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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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-- Wahrlich, sagte der Schachtelmann nach einer Pause, wäh¬
rend welcher wir auf dem Marktplatze angekommen waren, ich hoffe,
wir haben dem argen Feinde einige Blößen abgemerkt, oder er ist
es müde, einen Mann bis in das Grab zu verfolgen. Ich versichere
Sie, Herr Doctor, die frische Luft thut mir unendlich wohl. Vier
Jahre sind es, wie Friedrich sagt, daß wir unseren Spaziergang un¬
terlassen haben, weil der Erzürnte sich an meiner eigenen Person vergriff.
Vielleicht ist es der letzte schnackische Streich gewesen, den er mir hat spie¬
len wollen und seine Herrschaft ist nun aus. Alle Geisternacht, wie
uns ja die besten Kenner versichern, soll nur eine gewisse Zeit dauern.
-- Die Schachtel, welche Sie mir gütigst sandten, muß, wenn es
wirklich die geraubte war, durch den unterlassener Gebrauch merklich
zusammengeschrumpft sein, und meinem Peiniger zum Trotz ging ich
dennoch aus. Sollte mir ein Unfall begegnen, so verlasse ich mich
auf Ihren Beistand, Herr Doctor!

-- Das können Sie mit Zuversicht! Muth nöthigt ja auch
selbst den Unsterblichen Achtung ab, während träge Feigheit des Bö¬
sen Kraft zum Uebermuth steigert. Ich denke, wir wollen vereint
keinem Gegner weichen! Dabei faßte ich des Schachtelmannes Arm
und führte ihn zum Thor hinaus, damit wir nur recht bald die Flu¬
ren erreichten, denn auf der Landstraße, so fürchtete ich, möchte mein
Patient leichter einen Rückfall bekommen. Dagegen lebte er in den
blumigen Wiesen vollends auf, sein göttlicher Genius wurde immer
kräftiger und sog mit vollen Zügen die langentbehrte Pracht der
Schöpfung ein.

-- Herr Doctor, sagte er endlich zu mir; ich machte am Ende
doch einen dummen Streich, daß ich meine Frau verließ?

-- Sie verließen Ihre Frau? fragte ich verwundert.

-- Ja wohl that ich das. Ich konnte es nicht länger mehr
abhalten. Auf dem abgelegenen Winkel, in welchen ich mich, wie
ich Ihnen erzählte, zurückgezogen hatte, konnte ich zu keinem vernünf¬
tigen Gedanken kommen. War auch einmal eine ruhige Stunde, so
erhob sich neben mir und hinter mir ein unheimliches Flüstern, jener
geisterhafte Tanz der Atome begann und die ganze Schaar der Staub-
theilchen flirrte und flimmerte mir so lange vor den Augen herum,
bis ich Pinsel und Palette ermüdet niederlegte. Besah ich dann am
anderen Morgen meine Arbeit, so hatte das schadenfrohe Geistervolk


— Wahrlich, sagte der Schachtelmann nach einer Pause, wäh¬
rend welcher wir auf dem Marktplatze angekommen waren, ich hoffe,
wir haben dem argen Feinde einige Blößen abgemerkt, oder er ist
es müde, einen Mann bis in das Grab zu verfolgen. Ich versichere
Sie, Herr Doctor, die frische Luft thut mir unendlich wohl. Vier
Jahre sind es, wie Friedrich sagt, daß wir unseren Spaziergang un¬
terlassen haben, weil der Erzürnte sich an meiner eigenen Person vergriff.
Vielleicht ist es der letzte schnackische Streich gewesen, den er mir hat spie¬
len wollen und seine Herrschaft ist nun aus. Alle Geisternacht, wie
uns ja die besten Kenner versichern, soll nur eine gewisse Zeit dauern.
— Die Schachtel, welche Sie mir gütigst sandten, muß, wenn es
wirklich die geraubte war, durch den unterlassener Gebrauch merklich
zusammengeschrumpft sein, und meinem Peiniger zum Trotz ging ich
dennoch aus. Sollte mir ein Unfall begegnen, so verlasse ich mich
auf Ihren Beistand, Herr Doctor!

