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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Depottation eines Mannes, den man jetzt, möge man über sein frü¬
heres Treiben noch so mißbilligend den Kopf geschüttelt haben, noth¬
wendig als einen Märtyrer der Idee betrachten muß? Wie kleinlich,
wie erbärmlich ist dieses Deutschland in seinem Ankämpfen gegen
jede fremdartige Erscheinung, die ihm etwas unbequem auf das Ner¬
vensystem fallt. An ein ruhiges Abwarten des Entwickelungsprozesses,
der ihr etwa vorbehalten sein könnte, wird nie gedacht. Und doch
hätte man sich so oft durch ein solches jede gewaltsame Anstrengung,
das Unbequeme bei Seite zu schassen, ersparen können--aber

Deutschland hat weder Seelengröße, noch ein gutes Gewissen. Darin
liegt's! Bei Campe wird von Weitling eine Liedersammlung erschei¬
nen. Er hat sie zu Zürich im Gefängniß geschrieben. Kerkerpoesie!
Es liegt immer ein eigener Reiz darin. Im Unglück und als Ver¬
liebter wird der Mensch am häufigsten zum Dichter. Weitling hat
zu seinen Liedern eine Vorrede geschrieben, die ich gelesen habe und
die, ungekünstelt, doch klar abgefaßt, sehr für ihn einnimmt. Er hat
auch englische Verse gemacht, was doch bei einem ehemaligen Schnei-
dergesellen selbst Leute, die ihn sehr verächtlich behandelt, ansehnlich
in Erstaunen setzen dürfte. -- Die neue Gedichtsammlung von
Heinrich Heine, die ich Ihnen schon angekündigt, wird nächstens
ausgegeben; eben so die fünfte Auflage vom Buch der Lieder. Man
spricht auch von Heine's Memoiren. Er erregt noch immer war¬
mes Interesse im Kreise seiner Freunde. Für den großen Haufen ist
hier auch ein Literaturgenie von keiner weiteren Bedeutung, als daß
man einmal vernimmt: "Haben Sie schon gehört, der Heine ist
hier." "So? -- kenn' ihn nicht. Und der Kaffee! Was sagen
Sie -- schon wieder gewichen!" -- Heine hat übrigens weniger
Embonpoint, als bei seiner Anwesenheit im vorigen Spätherbst. Sein
Witz hat sich vielleicht der blassen Fettwangen geschämt -- Hier
noch eine Anekdote, deren Mittheilung bei ihrer'echt humoristischen
Natur wohl keine Indiskretion ist und die mir als vollkommen
wahr erzählt wurde. An der Tafel seines Onkels kam das Gespräch
neulich auf Heine's Polemik in Versen gegen den König von Baiern.
"Hör' mal. Du!" sagte der alte wackere Salomon zu seinem Neffen,
"ich begreif' nicht, wie Du Dir so was herausnehmen kannst gegen
'nen König. Was bist Du gegen den? 'n Lump bist Du!" --
"Da hast Du freilich recht, Onkel," antwortete der Dichter äußerst
gelassen: "aber siehst Du, das Versemachen ist mein Geschäft. Der
König von Baiern macht auch welche, beeinträchtigt mir mein
Handwerk und das brauch' ich nicht zu leiden, -- also --"

Es geht hier jetzt die Sage, das beständige Regenwetter dieses
Sommers sei eigentlich Directionswetter und von den hiesigen wie
auswärtigen Bühnenvorstanden zur Entschädigung für frühere schlechte


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Depottation eines Mannes, den man jetzt, möge man über sein frü¬
heres Treiben noch so mißbilligend den Kopf geschüttelt haben, noth¬
wendig als einen Märtyrer der Idee betrachten muß? Wie kleinlich,
wie erbärmlich ist dieses Deutschland in seinem Ankämpfen gegen
jede fremdartige Erscheinung, die ihm etwas unbequem auf das Ner¬
vensystem fallt. An ein ruhiges Abwarten des Entwickelungsprozesses,
der ihr etwa vorbehalten sein könnte, wird nie gedacht. Und doch
hätte man sich so oft durch ein solches jede gewaltsame Anstrengung,
das Unbequeme bei Seite zu schassen, ersparen können--aber

