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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Kopf setzt! Ich kann meinen Gorge gerade jetzt bei der Arbeit am
allerbesten brauchen, und ich habe meinen Kindern immer das Sprü¬
che! gesagt, das mein Vater mich gelehrt hat: Bleib' im Land und
mähr' Dich redlich! Fort darf mir mein Junge nun einmal nicht,
und wenn er etwa ein Kopfhänger werden sollte und sich drüber
abgrämte, daß er hier bleiben muß, so wäre es Eure Schuld. Das
ist nicht recht von Euch gethan!

-- Nun, sprach de,r Wale, Elternwille kommt gleich nach Got¬
tes Willen, ich glaubte aber, Euch einen Gefallen zu thun, wenn
ich aus dem Burschen was Tüchtiges machen könnte. Aber da Ihr
nicht wollt, so sei es drum!

Georg setzte sich nun in eine Ecke und schluchzte in sich hinein,
daß er nun doch hier bleiben und von seinem lieben Freunde sich
trennen sollte. Die Alten beruhigten sich nach und nach wieder und
sprachen Nichts mehr von der Sache. Endlich sagte der alte Gorge:
Ihr redet davon, daß Ihr große Reichthümer hättet, und nach den
Geschenken, die Ihr uns immer mitgebracht habt, ließe sich das schon
vermuthen. Aber nehmt es mir nicht übel, wie reimt sich das da¬
mit zusammen, daß Ihr den ganzen Sommer lang Steine klopft
und im Wasser herumwatet?

-- Lieber Wirth, entgegnete der Wale, Ihr werft manchmal
einen Stein nach der Kuh, und der Stein ist mehr werth als die
Kuh. Seht, diesem Herumwaten im Wasser und diesem Stein-
klopfer verdanke ich eben meine Reichthümer.

Der Bauer schüttelte ungläubig den Kopf, die Frau horchte gar
neugierig, der Fremde aber fuhr fort: Meine Vaterstadt heißt Vene-
zia, oder wie Ihr Deutschen es nennt, Venedig. Diese Stadt ist
gar reich und herrlich und liegt auf hundert Inseln im Meer, in
das sie auf Balken und Pfosten weit hineingebaut ist, so daß man
auf den Straßen in Kähnen fahren kann. Der Herzog dieser Stadt
fährt alljährlich am Himmelfahrtstage in einem goldenen Schiffe hin¬
aus auf das Meer und wirft unter großem Gepräng einen golde¬
nen Verlobungsring hinein in die Fluchen, zum Zeichen, daß Vene¬
dig die Braut des Meeres und seine Herrin sei. Und wirklich ist
Venezia großmächtig zur See, alle Welt nennt sie die Königin der
Meere. Viele große, stolze Städte sind ihr Unterthan und dazu noch
unermeßlich reiche Inseln. Unsere Kaufleute sind reicher als Euere


Kopf setzt! Ich kann meinen Gorge gerade jetzt bei der Arbeit am
allerbesten brauchen, und ich habe meinen Kindern immer das Sprü¬
che! gesagt, das mein Vater mich gelehrt hat: Bleib' im Land und
mähr' Dich redlich! Fort darf mir mein Junge nun einmal nicht,
und wenn er etwa ein Kopfhänger werden sollte und sich drüber
abgrämte, daß er hier bleiben muß, so wäre es Eure Schuld. Das
ist nicht recht von Euch gethan!

— Nun, sprach de,r Wale, Elternwille kommt gleich nach Got¬
tes Willen, ich glaubte aber, Euch einen Gefallen zu thun, wenn
ich aus dem Burschen was Tüchtiges machen könnte. Aber da Ihr
nicht wollt, so sei es drum!

Georg setzte sich nun in eine Ecke und schluchzte in sich hinein,
daß er nun doch hier bleiben und von seinem lieben Freunde sich
trennen sollte. Die Alten beruhigten sich nach und nach wieder und
sprachen Nichts mehr von der Sache. Endlich sagte der alte Gorge:
Ihr redet davon, daß Ihr große Reichthümer hättet, und nach den
Geschenken, die Ihr uns immer mitgebracht habt, ließe sich das schon
vermuthen. Aber nehmt es mir nicht übel, wie reimt sich das da¬
mit zusammen, daß Ihr den ganzen Sommer lang Steine klopft
und im Wasser herumwatet?

