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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Sie setzte sich zu uns und sagte: Er las auch einmal mit mir
hier oben Preißelsbeeren, und ich hatte ihm versprochen, wenn er
fleißig wäre, wollte ich ihm eine Geschichte erzählen. Da war er
emsig! Als wir hernach eben hier an der Quelle saßen, erzählte ich
ihm die Geschichte, die Ihr jetzt auch hören sollt. Ach, ich habe
sie schon tausendmal erzählt, daß sie alle Kinder im Dorf auswen¬
dig wissen, und ich kann es doch nicht sattkriegen, sie zu erzählen,
weil ich dann allemal denke, ich hätte meinen Traugott noch und er
horte mir zu. Nun also!

Meine Schwester schlang den Arm um meinen Nacken, wir hör¬
ten beide gespannt zu. Die Alte begann zu erzählen.

-- Seht Ihr, Kinder, die Elster, an deren Brunnen wir sitzen,
birgt weiter unten, über Adorf hinaus, einen gar herrlichen Schatz
in ihrem Bette. Da liegen Tausende von Muscheln, und wenn
man sie aufmacht, so findet man Körner, die wie Erbsen und Hasel¬
nüsse gestaltet sind, aber sie glänzen so hell, wie die Sonne, wenn
sie in das Wasser scheint. In der ganzen Welt ist kein so kleiner
Fluß weiter, der solche Kleinode in die Schatzkammer eines Königs
lieferte, nur im großen Weltmeere findet man tief unten, stundentief
in dem Wasser solche Muschelhäuschen mit Perlen. Vor mehr als
zweihundert J.ihren wußte man noch Nichts von den Schätzen unse¬
rer Elster. Da kamen aber wildfremde Leute Hieher in unser Land,
die wohnten weit drüben über hohen Bergen in Wälschland, wes¬
halb man sie Walen hieß, und durchsuchten jeden Sommer unsere
Bäche und liefen in den Wäldern herum, und wenn sie Abends in's
Quartier kamen, brachten sie Steine mit und solche Dinge, aus de¬
nen hier Niemand Etwas zu machen wußte. Aber die Walen wu߬
ten wohl, was sie damit wollten, denn sie fanden manchen Edelstein
in den Felsen und ganze Säcke voll Goldkörner im Wasser -- da
oben bei Grün liegt ein Oertchen, das von ihnen noch heute den
Namen "Goldbrunnen" führt -- aber das Edelste waren die Perlen,
und die Walen lachten sich in das Fäustchen, wenn die Bauern über
ihr Thun und Treiben den Kopf schüttelten.

Ein solcher Wale wohnte denn auch manchen lieben Sommer
lang bei einem armen Bauer in Freiberg, das hinter Adorf liegt,
nicht weit von der Elster. Weil er den armen Leuten viel Geld
gab für Kost und Wohnung und den Kindern schöne Geschichten


Sie setzte sich zu uns und sagte: Er las auch einmal mit mir
hier oben Preißelsbeeren, und ich hatte ihm versprochen, wenn er
fleißig wäre, wollte ich ihm eine Geschichte erzählen. Da war er
emsig! Als wir hernach eben hier an der Quelle saßen, erzählte ich
ihm die Geschichte, die Ihr jetzt auch hören sollt. Ach, ich habe
sie schon tausendmal erzählt, daß sie alle Kinder im Dorf auswen¬
dig wissen, und ich kann es doch nicht sattkriegen, sie zu erzählen,
weil ich dann allemal denke, ich hätte meinen Traugott noch und er
horte mir zu. Nun also!

Meine Schwester schlang den Arm um meinen Nacken, wir hör¬
ten beide gespannt zu. Die Alte begann zu erzählen.

