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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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zu lassen, zumal ich versprochen habe, Dich wie meinen Sohn zu
halten.

Georg war überglücklich und dachte tausendmal: Ach, wenn eS
nur die Meinigen in Freiberg gleich wüßten, wie wohl es mir gehl.
'

Den folgenden Tag warf sich Georgs Vater --denn so nannte
er seinen Wohlthäter schon lang -- in sein stolzestes Prachtgewand,
Georg's Herz klopfte laut und bang, denn er wußte, was das zu
bedeuten hatte. Er saß am Pult, rings um ihn wohl hundert Hand¬
lungsgehilfen, die heute noch einmal so unterthänig gegen ihn waren
als früher; er hatte die Feder in der Hand, aber er schrieb nicht.
Er wußte nicht, sollte er weinen oder fröhlich sein. Der reiche Han¬
delsherr wurde von Laura's Vater als einer der angesehensten Bür¬
ger von Venedig wohl ausgenommen, als er aber erzählte, wie er
sein Geschäft seinem wackeren Pflegesohne übergeben habe, und end¬
lich gar mit seiner Bewerbung herausrückte, da zog der Rathsherr
ein gar saures Gesicht und schlug mit Heftigkeit das Gesuch ab,
trug auch dem Kaufherrn auf, Georg zu bedeuten, daß er sein Haus
meiden möge. Der Brautwerber mußte abziehen, beschloß aber, Georg
vor der Hand den traurigen Ausgang des Feldzugs zu verschweigen
und ihn erst nach und nach darauf vorzubereiten.

Im Hause des Rathsherrn brach nun auch ein Donnerwetter
über Sohn und Tochter los, und der Jammer war nicht gering.
Georg ahnte sogleich, daß die Hoffnung fehlgeschlagen sei, wie er
seinen Vater so still zurückkehren sah. Das Leben hatte für ihn von
da an seinen Werth verloren. Als er endlich den Hergang der Sache
erfuhr, überraschte es ihn nicht mehr.

-- Ach, das ist eine traurige Geschichte! rief meine Schwester
und trocknete eine Thräne vom Auge, ich sagte unwillig: Sei doch
ruhig, sie werden sich schon einander kriegen! Die Erzählerin seufzte:
Ach, man muß gar manches Herzeleid im Leben tragen, und der ist
schon glücklich zu nennen, der unter zehn Regentagen nur Einen
Sonnentag hat. Meine Geschichte geht nun bald zu Ende.

Georg verlor alle Lebenslust. Seine Brüder gaben sich alle
Mühe, ihn aufzuheitern, aber vergebens. Auch sein Freund, Laura's
Bruder, kam nicht, aber er hörte das Gerücht durch die Stadt lau¬
fen, daß nächstens eine Doppelhochzeit im Hause des Herzogs und
des Nathöhcrm stattfinden werde. Er gelobte sich, Laura's Hoch-


Grciizboteil ,"44. II. 74

zu lassen, zumal ich versprochen habe, Dich wie meinen Sohn zu
halten.

Georg war überglücklich und dachte tausendmal: Ach, wenn eS
nur die Meinigen in Freiberg gleich wüßten, wie wohl es mir gehl.
'

Den folgenden Tag warf sich Georgs Vater —denn so nannte
er seinen Wohlthäter schon lang — in sein stolzestes Prachtgewand,
Georg's Herz klopfte laut und bang, denn er wußte, was das zu
bedeuten hatte. Er saß am Pult, rings um ihn wohl hundert Hand¬
lungsgehilfen, die heute noch einmal so unterthänig gegen ihn waren
als früher; er hatte die Feder in der Hand, aber er schrieb nicht.
Er wußte nicht, sollte er weinen oder fröhlich sein. Der reiche Han¬
delsherr wurde von Laura's Vater als einer der angesehensten Bür¬
ger von Venedig wohl ausgenommen, als er aber erzählte, wie er
sein Geschäft seinem wackeren Pflegesohne übergeben habe, und end¬
lich gar mit seiner Bewerbung herausrückte, da zog der Rathsherr
ein gar saures Gesicht und schlug mit Heftigkeit das Gesuch ab,
trug auch dem Kaufherrn auf, Georg zu bedeuten, daß er sein Haus
meiden möge. Der Brautwerber mußte abziehen, beschloß aber, Georg
vor der Hand den traurigen Ausgang des Feldzugs zu verschweigen
und ihn erst nach und nach darauf vorzubereiten.

