angeblich gewagte Uebersehen unserer deut¬ schen Therese über die geniale Aurora. Doch ward bis jetzt nur die Unredlichkeit, oder der Leichtsinn des „Einsenders" hinsichtlich halt¬ loser Behauptungen dargethan. Seine oben gerügte Malice, welche mir fast den Schlüssel gab zum Rebus seines seltsamen Artikels, steckt darin, daß er das von der „Auftritten Zeitung" gebrachte Por¬ trät der Frau von Bacheracht als vollkommen ähnlich bezeichnet, wah¬ rend es nach dem allgemeinen Urtheile nichts weniger war als das. Der strenge Ausdruck eines Daguerreotypbildes vereinigte sich nämlich mit den starren, harten Linien eines Holzschnittes, um durch das Medium der Druckerschnellpresse ein ordinäres, geistloses und trüb¬ seliges Konterfei eines weiblichen Gesichts zu geben, das, ward ihm auch blühende Jugendfrische schon abgestreift, noch immer sehr anmuthig genannt werden darf und besonders durch ein großes, dunkles, brennendes Auge ungemein viel Colorit und Seele erhält. So viel Gerechtigkeit muß ich diesen bedeutsamen Zügen, selbst auf die Gefahr hin, ein Eraltado genannt zu werden, um so eher wider¬ fahren lassen, da sie gewissermaßen nicht ohne meine Schuld, in mehr als zehntausend Exemplaren entstellt, nach allen Himmelsstrichen ge¬ sandt wurden. Und welche Dame wäre geistreich genug, derartige Unglücksfälle leichthin zu verschmerzen. Therese konnte das vielleicht so wenig, wie sie sich, was der „Einsender" als Beweispunkt wider ihre Originalität und Unmittelbarkeit anführt, aus den natürlichsten socialen Banden zu befreien vermochte. Wohl ihr, daß sie nie den *) Im Feuilleton der Köln. Zeitung vom Nov. oder Decbr. 1343.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/139>, abgerufen am 05.12.2024.