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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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tenter Tochter und Georg mit Laura, deren Brautführer des Her¬
zogs Sohn war, der ihr freiwillig entsagt hatte, als er ihre Liebe zu
Georg erfuhr. Es war ein Tag, der noch heute in der Chronik
von Venedig steht, so schön und herrlich, wie wir ihn nicht erleben.

Nach einer Pause fuhr die Alte fort:

-- Jetzt sind wir wieder in Freiberg. Es war einmal ein
Pfingsttag, die Saaten waren schon hoch emporgeschossen, die Rosen
blühten, der Himmel war blau, und die Sonne schien warm. Die
Bauerburschen waren schön geputzt, die Mädchen strahlten alle in
blendend weißen Schürzen und paarweis gingen sie gegen Abend
hinaus vor das Dorf, banden Kränze, lachten und sangen, schlickerten
und küßten und freuten sich ihres Lebens.-

Nur Christel, Georg's Schwester, mochte sich nicht freuen, son¬
dern saß daheim am Fenster, nähte und wischte sich bisweilen eine
Thräne vom Auge. Vater und Mutter waren hinausgegangen auf
das Feld, Christoph, der kleine pfiffige Bube, der den Beutel versteckt
hatte, war mit seinem Schatz spazieren gegangen' Die Leute waren
alle groß geworden, denn seit Georg's Flucht waren neun Jahre
verflossen. Gegen Abend ging die Thüre auf, und hereintrat ein
junger schmucker Bauerbursche und bot Christel wehmüthig einen gu¬
ten Abend.

-- Du kommst wohl, um mir Abschied zu sagen, Friedrich?
fragte Christel traurig.

-- Ach, sagte der, mein Vater darf es freilich nicht wissen, daß
ich noch zu Dir gehe, aber ich kann ja doch nicht von Dir lassen!

-- Du kannst Dich wohl trösten, seufzte Christel, denn Du
nimmst die Melchiors Rose; die ist freilich reich und wohl auch schö¬
ner als ich, aber was soll ich anfangen?

^- Ich mag die Rose nicht, betheuerte Friedrich, mag mein
Vater machen, was er will; darf ich Dich nicht nehmen, so bleibe
ich all mein Lebtag ledig!

So redeten die jungen unglücklichen Liebesleutchen hin und her
und man sah es ihnen an, daß sie sich recht von Herzen lieb hatten;
aber weil Christel nitrei war, ollte sie Friedrich nicht nehmen.

Die Eltern kehrten, wie eS fast Abend wurde, vom Felde zurück.
Als sie an ihr Halts kamen, blieben sie stehen, denn sie sahe" das
Dorf herauf einen prächtigen Wagen gefahren kommen, wie ste M


tenter Tochter und Georg mit Laura, deren Brautführer des Her¬
zogs Sohn war, der ihr freiwillig entsagt hatte, als er ihre Liebe zu
Georg erfuhr. Es war ein Tag, der noch heute in der Chronik
von Venedig steht, so schön und herrlich, wie wir ihn nicht erleben.

Nach einer Pause fuhr die Alte fort:

— Jetzt sind wir wieder in Freiberg. Es war einmal ein
Pfingsttag, die Saaten waren schon hoch emporgeschossen, die Rosen
blühten, der Himmel war blau, und die Sonne schien warm. Die
Bauerburschen waren schön geputzt, die Mädchen strahlten alle in
blendend weißen Schürzen und paarweis gingen sie gegen Abend
hinaus vor das Dorf, banden Kränze, lachten und sangen, schlickerten
und küßten und freuten sich ihres Lebens.-

Nur Christel, Georg's Schwester, mochte sich nicht freuen, son¬
dern saß daheim am Fenster, nähte und wischte sich bisweilen eine
Thräne vom Auge. Vater und Mutter waren hinausgegangen auf
das Feld, Christoph, der kleine pfiffige Bube, der den Beutel versteckt
hatte, war mit seinem Schatz spazieren gegangen' Die Leute waren
alle groß geworden, denn seit Georg's Flucht waren neun Jahre
verflossen. Gegen Abend ging die Thüre auf, und hereintrat ein
junger schmucker Bauerbursche und bot Christel wehmüthig einen gu¬
ten Abend.

