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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Forsträthin voranschritt, um so mehr hatte ich Gelegenheit, mein Herz
sprechen zu lassen; und alö wir jetzt aus der großen Allee in einen
Seitenweg einbogen, der nach vielfachen Krümmungen zwischen duf¬
tenden Blumen und Gesträuchen zu einer heimlich und still gelegenen
Klause führt, da gab sich auch meine Begleiterin mit dem Zutrauen
eines Kindes mir offener hin und ließ mich Blicke in ihre kristallhelle
Seele thun, die mir einen ganzen Himmel erschlossen. Sie erzählte
mir, daß sie, so lange sie sich zu erinnern wisse, im Hause der Tante
gelebt habe, welche an den Forstrath Brandes in Hochheim verhei-
rathet gewesen, daß diese Ehe kinderlos geblieben und vor zwei Jah¬
ren durch den Tod des reichen Forstrathö ausgelost worden sei. Auch
ich hatte meine kleinen Freuden und Leiden, meine Hoffnungen und
Aussichten in Birkenfeld geschildert und war mit Wohlwollen ange¬
hört worden. Besonderes Interesse zeigte Wilhelmine, als ich von
dem Professor sprach und mich über die eigne Reizbarkeit seiner Ner¬
ven ausließ; denn das Weib in seiner geräuschlosen, unermüdeten
Sorgfalt und dem warmen Gefühl der Liebe ist nun einmal die ge-
borne Pflegerin in jedem Leid. Die Natur verlieh ihm dazu einen
so scharfen, sichern Blick, daß dieser mehr vermag und Größeres be¬
wirkt, als die Kunst des geschicktesten Arztes.

-- Der arme Mann, sagte Wilhelmine mit feuchtem Auge, wie
einsam und traurig müssen ihm die Tage in seinem großen steiner¬
nen Hause geworden sein, wo Nichts die Stille unterbrach, als der
plumpe Tritt des alten Dieners? Wäre ein sanftes gutes Mäd¬
chen an seiner Stelle gewesen, das Uebel hätte nicht so arg wer¬
den können.

Ich gab ihr freundlich recht, konnte aber nicht eine kleine An¬
spielung auf der Tante gewaltsame Staubvertilgungssucht unter¬
drücken, deren bloße Erwähnung schon den Schachtelmann mit Schau¬
der erfüllt hatte. Sie entgegnete: Die Tante ist unendlich gut und
wenn sie auch ihrem Streben nach Reinlichkeit vielleicht zu sehr und
mit zu vielem Geräusch nachhängt, so hat sie doch mehr an mir ge¬
than wie Vater und Mutter. Sie hat auch jetzt wieder meinen
Bitten nachgegeben und ist mit mir hierher gereist, obgleich ich ge¬
wiß bin, daß sie sich in den ersten Tagen schon zurück nach ihrem
Hauswesen sehnt, in dem sie vom frühen Morgen bis zu", späten
Abend waltet.


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Forsträthin voranschritt, um so mehr hatte ich Gelegenheit, mein Herz
sprechen zu lassen; und alö wir jetzt aus der großen Allee in einen
Seitenweg einbogen, der nach vielfachen Krümmungen zwischen duf¬
tenden Blumen und Gesträuchen zu einer heimlich und still gelegenen
Klause führt, da gab sich auch meine Begleiterin mit dem Zutrauen
eines Kindes mir offener hin und ließ mich Blicke in ihre kristallhelle
Seele thun, die mir einen ganzen Himmel erschlossen. Sie erzählte
mir, daß sie, so lange sie sich zu erinnern wisse, im Hause der Tante
gelebt habe, welche an den Forstrath Brandes in Hochheim verhei-
rathet gewesen, daß diese Ehe kinderlos geblieben und vor zwei Jah¬
ren durch den Tod des reichen Forstrathö ausgelost worden sei. Auch
ich hatte meine kleinen Freuden und Leiden, meine Hoffnungen und
Aussichten in Birkenfeld geschildert und war mit Wohlwollen ange¬
hört worden. Besonderes Interesse zeigte Wilhelmine, als ich von
dem Professor sprach und mich über die eigne Reizbarkeit seiner Ner¬
ven ausließ; denn das Weib in seiner geräuschlosen, unermüdeten
Sorgfalt und dem warmen Gefühl der Liebe ist nun einmal die ge-
borne Pflegerin in jedem Leid. Die Natur verlieh ihm dazu einen
so scharfen, sichern Blick, daß dieser mehr vermag und Größeres be¬
wirkt, als die Kunst des geschicktesten Arztes.

