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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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geschenkt wird, da versammeln sich, wie von geheimer Attractionökrast
angezogen, Beamte, Künstler, Gelehrte, Offiziere, Studenten neben
dem gemeinen Soldaten, dem Handwerker, dem Schiffer, dem Flößer,
dem Fuhrmann, dem Bauer und der Bäuerin, in ungezwungener
Gattung; jene widerliche Manier, womit man in Norddemschland
jeden Eintretenden mit Blicken zu firiren und so lange festzuhalten
pflegt, bis man ungefähr weiß, aus welchem Stoff seine Weste be¬
steht, wessen Standes er ist, was er sich verabreichen läßt u. s. w.
findet hier durchaus nicht statt. Auch fällt jenes städtische Klatsch¬
geschäft, wie man es wohl anderwärts auf offenen Bierbänken treibt,
hier gänzlich weg. Es liegt dies nicht in der großstädtischen Natur
der Einwohner; vielmehr ist München zu schnell gewachsen, um sich
jetzt schon, so geräumig und prächtig es ist, als große Stadt zu füh¬
len und alle provinzielle Naivetät, die übrigens ihr Reizendes hat,
von sich gestreift zu haben; aber der böse Leumund und die vorlaute
Klatschsucht liegen dem hiesigen Volkscharakter im Ganzen fern; man
lebt und läßt leben; man liebt es, selbst unbeachret zu bleiben, und
beachtet daher auch Andere nicht, sobald sie nicht etwa mit norddeut¬
schen Ansprüchen und StandeSprätensionen lästig fallen.

Der Münchner ist überhaupt mehr schweigsam verschlossener, als
geschwätziger Natur, wovon jedoch, wie überall, die Frauen eine Aus¬
nahme machen mögen. Auf Komplimente und süße nichtige Redens¬
arten, wie sie in Norddeutschland so häufig sind, versteht er sich durchaus
nicht; er kennt nicht jenes wohlfeile Zu- und Anlächeln, als wüßte
er um Shakspeare'ö Wort: daß man lachen und doch dabei ein aus¬
gemachter Schurke sein könne. Er erscheint häufig etwas derb, wenn
aber Taillandier in der lievuo des 6<z>ix monlK>8 gelegentlich von
den "Uitlntutles lin-It-x-indes" und dem it unten-mi" der Münch¬
ner spricht, so ist dies doch wohl ein etwas harter Ausspruch und nur
die französische Paraphrase einer in Deutschland weit verbreiteten
Journalausicht. -- An feiner Eleganz und Salonbildung -- wenn
man einmal hiernach den Geist eines Volkes beurtheilen will --
fehlt es hier in den höheren Kreisen keineswegs, am allerwenigsten
aber an natürlichem Takt; und es bleibt immerhin merkwürdig, daß,
während man die Münchner der Plumpheit beschuldigt, eine geborne
Münchnerin, Charlotte von Hagn, auf den norddeutschen Bühnen
als das Muster aller Grazie und seinen Salonbildung bewundert


geschenkt wird, da versammeln sich, wie von geheimer Attractionökrast
angezogen, Beamte, Künstler, Gelehrte, Offiziere, Studenten neben
dem gemeinen Soldaten, dem Handwerker, dem Schiffer, dem Flößer,
dem Fuhrmann, dem Bauer und der Bäuerin, in ungezwungener
Gattung; jene widerliche Manier, womit man in Norddemschland
jeden Eintretenden mit Blicken zu firiren und so lange festzuhalten
pflegt, bis man ungefähr weiß, aus welchem Stoff seine Weste be¬
steht, wessen Standes er ist, was er sich verabreichen läßt u. s. w.
findet hier durchaus nicht statt. Auch fällt jenes städtische Klatsch¬
geschäft, wie man es wohl anderwärts auf offenen Bierbänken treibt,
hier gänzlich weg. Es liegt dies nicht in der großstädtischen Natur
der Einwohner; vielmehr ist München zu schnell gewachsen, um sich
jetzt schon, so geräumig und prächtig es ist, als große Stadt zu füh¬
len und alle provinzielle Naivetät, die übrigens ihr Reizendes hat,
von sich gestreift zu haben; aber der böse Leumund und die vorlaute
Klatschsucht liegen dem hiesigen Volkscharakter im Ganzen fern; man
lebt und läßt leben; man liebt es, selbst unbeachret zu bleiben, und
beachtet daher auch Andere nicht, sobald sie nicht etwa mit norddeut¬
schen Ansprüchen und StandeSprätensionen lästig fallen.

Der Münchner ist überhaupt mehr schweigsam verschlossener, als
geschwätziger Natur, wovon jedoch, wie überall, die Frauen eine Aus¬
nahme machen mögen. Auf Komplimente und süße nichtige Redens¬
arten, wie sie in Norddeutschland so häufig sind, versteht er sich durchaus
nicht; er kennt nicht jenes wohlfeile Zu- und Anlächeln, als wüßte
er um Shakspeare'ö Wort: daß man lachen und doch dabei ein aus¬
gemachter Schurke sein könne. Er erscheint häufig etwas derb, wenn
aber Taillandier in der lievuo des 6<z>ix monlK>8 gelegentlich von
den „Uitlntutles lin-It-x-indes" und dem it unten-mi" der Münch¬
ner spricht, so ist dies doch wohl ein etwas harter Ausspruch und nur
die französische Paraphrase einer in Deutschland weit verbreiteten
Journalausicht. — An feiner Eleganz und Salonbildung — wenn
man einmal hiernach den Geist eines Volkes beurtheilen will —
fehlt es hier in den höheren Kreisen keineswegs, am allerwenigsten
aber an natürlichem Takt; und es bleibt immerhin merkwürdig, daß,
während man die Münchner der Plumpheit beschuldigt, eine geborne
Münchnerin, Charlotte von Hagn, auf den norddeutschen Bühnen
als das Muster aller Grazie und seinen Salonbildung bewundert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/495>, abgerufen am 23.12.2024.