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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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genügen zu können. In Lüttich lebt der originelle, wenn auch ver¬
schrobene Maler Wierz, der die Manie hat, colossale Figuren in
übermenschlicher Große zu malen und sie dann mit einer spitzigen
Feder gegen die Kunstkritiker zu vertheidigen, wodurch er, nebst an¬
dern Auffälligkeiten, eine der bekanntesten Figuren Belgiens gewor¬
den ist.

Die Provinz Hennegau hat in Mons eine Akademie mit 200
Schülern, in Tournai, wo Gallait seine Studien gemacht hat, 160,
und in drei andern Städten noch zusammen 235 Kunst-Zöglinge.
Die Provinz Namur hat eine Malerschule mit 180 und eine Zeich¬
nenschule mit 100 Zöglingen; letztere jedoch ist mehr sür Arbeiter
bestimmt. Die größte Provinz Belgiens, das arme halbdeutsche
Luxemburg, ist am schlechtesten bestellt, sie wird sogar von der aller-
kleinsten belgischen Provinz, von Limburg überflügelt, denn diese hat
doch wenigstens -- 36 Zeichnenschüler.

Fragt man nun, was dieses Heer von jungen Kunstbeflissenen
so zahlreich unter die Fahne lockt, so muß man, abgesehen von der
moralischen Triebfeder eines schönen Ehrgeizes und dem Drang nach
Idealen, doch auch den Glanz der äußern Stellung in Anschlag
bringen. Ein Künstler von einigem Talente sieht in Belgien seine
Zukunft gesichert. Die Kunstausstellung, welche da den bezeich¬
nenden Namen "xnositinn n n lion ale alö tMo-ax etc. führt, fin¬
det alle Jahre statt und alternirt zwischen den drei Städten Brüssel,
Antwerpen und Gent, so daß an jede dieser Städte alle drei Jahre
einmal die Reihe kommt. 5) Die Brüsseler und die Antwerpner
Kunstausstellung ist jedesmal wie ein großes Landesereigniß. Von
allen Seiten bringt die Eisenbahn die patriotischen und kunstsinnigen
Beschauer herbei; alle politischen Journale bringen Wochen und Mo¬
nate lang Kritiken; Broschüren erscheinen, in allen Gesellschaften wird
von Nichts als von der Ausstellung gesprochen, und in Wort und
Schrift wird polemisirt, wie bei den heißesten Kammerdebatten. Der
junge Künstler hat somit nicht nur Gelegenheit, sein Talent in kur¬
zen Zwischenräumen zur Beurtheilung auszustellen, sondern er wird



*) Außerdem haben Lüttich und Mecheln gleichfalls alle zwei Jahre eine
Ausstclluno, und viele Privatgesellschaften befördern noch eigene Ausstellungen
von sechs zu sechs Monaten, da fast jede Stadt von Bedeutung eine Societät
"l'vneoursZemöiit hat.
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genügen zu können. In Lüttich lebt der originelle, wenn auch ver¬
schrobene Maler Wierz, der die Manie hat, colossale Figuren in
übermenschlicher Große zu malen und sie dann mit einer spitzigen
Feder gegen die Kunstkritiker zu vertheidigen, wodurch er, nebst an¬
dern Auffälligkeiten, eine der bekanntesten Figuren Belgiens gewor¬
den ist.

Die Provinz Hennegau hat in Mons eine Akademie mit 200
Schülern, in Tournai, wo Gallait seine Studien gemacht hat, 160,
und in drei andern Städten noch zusammen 235 Kunst-Zöglinge.
Die Provinz Namur hat eine Malerschule mit 180 und eine Zeich¬
nenschule mit 100 Zöglingen; letztere jedoch ist mehr sür Arbeiter
bestimmt. Die größte Provinz Belgiens, das arme halbdeutsche
Luxemburg, ist am schlechtesten bestellt, sie wird sogar von der aller-
kleinsten belgischen Provinz, von Limburg überflügelt, denn diese hat
doch wenigstens — 36 Zeichnenschüler.

Fragt man nun, was dieses Heer von jungen Kunstbeflissenen
so zahlreich unter die Fahne lockt, so muß man, abgesehen von der
moralischen Triebfeder eines schönen Ehrgeizes und dem Drang nach
Idealen, doch auch den Glanz der äußern Stellung in Anschlag
bringen. Ein Künstler von einigem Talente sieht in Belgien seine
Zukunft gesichert. Die Kunstausstellung, welche da den bezeich¬
nenden Namen «xnositinn n n lion ale alö tMo-ax etc. führt, fin¬
det alle Jahre statt und alternirt zwischen den drei Städten Brüssel,
Antwerpen und Gent, so daß an jede dieser Städte alle drei Jahre
einmal die Reihe kommt. 5) Die Brüsseler und die Antwerpner
Kunstausstellung ist jedesmal wie ein großes Landesereigniß. Von
allen Seiten bringt die Eisenbahn die patriotischen und kunstsinnigen
Beschauer herbei; alle politischen Journale bringen Wochen und Mo¬
nate lang Kritiken; Broschüren erscheinen, in allen Gesellschaften wird
von Nichts als von der Ausstellung gesprochen, und in Wort und
Schrift wird polemisirt, wie bei den heißesten Kammerdebatten. Der
junge Künstler hat somit nicht nur Gelegenheit, sein Talent in kur¬
zen Zwischenräumen zur Beurtheilung auszustellen, sondern er wird



*) Außerdem haben Lüttich und Mecheln gleichfalls alle zwei Jahre eine
Ausstclluno, und viele Privatgesellschaften befördern noch eigene Ausstellungen
von sechs zu sechs Monaten, da fast jede Stadt von Bedeutung eine Societät
«l'vneoursZemöiit hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/75>, abgerufen am 23.07.2024.