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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Fränkl's Sonntagsblättern einige satyrische Ausfalle gegen den musika¬
lischen Kritiker der Theaterzeitung, Herrn Heinrich Adami, sich erlaubt,
weil dieser das Ballet die erste, edelste und erhabenste aller Künste
genannt hat. Darauf schreibt Herr Adami eine "Abfertigung", wo¬
rin folgende Stelle vorkömmt: Wer ist dieser Herr Siegländer? Was
hat er geschrieben, daß er sich erlauben kann, über einen Schriftsteller,
der durch eine lange Reihe von Jahren in dem gelesensten deutschen
Blatte Kunstgegensiände bespricht und sich durch seine bescheidenen
und redlichen Urtheile die Achtung eines ausgebreiteten Lesekreises er¬
worben zu haben glaubt, lustig zu machen? -- Dieser Passus ist be¬
zeichnend. Man wird jedem Schriftsteller gerne zugestehen, sein Ur¬
theil gegen eine Mißdeutung so derb, als er will, zu vertheidigen;
aber wenn man dabei dem Angreifenden seine Keckheit vorwirft, weil
er jung und noch Nichts geschrieben hat, so riecht das nach jenem
österreichischen Herkommen, nach welchem jeder Kanzleischreiber und
Polizeisoldat wie ein Gesalbter des Herrn gegen jeden gedruckten Ta¬
del geschützt sein muß. Ich kenne weder Herrn Siegländer', noch habe
ich je etwas von ihm gelesen; ich erfahre aus der Abfertigung des
Herrn Adami zum ersten Male, daß ein solcher Schriftsteller hier eri-
stirt. Aber wäre er der jüngste aller Literaten in den fünf Weltthei-
len und wäre Herr Adami Goethe, Schiller, Shakspeare, so stände
jenem das Recht zu, ihn nach Belieben zu tadeln. Die Literatur ist eine
Republik und keine Bureaukratie. Wo wäre das deutsche Schrift-
thum, wenn jeder jüngere Schriftsteller in Ehrfurcht vor dem erster¬
ben müßte, "der durch eine lange Reihe von Jahren in dem gelesen¬
sten deutschen Blatte Kunstgegenstände bespricht" u. s. w. Wenn nur
erst die Bahn zu einer ehrlichen freimüthigen Kritik offen wäre .......
dann solltet Ihr noch andere Dinge hören, verehrte Herren! Betet für
die Censur; an dem Tage, wo sie stirbt, stirbt eine große Zahl von
Euch mit, eben weil Ihr eine lange Reihe von Jahren--und
so weiter.

Der alte lustige Castelli gibt jetzt eine ausgewählte Sammlung
seiner Schriften, die wohl mehr als hundert Bände betragen, in drei¬
zehn Bänden heraus. Einen schweren Schlag hat die hiesige Jour¬
nalistik durch das Abtreten des Dr. Groß-Hofsinger erlitten, dessen
gesinnungsvolle und geistsprühende Feder nicht wenig zur Verherrlich¬
ung im Auslande beigetragen; der würdige Mann gab zuletzt noch
ein wohlfeiles Tageblatt: "Vindobona" heraus, ganz im Format zu
Pfesserdütcn. Trotzdem ging es nicht und kostete doch nur dreißig
Kreuzer monatlich! Da dachte sich der schwergeprüfte Publizist, das
Wiener Publikum ist unverbesserlich, und legte die trockene Feder nie¬
der. Zuerst verlangte er von der Staatsverwaltung in ziemlich dicta¬
torischer Weife zwölftausend Gulden Entschädigung, oder eine lucra-
tive Stelle, denn, dahin ging seine Argumentation, man habe ihn


Fränkl's Sonntagsblättern einige satyrische Ausfalle gegen den musika¬
lischen Kritiker der Theaterzeitung, Herrn Heinrich Adami, sich erlaubt,
weil dieser das Ballet die erste, edelste und erhabenste aller Künste
genannt hat. Darauf schreibt Herr Adami eine „Abfertigung", wo¬
rin folgende Stelle vorkömmt: Wer ist dieser Herr Siegländer? Was
hat er geschrieben, daß er sich erlauben kann, über einen Schriftsteller,
der durch eine lange Reihe von Jahren in dem gelesensten deutschen
Blatte Kunstgegensiände bespricht und sich durch seine bescheidenen
und redlichen Urtheile die Achtung eines ausgebreiteten Lesekreises er¬
worben zu haben glaubt, lustig zu machen? — Dieser Passus ist be¬
zeichnend. Man wird jedem Schriftsteller gerne zugestehen, sein Ur¬
theil gegen eine Mißdeutung so derb, als er will, zu vertheidigen;
aber wenn man dabei dem Angreifenden seine Keckheit vorwirft, weil
er jung und noch Nichts geschrieben hat, so riecht das nach jenem
österreichischen Herkommen, nach welchem jeder Kanzleischreiber und
Polizeisoldat wie ein Gesalbter des Herrn gegen jeden gedruckten Ta¬
del geschützt sein muß. Ich kenne weder Herrn Siegländer', noch habe
ich je etwas von ihm gelesen; ich erfahre aus der Abfertigung des
Herrn Adami zum ersten Male, daß ein solcher Schriftsteller hier eri-
stirt. Aber wäre er der jüngste aller Literaten in den fünf Weltthei-
len und wäre Herr Adami Goethe, Schiller, Shakspeare, so stände
jenem das Recht zu, ihn nach Belieben zu tadeln. Die Literatur ist eine
Republik und keine Bureaukratie. Wo wäre das deutsche Schrift-
thum, wenn jeder jüngere Schriftsteller in Ehrfurcht vor dem erster¬
ben müßte, „der durch eine lange Reihe von Jahren in dem gelesen¬
sten deutschen Blatte Kunstgegenstände bespricht" u. s. w. Wenn nur
erst die Bahn zu einer ehrlichen freimüthigen Kritik offen wäre .......
dann solltet Ihr noch andere Dinge hören, verehrte Herren! Betet für
die Censur; an dem Tage, wo sie stirbt, stirbt eine große Zahl von
Euch mit, eben weil Ihr eine lange Reihe von Jahren--und
so weiter.

