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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Alls zu genau nahm, sie wirklich für die seinige halten; nur war
sie bei weitem zu klein und paßte höchstens für den Kopf eines Kin¬
des. Doch auch hiervon hoffte ich Vortheil zu ziehen. Ich f^"d ^
nach meiner Zuhausekunft bald, leerte sie von dem gedörrten Obste,
das meine Mutter darin aufbewahrt hatte, und der Diener nahm sie
freudig in Empfang.

Es mochte jetzt nicht weit von der zwölften Stunde sein und
ich legte mich daher in's Fenster, um, wie ich so oft gethan, den
Schachtelmann aus seiner Wohnung treten zu sehen.

Gestern hatte ich bei mehreren Bekannten die Rede auf ihn ge¬
bracht, ohne von der näheren Verbindung, in welche ich mit ihm so
schnell getreten war, mir jedoch etwas merken zu lassen, überhaupt
hielt mich eine sonderbare Befangenheit ab, mir den Antheil zu ge¬
stehen, welchen ich an seinein Schicksal nahm. Immer, wenn ich an
ihn dachte, trat mir das himmlischschöne Kind, dessen Bild mir der Zu¬
fall enthüllt hatte, als herrlich entfaltete Jungfrau entgegen und machte
mich so zerstreut und nachdenkend, daß meine Freunde mich mit der
Bemerkung neckten: ich werde mir wohl auf der Universität etwas
Liebes ausgesucht haben und solches bald als Frau Doctorin nach
Birkenfeld heimführen. Und doch wußte ich mich völlig davon frei.
Auch hatte ich mit der Einrichtung meiner kleinen Junggesellenwirth¬
schaft alle Hände voll zu thun, mußte durch eine gute Praris mir
erst meine Finanzen sichern, ehe ich an so etwas denken konnte. In
Birkenfeld war, so viel ich bis jetzt gesehen hatte, keine passende Par¬
tie für einen armen Schlucker anzutreffen, der nicht viel mehr als
sein Doctordiplom besaß; und zu einer Schaufahrt, einer Reise in
die Umgegend, z. B. nach dem angenehmen Schönbrunn, fehlte es
mir im Augenblicke gerade am Besten. Dort in dem Badeorte gab's
gewiß eine beliebige Menge zur Auswahl von dem Artikel, nach dem
mein Herz mit der Zeit doch verlangte. Solches denkend, schaute ich
sehnsüchtig nach den fernen Bergen, da brummte die Marktglocke die
Mittagsstunde, es öffnete sich das finstere steinerne Haus, die Thüre
knarrte in den rostigen Angeln, und heraus trat mein lieber Profes¬
sor in dem früher gewohnten Anzüge. Nur der Hut entbehrte der
ehemaligen Hülle, und stolz wie vor dreißig Jahren durch Antwer¬
pens volkreiche Straßen, in demselben Costüm, wie es damals Mode
war, wandelte der Schachtelmann über die bescheidene Gasse von


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Alls zu genau nahm, sie wirklich für die seinige halten; nur war
sie bei weitem zu klein und paßte höchstens für den Kopf eines Kin¬
des. Doch auch hiervon hoffte ich Vortheil zu ziehen. Ich f^„d ^
nach meiner Zuhausekunft bald, leerte sie von dem gedörrten Obste,
das meine Mutter darin aufbewahrt hatte, und der Diener nahm sie
freudig in Empfang.

Es mochte jetzt nicht weit von der zwölften Stunde sein und
ich legte mich daher in's Fenster, um, wie ich so oft gethan, den
Schachtelmann aus seiner Wohnung treten zu sehen.