— Lieber Wirth, entgegnete der Wale, Ihr werft manchmal
einen Stein nach der Kuh, und der Stein ist mehr werth als die
Kuh. Seht, diesem Herumwaten im Wasser und diesem Stein-
klopfer verdanke ich eben meine Reichthümer.

Der Bauer schüttelte ungläubig den Kopf, die Frau horchte gar
neugierig, der Fremde aber fuhr fort: Meine Vaterstadt heißt Vene-
zia, oder wie Ihr Deutschen es nennt, Venedig. Diese Stadt ist
gar reich und herrlich und liegt auf hundert Inseln im Meer, in
das sie auf Balken und Pfosten weit hineingebaut ist, so daß man
auf den Straßen in Kähnen fahren kann. Der Herzog dieser Stadt
fährt alljährlich am Himmelfahrtstage in einem goldenen Schiffe hin¬
aus auf das Meer und wirft unter großem Gepräng einen golde¬
nen Verlobungsring hinein in die Fluchen, zum Zeichen, daß Vene¬
dig die Braut des Meeres und seine Herrin sei. Und wirklich ist
Venezia großmächtig zur See, alle Welt nennt sie die Königin der
Meere. Viele große, stolze Städte sind ihr Unterthan und dazu noch
unermeßlich reiche Inseln. Unsere Kaufleute sind reicher als Euere


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[0538] Kopf setzt! Ich kann meinen Gorge gerade jetzt bei der Arbeit am allerbesten brauchen, und ich habe meinen Kindern immer das Sprü¬ che! gesagt, das mein Vater mich gelehrt hat: Bleib' im Land und mähr' Dich redlich! Fort darf mir mein Junge nun einmal nicht, und wenn er etwa ein Kopfhänger werden sollte und sich drüber abgrämte, daß er hier bleiben muß, so wäre es Eure Schuld. Das ist nicht recht von Euch gethan! — Nun, sprach de,r Wale, Elternwille kommt gleich nach Got¬ tes Willen, ich glaubte aber, Euch einen Gefallen zu thun, wenn ich aus dem Burschen was Tüchtiges machen könnte. Aber da Ihr nicht wollt, so sei es drum! Georg setzte sich nun in eine Ecke und schluchzte in sich hinein, daß er nun doch hier bleiben und von seinem lieben Freunde sich trennen sollte. Die Alten beruhigten sich nach und nach wieder und sprachen Nichts mehr von der Sache. Endlich sagte der alte Gorge: Ihr redet davon, daß Ihr große Reichthümer hättet, und nach den Geschenken, die Ihr uns immer mitgebracht habt, ließe sich das schon vermuthen. Aber nehmt es mir nicht übel, wie reimt sich das da¬ mit zusammen, daß Ihr den ganzen Sommer lang Steine klopft und im Wasser herumwatet? — Lieber Wirth, entgegnete der Wale, Ihr werft manchmal einen Stein nach der Kuh, und der Stein ist mehr werth als die Kuh. Seht, diesem Herumwaten im Wasser und diesem Stein- klopfer verdanke ich eben meine Reichthümer. Der Bauer schüttelte ungläubig den Kopf, die Frau horchte gar neugierig, der Fremde aber fuhr fort: Meine Vaterstadt heißt Vene- zia, oder wie Ihr Deutschen es nennt, Venedig. Diese Stadt ist gar reich und herrlich und liegt auf hundert Inseln im Meer, in das sie auf Balken und Pfosten weit hineingebaut ist, so daß man auf den Straßen in Kähnen fahren kann. Der Herzog dieser Stadt fährt alljährlich am Himmelfahrtstage in einem goldenen Schiffe hin¬ aus auf das Meer und wirft unter großem Gepräng einen golde¬ nen Verlobungsring hinein in die Fluchen, zum Zeichen, daß Vene¬ dig die Braut des Meeres und seine Herrin sei. Und wirklich ist Venezia großmächtig zur See, alle Welt nennt sie die Königin der Meere. Viele große, stolze Städte sind ihr Unterthan und dazu noch unermeßlich reiche Inseln. Unsere Kaufleute sind reicher als Euere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/538>, abgerufen am 23.07.2024.