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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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bisher nicht auf die Bühne gebracht, galt überall bei uns, mehr denn
in England, als eines der köstlichsten und liebenswürdigsten Werke
seines Geistes. Man wies zwar auf die großen Schwierigkeiten hin,
in Betreff der Scene und des Maschinenwesens, wie man denn sich
überhaupt sehr ängstlich und ungeschickt anstellt, wenn es gilt, sami¬
sche Schwierigkeiten zum Behuf eines Dramas zu überwinden, wäh¬
rend man an dergleichen bei Oper und Ballet so gut wie gar nicht
denkt. Nichtsdestoweniger wurden die Schwierigkeiten überwunden,
und sie waren in der That so groß nicht. Die Elfen sahen so gut
aus, wie in irgend einem Ballet die Personen des Hofes, als kämen
sie frisch aus unseren Salons, und die Rüpel endlich durchaus nach
der Natur und zwar nach der Berliner, Schneider als Urtypus. Und
wieder stießen die Zionsrichter in die Posaune, und zum zweiten Male
war ein großes Buhnenproblem gelöst. Aber die junge Literatur
wollte auch hiervon Nichts wissen; Laube in der Eleganten ging
voran, der Telegraph und andere folgten, der Sommernachtstraum
wurde verworfen. Ja, die Angriffe athmeten noch mehr Animosität,
als die früheren gegen die Klassik. Mischten schon dort politische
Antipathien sich in's Spiel, so trat hier noch ein neues Element
hinzu, die alte Abneigung der jungen Literatur gegen Tieck und die
ganze Romantik. Wenn ich nicht irre, so war es der Telegraph, der
die Frage auswarf: Was hat Tieck, was hat die Romantik dem
deutschen Theater genützt, was endlich Shakspare selbst? Wir wol¬
len Tieck und die Romantik nicht urgiren, aber die Frage auf Shak-
speare gewandt, so klingt sie doch gar zu naiv. Wie? Mit wessen
Hilfe hat denn Lessing die dramatische Literatur der Deutschen vom
französischen Joche befreit, an wem hat er sich selbst, hat sich Göthe,
hat sich Schiller gebildet, wer hat ihren Blick entfesselt und befreit?
Wessen Stücke haben energischer vom Theater herab gewirkt, wessen
Stücke wirken noch heut zu Tage energischer? Wie viel bleibt denn
übrig, wenn man die seinigen streicht, die wir als nationale betrach¬
ten dürfen? -- Indessen, was wollen wir! Schon Göthe sagt, junge
Talente thäten gut, nicht allzuviel Respect vor Shakspeare zu haben, er
selbst habe sich möglichst bald mit ihm abgefunden, der große Brite
nöthige ihn, zu reproduciren Dies sagt Göthe, und der Telegraph
hat sich die Worte unseres Alten zu Herzen genommen, das ist Alles.
Ja, ja, Shakspeare ist wie der Geist im Hamlet, er ist überall un-


bisher nicht auf die Bühne gebracht, galt überall bei uns, mehr denn
in England, als eines der köstlichsten und liebenswürdigsten Werke
seines Geistes. Man wies zwar auf die großen Schwierigkeiten hin,
in Betreff der Scene und des Maschinenwesens, wie man denn sich
überhaupt sehr ängstlich und ungeschickt anstellt, wenn es gilt, sami¬
sche Schwierigkeiten zum Behuf eines Dramas zu überwinden, wäh¬
rend man an dergleichen bei Oper und Ballet so gut wie gar nicht
denkt. Nichtsdestoweniger wurden die Schwierigkeiten überwunden,
und sie waren in der That so groß nicht. Die Elfen sahen so gut
aus, wie in irgend einem Ballet die Personen des Hofes, als kämen
sie frisch aus unseren Salons, und die Rüpel endlich durchaus nach
der Natur und zwar nach der Berliner, Schneider als Urtypus. Und
wieder stießen die Zionsrichter in die Posaune, und zum zweiten Male
war ein großes Buhnenproblem gelöst. Aber die junge Literatur
wollte auch hiervon Nichts wissen; Laube in der Eleganten ging
voran, der Telegraph und andere folgten, der Sommernachtstraum
wurde verworfen. Ja, die Angriffe athmeten noch mehr Animosität,
als die früheren gegen die Klassik. Mischten schon dort politische
Antipathien sich in's Spiel, so trat hier noch ein neues Element
hinzu, die alte Abneigung der jungen Literatur gegen Tieck und die
ganze Romantik. Wenn ich nicht irre, so war es der Telegraph, der
die Frage auswarf: Was hat Tieck, was hat die Romantik dem
deutschen Theater genützt, was endlich Shakspare selbst? Wir wol¬
len Tieck und die Romantik nicht urgiren, aber die Frage auf Shak-
speare gewandt, so klingt sie doch gar zu naiv. Wie? Mit wessen
Hilfe hat denn Lessing die dramatische Literatur der Deutschen vom
französischen Joche befreit, an wem hat er sich selbst, hat sich Göthe,
hat sich Schiller gebildet, wer hat ihren Blick entfesselt und befreit?