Gestern hatte ich bei mehreren Bekannten die Rede auf ihn ge¬
bracht, ohne von der näheren Verbindung, in welche ich mit ihm so
schnell getreten war, mir jedoch etwas merken zu lassen, überhaupt
hielt mich eine sonderbare Befangenheit ab, mir den Antheil zu ge¬
stehen, welchen ich an seinein Schicksal nahm. Immer, wenn ich an
ihn dachte, trat mir das himmlischschöne Kind, dessen Bild mir der Zu¬
fall enthüllt hatte, als herrlich entfaltete Jungfrau entgegen und machte
mich so zerstreut und nachdenkend, daß meine Freunde mich mit der
Bemerkung neckten: ich werde mir wohl auf der Universität etwas
Liebes ausgesucht haben und solches bald als Frau Doctorin nach
Birkenfeld heimführen. Und doch wußte ich mich völlig davon frei.
Auch hatte ich mit der Einrichtung meiner kleinen Junggesellenwirth¬
schaft alle Hände voll zu thun, mußte durch eine gute Praris mir
erst meine Finanzen sichern, ehe ich an so etwas denken konnte. In
Birkenfeld war, so viel ich bis jetzt gesehen hatte, keine passende Par¬
tie für einen armen Schlucker anzutreffen, der nicht viel mehr als
sein Doctordiplom besaß; und zu einer Schaufahrt, einer Reise in
die Umgegend, z. B. nach dem angenehmen Schönbrunn, fehlte es
mir im Augenblicke gerade am Besten. Dort in dem Badeorte gab's
gewiß eine beliebige Menge zur Auswahl von dem Artikel, nach dem
mein Herz mit der Zeit doch verlangte. Solches denkend, schaute ich
sehnsüchtig nach den fernen Bergen, da brummte die Marktglocke die
Mittagsstunde, es öffnete sich das finstere steinerne Haus, die Thüre
knarrte in den rostigen Angeln, und heraus trat mein lieber Profes¬
sor in dem früher gewohnten Anzüge. Nur der Hut entbehrte der
ehemaligen Hülle, und stolz wie vor dreißig Jahren durch Antwer¬
pens volkreiche Straßen, in demselben Costüm, wie es damals Mode
war, wandelte der Schachtelmann über die bescheidene Gasse von


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[0103] Alls zu genau nahm, sie wirklich für die seinige halten; nur war sie bei weitem zu klein und paßte höchstens für den Kopf eines Kin¬ des. Doch auch hiervon hoffte ich Vortheil zu ziehen. Ich f^„d ^ nach meiner Zuhausekunft bald, leerte sie von dem gedörrten Obste, das meine Mutter darin aufbewahrt hatte, und der Diener nahm sie freudig in Empfang. Es mochte jetzt nicht weit von der zwölften Stunde sein und ich legte mich daher in's Fenster, um, wie ich so oft gethan, den Schachtelmann aus seiner Wohnung treten zu sehen. Gestern hatte ich bei mehreren Bekannten die Rede auf ihn ge¬ bracht, ohne von der näheren Verbindung, in welche ich mit ihm so schnell getreten war, mir jedoch etwas merken zu lassen, überhaupt hielt mich eine sonderbare Befangenheit ab, mir den Antheil zu ge¬ stehen, welchen ich an seinein Schicksal nahm. Immer, wenn ich an ihn dachte, trat mir das himmlischschöne Kind, dessen Bild mir der Zu¬ fall enthüllt hatte, als herrlich entfaltete Jungfrau entgegen und machte mich so zerstreut und nachdenkend, daß meine Freunde mich mit der Bemerkung neckten: ich werde mir wohl auf der Universität etwas Liebes ausgesucht haben und solches bald als Frau Doctorin nach Birkenfeld heimführen. Und doch wußte ich mich völlig davon frei. Auch hatte ich mit der Einrichtung meiner kleinen Junggesellenwirth¬ schaft alle Hände voll zu thun, mußte durch eine gute Praris mir erst meine Finanzen sichern, ehe ich an so etwas denken konnte. In Birkenfeld war, so viel ich bis jetzt gesehen hatte, keine passende Par¬ tie für einen armen Schlucker anzutreffen, der nicht viel mehr als sein Doctordiplom besaß; und zu einer Schaufahrt, einer Reise in die Umgegend, z. B. nach dem angenehmen Schönbrunn, fehlte es mir im Augenblicke gerade am Besten. Dort in dem Badeorte gab's gewiß eine beliebige Menge zur Auswahl von dem Artikel, nach dem mein Herz mit der Zeit doch verlangte. Solches denkend, schaute ich sehnsüchtig nach den fernen Bergen, da brummte die Marktglocke die Mittagsstunde, es öffnete sich das finstere steinerne Haus, die Thüre knarrte in den rostigen Angeln, und heraus trat mein lieber Profes¬ sor in dem früher gewohnten Anzüge. Nur der Hut entbehrte der ehemaligen Hülle, und stolz wie vor dreißig Jahren durch Antwer¬ pens volkreiche Straßen, in demselben Costüm, wie es damals Mode war, wandelte der Schachtelmann über die bescheidene Gasse von 13-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/103>, abgerufen am 01.09.2024.