Der alte lustige Castelli gibt jetzt eine ausgewählte Sammlung
seiner Schriften, die wohl mehr als hundert Bände betragen, in drei¬
zehn Bänden heraus. Einen schweren Schlag hat die hiesige Jour¬
nalistik durch das Abtreten des Dr. Groß-Hofsinger erlitten, dessen
gesinnungsvolle und geistsprühende Feder nicht wenig zur Verherrlich¬
ung im Auslande beigetragen; der würdige Mann gab zuletzt noch
ein wohlfeiles Tageblatt: „Vindobona" heraus, ganz im Format zu
Pfesserdütcn. Trotzdem ging es nicht und kostete doch nur dreißig
Kreuzer monatlich! Da dachte sich der schwergeprüfte Publizist, das
Wiener Publikum ist unverbesserlich, und legte die trockene Feder nie¬
der. Zuerst verlangte er von der Staatsverwaltung in ziemlich dicta¬
torischer Weife zwölftausend Gulden Entschädigung, oder eine lucra-
tive Stelle, denn, dahin ging seine Argumentation, man habe ihn


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[0093] Fränkl's Sonntagsblättern einige satyrische Ausfalle gegen den musika¬ lischen Kritiker der Theaterzeitung, Herrn Heinrich Adami, sich erlaubt, weil dieser das Ballet die erste, edelste und erhabenste aller Künste genannt hat. Darauf schreibt Herr Adami eine „Abfertigung", wo¬ rin folgende Stelle vorkömmt: Wer ist dieser Herr Siegländer? Was hat er geschrieben, daß er sich erlauben kann, über einen Schriftsteller, der durch eine lange Reihe von Jahren in dem gelesensten deutschen Blatte Kunstgegensiände bespricht und sich durch seine bescheidenen und redlichen Urtheile die Achtung eines ausgebreiteten Lesekreises er¬ worben zu haben glaubt, lustig zu machen? — Dieser Passus ist be¬ zeichnend. Man wird jedem Schriftsteller gerne zugestehen, sein Ur¬ theil gegen eine Mißdeutung so derb, als er will, zu vertheidigen; aber wenn man dabei dem Angreifenden seine Keckheit vorwirft, weil er jung und noch Nichts geschrieben hat, so riecht das nach jenem österreichischen Herkommen, nach welchem jeder Kanzleischreiber und Polizeisoldat wie ein Gesalbter des Herrn gegen jeden gedruckten Ta¬ del geschützt sein muß. Ich kenne weder Herrn Siegländer', noch habe ich je etwas von ihm gelesen; ich erfahre aus der Abfertigung des Herrn Adami zum ersten Male, daß ein solcher Schriftsteller hier eri- stirt. Aber wäre er der jüngste aller Literaten in den fünf Weltthei- len und wäre Herr Adami Goethe, Schiller, Shakspeare, so stände jenem das Recht zu, ihn nach Belieben zu tadeln. Die Literatur ist eine Republik und keine Bureaukratie. Wo wäre das deutsche Schrift- thum, wenn jeder jüngere Schriftsteller in Ehrfurcht vor dem erster¬ ben müßte, „der durch eine lange Reihe von Jahren in dem gelesen¬ sten deutschen Blatte Kunstgegenstände bespricht" u. s. w. Wenn nur erst die Bahn zu einer ehrlichen freimüthigen Kritik offen wäre ....... dann solltet Ihr noch andere Dinge hören, verehrte Herren! Betet für die Censur; an dem Tage, wo sie stirbt, stirbt eine große Zahl von Euch mit, eben weil Ihr eine lange Reihe von Jahren--und so weiter. Der alte lustige Castelli gibt jetzt eine ausgewählte Sammlung seiner Schriften, die wohl mehr als hundert Bände betragen, in drei¬ zehn Bänden heraus. Einen schweren Schlag hat die hiesige Jour¬ nalistik durch das Abtreten des Dr. Groß-Hofsinger erlitten, dessen gesinnungsvolle und geistsprühende Feder nicht wenig zur Verherrlich¬ ung im Auslande beigetragen; der würdige Mann gab zuletzt noch ein wohlfeiles Tageblatt: „Vindobona" heraus, ganz im Format zu Pfesserdütcn. Trotzdem ging es nicht und kostete doch nur dreißig Kreuzer monatlich! Da dachte sich der schwergeprüfte Publizist, das Wiener Publikum ist unverbesserlich, und legte die trockene Feder nie¬ der. Zuerst verlangte er von der Staatsverwaltung in ziemlich dicta¬ torischer Weife zwölftausend Gulden Entschädigung, oder eine lucra- tive Stelle, denn, dahin ging seine Argumentation, man habe ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/93>, abgerufen am 03.07.2024.