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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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"es. Aber wunderbar ist es mit diesem Maler! Er componirt
nicht, ich glaube auch, er denkt nicht; aber er hat Phantasien, Er¬
scheinungen; er sieht einzelne Gestalten, er hält sie sest, und ein wun¬
derbares Gebilde tritt aus der Leinwand, ein Gebilde, das er nicht
zu nennen weiß, dessen Ursprung er nicht kennt, das aber durch und
durch schön ist. So mit dem einen seiner Bilder, er nennt es Re-
becka; warum? weil dieses wunderbare Weib einen Krug trägt; hielte
es einen abgeschnittenen Kopf in den Händen, es wäre wohl leichter
für eine Judith zu halten. Ammerling ist ein großer Maler! Seine
Porträts können neben den besten aller Zeiten bestehen, seine anderen
Bilder aus neuerer Zeit übertreffen in Farben und Zeichnung die
ver meisten lebenden Maler. -- So hätte Schrozberg vielleicht auch
werden können, aber die Mode hält ihn auf dem einen Fleck, auf
dem er sich schon vor Jahren befand, und er wird wohl auch nicht
mehr weiter kommen. Sehr zu loben ist noch BumbaS mit seinem
Porträt des Klavierspielers Filtsch, des armen Jungen, der neben seinem
Klaviere dasteht, wie der heilige Laurentius mit seinem Rost.
Wahrhaftig, man könnte dieses Bild zu den historischen zählen, denn
es wird Zeugniß geben von der Schmach unserer Zeit, von unserer
Grausamkeit gegen die wehrlosen Kinder, die man zu Wundern ma¬
chen will durch Plagen und Torturen, gleichwie die Kamisarden aus
ihren Kleinen Seher und Propheten machten. -- Wie er dasteht, der
arme Treibhausvirtuos Filtsch; welche traurige Geschichten man in
seinem blassen, abgezehrten Gesichte liest! und das Alles hat das
Ungeheuer daneben gethan.

Und nun zur Geschichte, zur Historienmalerei! -- Ich enthalte
mich aller Einleitungen, aller Bemerkungen, wie z. B. die Historien¬
malerei jetzt an der Zeit wäre, wie die österreichischen Maler, auch
wenn sie könnten, die interessantesten Stoffe aus ihrer Geschichte nicht
benutzen dürsten, z. B. die Hussitengcschichte, die Lessing so großartig
ausgebeutet hat, serner, daß die sogenannten Nazarener Führich, Kup-
pelwieser, Dittenberger gar nicht mehr so populär sind, als ehedem,
kurz aller dieser Bemerkungen enthalte ich mich, sonst wird die kürzeste
Einleitung länger als die Besprechung. Was bietet uns der Salon an
Historienbildern? Zwei biblische Bilder von Führich, aus denen man
nie den Maler des "Gang nach Emaus" und des "Gang Mariä"


»es. Aber wunderbar ist es mit diesem Maler! Er componirt
nicht, ich glaube auch, er denkt nicht; aber er hat Phantasien, Er¬
scheinungen; er sieht einzelne Gestalten, er hält sie sest, und ein wun¬
derbares Gebilde tritt aus der Leinwand, ein Gebilde, das er nicht
zu nennen weiß, dessen Ursprung er nicht kennt, das aber durch und
durch schön ist. So mit dem einen seiner Bilder, er nennt es Re-
becka; warum? weil dieses wunderbare Weib einen Krug trägt; hielte
es einen abgeschnittenen Kopf in den Händen, es wäre wohl leichter
für eine Judith zu halten. Ammerling ist ein großer Maler! Seine
Porträts können neben den besten aller Zeiten bestehen, seine anderen
Bilder aus neuerer Zeit übertreffen in Farben und Zeichnung die
ver meisten lebenden Maler. — So hätte Schrozberg vielleicht auch
werden können, aber die Mode hält ihn auf dem einen Fleck, auf
dem er sich schon vor Jahren befand, und er wird wohl auch nicht
mehr weiter kommen. Sehr zu loben ist noch BumbaS mit seinem
Porträt des Klavierspielers Filtsch, des armen Jungen, der neben seinem
Klaviere dasteht, wie der heilige Laurentius mit seinem Rost.
Wahrhaftig, man könnte dieses Bild zu den historischen zählen, denn
es wird Zeugniß geben von der Schmach unserer Zeit, von unserer
Grausamkeit gegen die wehrlosen Kinder, die man zu Wundern ma¬
chen will durch Plagen und Torturen, gleichwie die Kamisarden aus
ihren Kleinen Seher und Propheten machten. — Wie er dasteht, der
arme Treibhausvirtuos Filtsch; welche traurige Geschichten man in
seinem blassen, abgezehrten Gesichte liest! und das Alles hat das
Ungeheuer daneben gethan.

Und nun zur Geschichte, zur Historienmalerei! — Ich enthalte
mich aller Einleitungen, aller Bemerkungen, wie z. B. die Historien¬
malerei jetzt an der Zeit wäre, wie die österreichischen Maler, auch
wenn sie könnten, die interessantesten Stoffe aus ihrer Geschichte nicht
benutzen dürsten, z. B. die Hussitengcschichte, die Lessing so großartig
ausgebeutet hat, serner, daß die sogenannten Nazarener Führich, Kup-
pelwieser, Dittenberger gar nicht mehr so populär sind, als ehedem,
kurz aller dieser Bemerkungen enthalte ich mich, sonst wird die kürzeste
Einleitung länger als die Besprechung. Was bietet uns der Salon an
Historienbildern? Zwei biblische Bilder von Führich, aus denen man
nie den Maler des „Gang nach Emaus" und des „Gang Mariä"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/62>, abgerufen am 23.07.2024.