Im Hause des Rathsherrn brach nun auch ein Donnerwetter
über Sohn und Tochter los, und der Jammer war nicht gering.
Georg ahnte sogleich, daß die Hoffnung fehlgeschlagen sei, wie er
seinen Vater so still zurückkehren sah. Das Leben hatte für ihn von
da an seinen Werth verloren. Als er endlich den Hergang der Sache
erfuhr, überraschte es ihn nicht mehr.

— Ach, das ist eine traurige Geschichte! rief meine Schwester
und trocknete eine Thräne vom Auge, ich sagte unwillig: Sei doch
ruhig, sie werden sich schon einander kriegen! Die Erzählerin seufzte:
Ach, man muß gar manches Herzeleid im Leben tragen, und der ist
schon glücklich zu nennen, der unter zehn Regentagen nur Einen
Sonnentag hat. Meine Geschichte geht nun bald zu Ende.

Georg verlor alle Lebenslust. Seine Brüder gaben sich alle
Mühe, ihn aufzuheitern, aber vergebens. Auch sein Freund, Laura's
Bruder, kam nicht, aber er hörte das Gerücht durch die Stadt lau¬
fen, daß nächstens eine Doppelhochzeit im Hause des Herzogs und
des Nathöhcrm stattfinden werde. Er gelobte sich, Laura's Hoch-


Grciizboteil ,«44. II. 74
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[0593] zu lassen, zumal ich versprochen habe, Dich wie meinen Sohn zu halten. Georg war überglücklich und dachte tausendmal: Ach, wenn eS nur die Meinigen in Freiberg gleich wüßten, wie wohl es mir gehl. ' Den folgenden Tag warf sich Georgs Vater —denn so nannte er seinen Wohlthäter schon lang — in sein stolzestes Prachtgewand, Georg's Herz klopfte laut und bang, denn er wußte, was das zu bedeuten hatte. Er saß am Pult, rings um ihn wohl hundert Hand¬ lungsgehilfen, die heute noch einmal so unterthänig gegen ihn waren als früher; er hatte die Feder in der Hand, aber er schrieb nicht. Er wußte nicht, sollte er weinen oder fröhlich sein. Der reiche Han¬ delsherr wurde von Laura's Vater als einer der angesehensten Bür¬ ger von Venedig wohl ausgenommen, als er aber erzählte, wie er sein Geschäft seinem wackeren Pflegesohne übergeben habe, und end¬ lich gar mit seiner Bewerbung herausrückte, da zog der Rathsherr ein gar saures Gesicht und schlug mit Heftigkeit das Gesuch ab, trug auch dem Kaufherrn auf, Georg zu bedeuten, daß er sein Haus meiden möge. Der Brautwerber mußte abziehen, beschloß aber, Georg vor der Hand den traurigen Ausgang des Feldzugs zu verschweigen und ihn erst nach und nach darauf vorzubereiten. Im Hause des Rathsherrn brach nun auch ein Donnerwetter über Sohn und Tochter los, und der Jammer war nicht gering. Georg ahnte sogleich, daß die Hoffnung fehlgeschlagen sei, wie er seinen Vater so still zurückkehren sah. Das Leben hatte für ihn von da an seinen Werth verloren. Als er endlich den Hergang der Sache erfuhr, überraschte es ihn nicht mehr. — Ach, das ist eine traurige Geschichte! rief meine Schwester und trocknete eine Thräne vom Auge, ich sagte unwillig: Sei doch ruhig, sie werden sich schon einander kriegen! Die Erzählerin seufzte: Ach, man muß gar manches Herzeleid im Leben tragen, und der ist schon glücklich zu nennen, der unter zehn Regentagen nur Einen Sonnentag hat. Meine Geschichte geht nun bald zu Ende. Georg verlor alle Lebenslust. Seine Brüder gaben sich alle Mühe, ihn aufzuheitern, aber vergebens. Auch sein Freund, Laura's Bruder, kam nicht, aber er hörte das Gerücht durch die Stadt lau¬ fen, daß nächstens eine Doppelhochzeit im Hause des Herzogs und des Nathöhcrm stattfinden werde. Er gelobte sich, Laura's Hoch- Grciizboteil ,«44. II. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/593>, abgerufen am 23.07.2024.