— Das können Sie mit Zuversicht! Muth nöthigt ja auch
selbst den Unsterblichen Achtung ab, während träge Feigheit des Bö¬
sen Kraft zum Uebermuth steigert. Ich denke, wir wollen vereint
keinem Gegner weichen! Dabei faßte ich des Schachtelmannes Arm
und führte ihn zum Thor hinaus, damit wir nur recht bald die Flu¬
ren erreichten, denn auf der Landstraße, so fürchtete ich, möchte mein
Patient leichter einen Rückfall bekommen. Dagegen lebte er in den
blumigen Wiesen vollends auf, sein göttlicher Genius wurde immer
kräftiger und sog mit vollen Zügen die langentbehrte Pracht der
Schöpfung ein.

— Herr Doctor, sagte er endlich zu mir; ich machte am Ende
doch einen dummen Streich, daß ich meine Frau verließ?

— Sie verließen Ihre Frau? fragte ich verwundert.

— Ja wohl that ich das. Ich konnte es nicht länger mehr
abhalten. Auf dem abgelegenen Winkel, in welchen ich mich, wie
ich Ihnen erzählte, zurückgezogen hatte, konnte ich zu keinem vernünf¬
tigen Gedanken kommen. War auch einmal eine ruhige Stunde, so
erhob sich neben mir und hinter mir ein unheimliches Flüstern, jener
geisterhafte Tanz der Atome begann und die ganze Schaar der Staub-
theilchen flirrte und flimmerte mir so lange vor den Augen herum,
bis ich Pinsel und Palette ermüdet niederlegte. Besah ich dann am
anderen Morgen meine Arbeit, so hatte das schadenfrohe Geistervolk


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[0105] — Wahrlich, sagte der Schachtelmann nach einer Pause, wäh¬ rend welcher wir auf dem Marktplatze angekommen waren, ich hoffe, wir haben dem argen Feinde einige Blößen abgemerkt, oder er ist es müde, einen Mann bis in das Grab zu verfolgen. Ich versichere Sie, Herr Doctor, die frische Luft thut mir unendlich wohl. Vier Jahre sind es, wie Friedrich sagt, daß wir unseren Spaziergang un¬ terlassen haben, weil der Erzürnte sich an meiner eigenen Person vergriff. Vielleicht ist es der letzte schnackische Streich gewesen, den er mir hat spie¬ len wollen und seine Herrschaft ist nun aus. Alle Geisternacht, wie uns ja die besten Kenner versichern, soll nur eine gewisse Zeit dauern. — Die Schachtel, welche Sie mir gütigst sandten, muß, wenn es wirklich die geraubte war, durch den unterlassener Gebrauch merklich zusammengeschrumpft sein, und meinem Peiniger zum Trotz ging ich dennoch aus. Sollte mir ein Unfall begegnen, so verlasse ich mich auf Ihren Beistand, Herr Doctor! — Das können Sie mit Zuversicht! Muth nöthigt ja auch selbst den Unsterblichen Achtung ab, während träge Feigheit des Bö¬ sen Kraft zum Uebermuth steigert. Ich denke, wir wollen vereint keinem Gegner weichen! Dabei faßte ich des Schachtelmannes Arm und führte ihn zum Thor hinaus, damit wir nur recht bald die Flu¬ ren erreichten, denn auf der Landstraße, so fürchtete ich, möchte mein Patient leichter einen Rückfall bekommen. Dagegen lebte er in den blumigen Wiesen vollends auf, sein göttlicher Genius wurde immer kräftiger und sog mit vollen Zügen die langentbehrte Pracht der Schöpfung ein. — Herr Doctor, sagte er endlich zu mir; ich machte am Ende doch einen dummen Streich, daß ich meine Frau verließ? — Sie verließen Ihre Frau? fragte ich verwundert. — Ja wohl that ich das. Ich konnte es nicht länger mehr abhalten. Auf dem abgelegenen Winkel, in welchen ich mich, wie ich Ihnen erzählte, zurückgezogen hatte, konnte ich zu keinem vernünf¬ tigen Gedanken kommen. War auch einmal eine ruhige Stunde, so erhob sich neben mir und hinter mir ein unheimliches Flüstern, jener geisterhafte Tanz der Atome begann und die ganze Schaar der Staub- theilchen flirrte und flimmerte mir so lange vor den Augen herum, bis ich Pinsel und Palette ermüdet niederlegte. Besah ich dann am anderen Morgen meine Arbeit, so hatte das schadenfrohe Geistervolk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/105>, abgerufen am 01.09.2024.