Wessen Stücke haben energischer vom Theater herab gewirkt, wessen
Stücke wirken noch heut zu Tage energischer? Wie viel bleibt denn
übrig, wenn man die seinigen streicht, die wir als nationale betrach¬
ten dürfen? — Indessen, was wollen wir! Schon Göthe sagt, junge
Talente thäten gut, nicht allzuviel Respect vor Shakspeare zu haben, er
selbst habe sich möglichst bald mit ihm abgefunden, der große Brite
nöthige ihn, zu reproduciren Dies sagt Göthe, und der Telegraph
hat sich die Worte unseres Alten zu Herzen genommen, das ist Alles.
Ja, ja, Shakspeare ist wie der Geist im Hamlet, er ist überall un-


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[0012] bisher nicht auf die Bühne gebracht, galt überall bei uns, mehr denn in England, als eines der köstlichsten und liebenswürdigsten Werke seines Geistes. Man wies zwar auf die großen Schwierigkeiten hin, in Betreff der Scene und des Maschinenwesens, wie man denn sich überhaupt sehr ängstlich und ungeschickt anstellt, wenn es gilt, sami¬ sche Schwierigkeiten zum Behuf eines Dramas zu überwinden, wäh¬ rend man an dergleichen bei Oper und Ballet so gut wie gar nicht denkt. Nichtsdestoweniger wurden die Schwierigkeiten überwunden, und sie waren in der That so groß nicht. Die Elfen sahen so gut aus, wie in irgend einem Ballet die Personen des Hofes, als kämen sie frisch aus unseren Salons, und die Rüpel endlich durchaus nach der Natur und zwar nach der Berliner, Schneider als Urtypus. Und wieder stießen die Zionsrichter in die Posaune, und zum zweiten Male war ein großes Buhnenproblem gelöst. Aber die junge Literatur wollte auch hiervon Nichts wissen; Laube in der Eleganten ging voran, der Telegraph und andere folgten, der Sommernachtstraum wurde verworfen. Ja, die Angriffe athmeten noch mehr Animosität, als die früheren gegen die Klassik. Mischten schon dort politische Antipathien sich in's Spiel, so trat hier noch ein neues Element hinzu, die alte Abneigung der jungen Literatur gegen Tieck und die ganze Romantik. Wenn ich nicht irre, so war es der Telegraph, der die Frage auswarf: Was hat Tieck, was hat die Romantik dem deutschen Theater genützt, was endlich Shakspare selbst? Wir wol¬ len Tieck und die Romantik nicht urgiren, aber die Frage auf Shak- speare gewandt, so klingt sie doch gar zu naiv. Wie? Mit wessen Hilfe hat denn Lessing die dramatische Literatur der Deutschen vom französischen Joche befreit, an wem hat er sich selbst, hat sich Göthe, hat sich Schiller gebildet, wer hat ihren Blick entfesselt und befreit? Wessen Stücke haben energischer vom Theater herab gewirkt, wessen Stücke wirken noch heut zu Tage energischer? Wie viel bleibt denn übrig, wenn man die seinigen streicht, die wir als nationale betrach¬ ten dürfen? — Indessen, was wollen wir! Schon Göthe sagt, junge Talente thäten gut, nicht allzuviel Respect vor Shakspeare zu haben, er selbst habe sich möglichst bald mit ihm abgefunden, der große Brite nöthige ihn, zu reproduciren Dies sagt Göthe, und der Telegraph hat sich die Worte unseres Alten zu Herzen genommen, das ist Alles. Ja, ja, Shakspeare ist wie der Geist im Hamlet, er ist überall un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/12>, abgerufen am 01.09.2024.