— Der arme Mann, sagte Wilhelmine mit feuchtem Auge, wie
einsam und traurig müssen ihm die Tage in seinem großen steiner¬
nen Hause geworden sein, wo Nichts die Stille unterbrach, als der
plumpe Tritt des alten Dieners? Wäre ein sanftes gutes Mäd¬
chen an seiner Stelle gewesen, das Uebel hätte nicht so arg wer¬
den können.

Ich gab ihr freundlich recht, konnte aber nicht eine kleine An¬
spielung auf der Tante gewaltsame Staubvertilgungssucht unter¬
drücken, deren bloße Erwähnung schon den Schachtelmann mit Schau¬
der erfüllt hatte. Sie entgegnete: Die Tante ist unendlich gut und
wenn sie auch ihrem Streben nach Reinlichkeit vielleicht zu sehr und
mit zu vielem Geräusch nachhängt, so hat sie doch mehr an mir ge¬
than wie Vater und Mutter. Sie hat auch jetzt wieder meinen
Bitten nachgegeben und ist mit mir hierher gereist, obgleich ich ge¬
wiß bin, daß sie sich in den ersten Tagen schon zurück nach ihrem
Hauswesen sehnt, in dem sie vom frühen Morgen bis zu», späten
Abend waltet.


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[0119] Forsträthin voranschritt, um so mehr hatte ich Gelegenheit, mein Herz sprechen zu lassen; und alö wir jetzt aus der großen Allee in einen Seitenweg einbogen, der nach vielfachen Krümmungen zwischen duf¬ tenden Blumen und Gesträuchen zu einer heimlich und still gelegenen Klause führt, da gab sich auch meine Begleiterin mit dem Zutrauen eines Kindes mir offener hin und ließ mich Blicke in ihre kristallhelle Seele thun, die mir einen ganzen Himmel erschlossen. Sie erzählte mir, daß sie, so lange sie sich zu erinnern wisse, im Hause der Tante gelebt habe, welche an den Forstrath Brandes in Hochheim verhei- rathet gewesen, daß diese Ehe kinderlos geblieben und vor zwei Jah¬ ren durch den Tod des reichen Forstrathö ausgelost worden sei. Auch ich hatte meine kleinen Freuden und Leiden, meine Hoffnungen und Aussichten in Birkenfeld geschildert und war mit Wohlwollen ange¬ hört worden. Besonderes Interesse zeigte Wilhelmine, als ich von dem Professor sprach und mich über die eigne Reizbarkeit seiner Ner¬ ven ausließ; denn das Weib in seiner geräuschlosen, unermüdeten Sorgfalt und dem warmen Gefühl der Liebe ist nun einmal die ge- borne Pflegerin in jedem Leid. Die Natur verlieh ihm dazu einen so scharfen, sichern Blick, daß dieser mehr vermag und Größeres be¬ wirkt, als die Kunst des geschicktesten Arztes. — Der arme Mann, sagte Wilhelmine mit feuchtem Auge, wie einsam und traurig müssen ihm die Tage in seinem großen steiner¬ nen Hause geworden sein, wo Nichts die Stille unterbrach, als der plumpe Tritt des alten Dieners? Wäre ein sanftes gutes Mäd¬ chen an seiner Stelle gewesen, das Uebel hätte nicht so arg wer¬ den können. Ich gab ihr freundlich recht, konnte aber nicht eine kleine An¬ spielung auf der Tante gewaltsame Staubvertilgungssucht unter¬ drücken, deren bloße Erwähnung schon den Schachtelmann mit Schau¬ der erfüllt hatte. Sie entgegnete: Die Tante ist unendlich gut und wenn sie auch ihrem Streben nach Reinlichkeit vielleicht zu sehr und mit zu vielem Geräusch nachhängt, so hat sie doch mehr an mir ge¬ than wie Vater und Mutter. Sie hat auch jetzt wieder meinen Bitten nachgegeben und ist mit mir hierher gereist, obgleich ich ge¬ wiß bin, daß sie sich in den ersten Tagen schon zurück nach ihrem Hauswesen sehnt, in dem sie vom frühen Morgen bis zu», späten Abend waltet. 15 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/119>, abgerufen am 01.09.2024.