— Seht Ihr, Kinder, die Elster, an deren Brunnen wir sitzen,
birgt weiter unten, über Adorf hinaus, einen gar herrlichen Schatz
in ihrem Bette. Da liegen Tausende von Muscheln, und wenn
man sie aufmacht, so findet man Körner, die wie Erbsen und Hasel¬
nüsse gestaltet sind, aber sie glänzen so hell, wie die Sonne, wenn
sie in das Wasser scheint. In der ganzen Welt ist kein so kleiner
Fluß weiter, der solche Kleinode in die Schatzkammer eines Königs
lieferte, nur im großen Weltmeere findet man tief unten, stundentief
in dem Wasser solche Muschelhäuschen mit Perlen. Vor mehr als
zweihundert J.ihren wußte man noch Nichts von den Schätzen unse¬
rer Elster. Da kamen aber wildfremde Leute Hieher in unser Land,
die wohnten weit drüben über hohen Bergen in Wälschland, wes¬
halb man sie Walen hieß, und durchsuchten jeden Sommer unsere
Bäche und liefen in den Wäldern herum, und wenn sie Abends in's
Quartier kamen, brachten sie Steine mit und solche Dinge, aus de¬
nen hier Niemand Etwas zu machen wußte. Aber die Walen wu߬
ten wohl, was sie damit wollten, denn sie fanden manchen Edelstein
in den Felsen und ganze Säcke voll Goldkörner im Wasser — da
oben bei Grün liegt ein Oertchen, das von ihnen noch heute den
Namen „Goldbrunnen" führt — aber das Edelste waren die Perlen,
und die Walen lachten sich in das Fäustchen, wenn die Bauern über
ihr Thun und Treiben den Kopf schüttelten.

Ein solcher Wale wohnte denn auch manchen lieben Sommer
lang bei einem armen Bauer in Freiberg, das hinter Adorf liegt,
nicht weit von der Elster. Weil er den armen Leuten viel Geld
gab für Kost und Wohnung und den Kindern schöne Geschichten


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[0536] Sie setzte sich zu uns und sagte: Er las auch einmal mit mir hier oben Preißelsbeeren, und ich hatte ihm versprochen, wenn er fleißig wäre, wollte ich ihm eine Geschichte erzählen. Da war er emsig! Als wir hernach eben hier an der Quelle saßen, erzählte ich ihm die Geschichte, die Ihr jetzt auch hören sollt. Ach, ich habe sie schon tausendmal erzählt, daß sie alle Kinder im Dorf auswen¬ dig wissen, und ich kann es doch nicht sattkriegen, sie zu erzählen, weil ich dann allemal denke, ich hätte meinen Traugott noch und er horte mir zu. Nun also! Meine Schwester schlang den Arm um meinen Nacken, wir hör¬ ten beide gespannt zu. Die Alte begann zu erzählen. — Seht Ihr, Kinder, die Elster, an deren Brunnen wir sitzen, birgt weiter unten, über Adorf hinaus, einen gar herrlichen Schatz in ihrem Bette. Da liegen Tausende von Muscheln, und wenn man sie aufmacht, so findet man Körner, die wie Erbsen und Hasel¬ nüsse gestaltet sind, aber sie glänzen so hell, wie die Sonne, wenn sie in das Wasser scheint. In der ganzen Welt ist kein so kleiner Fluß weiter, der solche Kleinode in die Schatzkammer eines Königs lieferte, nur im großen Weltmeere findet man tief unten, stundentief in dem Wasser solche Muschelhäuschen mit Perlen. Vor mehr als zweihundert J.ihren wußte man noch Nichts von den Schätzen unse¬ rer Elster. Da kamen aber wildfremde Leute Hieher in unser Land, die wohnten weit drüben über hohen Bergen in Wälschland, wes¬ halb man sie Walen hieß, und durchsuchten jeden Sommer unsere Bäche und liefen in den Wäldern herum, und wenn sie Abends in's Quartier kamen, brachten sie Steine mit und solche Dinge, aus de¬ nen hier Niemand Etwas zu machen wußte. Aber die Walen wu߬ ten wohl, was sie damit wollten, denn sie fanden manchen Edelstein in den Felsen und ganze Säcke voll Goldkörner im Wasser — da oben bei Grün liegt ein Oertchen, das von ihnen noch heute den Namen „Goldbrunnen" führt — aber das Edelste waren die Perlen, und die Walen lachten sich in das Fäustchen, wenn die Bauern über ihr Thun und Treiben den Kopf schüttelten. Ein solcher Wale wohnte denn auch manchen lieben Sommer lang bei einem armen Bauer in Freiberg, das hinter Adorf liegt, nicht weit von der Elster. Weil er den armen Leuten viel Geld gab für Kost und Wohnung und den Kindern schöne Geschichten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/536>, abgerufen am 23.12.2024.