— Du kommst wohl, um mir Abschied zu sagen, Friedrich?
fragte Christel traurig.

— Ach, sagte der, mein Vater darf es freilich nicht wissen, daß
ich noch zu Dir gehe, aber ich kann ja doch nicht von Dir lassen!

— Du kannst Dich wohl trösten, seufzte Christel, denn Du
nimmst die Melchiors Rose; die ist freilich reich und wohl auch schö¬
ner als ich, aber was soll ich anfangen?

^- Ich mag die Rose nicht, betheuerte Friedrich, mag mein
Vater machen, was er will; darf ich Dich nicht nehmen, so bleibe
ich all mein Lebtag ledig!

So redeten die jungen unglücklichen Liebesleutchen hin und her
und man sah es ihnen an, daß sie sich recht von Herzen lieb hatten;
aber weil Christel nitrei war, ollte sie Friedrich nicht nehmen.

Die Eltern kehrten, wie eS fast Abend wurde, vom Felde zurück.
Als sie an ihr Halts kamen, blieben sie stehen, denn sie sahe» das
Dorf herauf einen prächtigen Wagen gefahren kommen, wie ste M


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[0596] tenter Tochter und Georg mit Laura, deren Brautführer des Her¬ zogs Sohn war, der ihr freiwillig entsagt hatte, als er ihre Liebe zu Georg erfuhr. Es war ein Tag, der noch heute in der Chronik von Venedig steht, so schön und herrlich, wie wir ihn nicht erleben. Nach einer Pause fuhr die Alte fort: — Jetzt sind wir wieder in Freiberg. Es war einmal ein Pfingsttag, die Saaten waren schon hoch emporgeschossen, die Rosen blühten, der Himmel war blau, und die Sonne schien warm. Die Bauerburschen waren schön geputzt, die Mädchen strahlten alle in blendend weißen Schürzen und paarweis gingen sie gegen Abend hinaus vor das Dorf, banden Kränze, lachten und sangen, schlickerten und küßten und freuten sich ihres Lebens.- Nur Christel, Georg's Schwester, mochte sich nicht freuen, son¬ dern saß daheim am Fenster, nähte und wischte sich bisweilen eine Thräne vom Auge. Vater und Mutter waren hinausgegangen auf das Feld, Christoph, der kleine pfiffige Bube, der den Beutel versteckt hatte, war mit seinem Schatz spazieren gegangen' Die Leute waren alle groß geworden, denn seit Georg's Flucht waren neun Jahre verflossen. Gegen Abend ging die Thüre auf, und hereintrat ein junger schmucker Bauerbursche und bot Christel wehmüthig einen gu¬ ten Abend. — Du kommst wohl, um mir Abschied zu sagen, Friedrich? fragte Christel traurig. — Ach, sagte der, mein Vater darf es freilich nicht wissen, daß ich noch zu Dir gehe, aber ich kann ja doch nicht von Dir lassen! — Du kannst Dich wohl trösten, seufzte Christel, denn Du nimmst die Melchiors Rose; die ist freilich reich und wohl auch schö¬ ner als ich, aber was soll ich anfangen? ^- Ich mag die Rose nicht, betheuerte Friedrich, mag mein Vater machen, was er will; darf ich Dich nicht nehmen, so bleibe ich all mein Lebtag ledig! So redeten die jungen unglücklichen Liebesleutchen hin und her und man sah es ihnen an, daß sie sich recht von Herzen lieb hatten; aber weil Christel nitrei war, ollte sie Friedrich nicht nehmen. Die Eltern kehrten, wie eS fast Abend wurde, vom Felde zurück. Als sie an ihr Halts kamen, blieben sie stehen, denn sie sahe» das Dorf herauf einen prächtigen Wagen gefahren kommen, wie ste M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/596>, abgerufen am 23.07.2024.