Deutschland hat weder Seelengröße, noch ein gutes Gewissen. Darin
liegt's! Bei Campe wird von Weitling eine Liedersammlung erschei¬
nen. Er hat sie zu Zürich im Gefängniß geschrieben. Kerkerpoesie!
Es liegt immer ein eigener Reiz darin. Im Unglück und als Ver¬
liebter wird der Mensch am häufigsten zum Dichter. Weitling hat
zu seinen Liedern eine Vorrede geschrieben, die ich gelesen habe und
die, ungekünstelt, doch klar abgefaßt, sehr für ihn einnimmt. Er hat
auch englische Verse gemacht, was doch bei einem ehemaligen Schnei-
dergesellen selbst Leute, die ihn sehr verächtlich behandelt, ansehnlich
in Erstaunen setzen dürfte. — Die neue Gedichtsammlung von
Heinrich Heine, die ich Ihnen schon angekündigt, wird nächstens
ausgegeben; eben so die fünfte Auflage vom Buch der Lieder. Man
spricht auch von Heine's Memoiren. Er erregt noch immer war¬
mes Interesse im Kreise seiner Freunde. Für den großen Haufen ist
hier auch ein Literaturgenie von keiner weiteren Bedeutung, als daß
man einmal vernimmt: „Haben Sie schon gehört, der Heine ist
hier." „So? — kenn' ihn nicht. Und der Kaffee! Was sagen
Sie — schon wieder gewichen!" — Heine hat übrigens weniger
Embonpoint, als bei seiner Anwesenheit im vorigen Spätherbst. Sein
Witz hat sich vielleicht der blassen Fettwangen geschämt — Hier
noch eine Anekdote, deren Mittheilung bei ihrer'echt humoristischen
Natur wohl keine Indiskretion ist und die mir als vollkommen
wahr erzählt wurde. An der Tafel seines Onkels kam das Gespräch
neulich auf Heine's Polemik in Versen gegen den König von Baiern.
„Hör' mal. Du!" sagte der alte wackere Salomon zu seinem Neffen,
„ich begreif' nicht, wie Du Dir so was herausnehmen kannst gegen
'nen König. Was bist Du gegen den? 'n Lump bist Du!" —
„Da hast Du freilich recht, Onkel," antwortete der Dichter äußerst
gelassen: „aber siehst Du, das Versemachen ist mein Geschäft. Der
König von Baiern macht auch welche, beeinträchtigt mir mein
Handwerk und das brauch' ich nicht zu leiden, — also —"

Es geht hier jetzt die Sage, das beständige Regenwetter dieses
Sommers sei eigentlich Directionswetter und von den hiesigen wie
auswärtigen Bühnenvorstanden zur Entschädigung für frühere schlechte


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[0483] Depottation eines Mannes, den man jetzt, möge man über sein frü¬ heres Treiben noch so mißbilligend den Kopf geschüttelt haben, noth¬ wendig als einen Märtyrer der Idee betrachten muß? Wie kleinlich, wie erbärmlich ist dieses Deutschland in seinem Ankämpfen gegen jede fremdartige Erscheinung, die ihm etwas unbequem auf das Ner¬ vensystem fallt. An ein ruhiges Abwarten des Entwickelungsprozesses, der ihr etwa vorbehalten sein könnte, wird nie gedacht. Und doch hätte man sich so oft durch ein solches jede gewaltsame Anstrengung, das Unbequeme bei Seite zu schassen, ersparen können--aber Deutschland hat weder Seelengröße, noch ein gutes Gewissen. Darin liegt's! Bei Campe wird von Weitling eine Liedersammlung erschei¬ nen. Er hat sie zu Zürich im Gefängniß geschrieben. Kerkerpoesie! Es liegt immer ein eigener Reiz darin. Im Unglück und als Ver¬ liebter wird der Mensch am häufigsten zum Dichter. Weitling hat zu seinen Liedern eine Vorrede geschrieben, die ich gelesen habe und die, ungekünstelt, doch klar abgefaßt, sehr für ihn einnimmt. Er hat auch englische Verse gemacht, was doch bei einem ehemaligen Schnei- dergesellen selbst Leute, die ihn sehr verächtlich behandelt, ansehnlich in Erstaunen setzen dürfte. — Die neue Gedichtsammlung von Heinrich Heine, die ich Ihnen schon angekündigt, wird nächstens ausgegeben; eben so die fünfte Auflage vom Buch der Lieder. Man spricht auch von Heine's Memoiren. Er erregt noch immer war¬ mes Interesse im Kreise seiner Freunde. Für den großen Haufen ist hier auch ein Literaturgenie von keiner weiteren Bedeutung, als daß man einmal vernimmt: „Haben Sie schon gehört, der Heine ist hier." „So? — kenn' ihn nicht. Und der Kaffee! Was sagen Sie — schon wieder gewichen!" — Heine hat übrigens weniger Embonpoint, als bei seiner Anwesenheit im vorigen Spätherbst. Sein Witz hat sich vielleicht der blassen Fettwangen geschämt — Hier noch eine Anekdote, deren Mittheilung bei ihrer'echt humoristischen Natur wohl keine Indiskretion ist und die mir als vollkommen wahr erzählt wurde. An der Tafel seines Onkels kam das Gespräch neulich auf Heine's Polemik in Versen gegen den König von Baiern. „Hör' mal. Du!" sagte der alte wackere Salomon zu seinem Neffen, „ich begreif' nicht, wie Du Dir so was herausnehmen kannst gegen 'nen König. Was bist Du gegen den? 'n Lump bist Du!" — „Da hast Du freilich recht, Onkel," antwortete der Dichter äußerst gelassen: „aber siehst Du, das Versemachen ist mein Geschäft. Der König von Baiern macht auch welche, beeinträchtigt mir mein Handwerk und das brauch' ich nicht zu leiden, — also —" Es geht hier jetzt die Sage, das beständige Regenwetter dieses Sommers sei eigentlich Directionswetter und von den hiesigen wie auswärtigen Bühnenvorstanden zur Entschädigung für frühere schlechte 60*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/483>, abgerufen am 29.06.2024.