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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Ans Ha in b >i r g.

Wcitlinq in Hamburg. -- Heinrich Heine; seine Lieder und Memoiren. --
'Anekdote, -- Theater; Tichatscher, Grunert, Scholz, Kunst.

Das Schicksal liebt die Contraste und die Fremdenliste liebt sie
auch. Bald nach dem König von Sachsen ist ein anderer Reisender
bei uns angekommen, welcher die Aufmerksamkeit der Behörden und
weiterer Kreise lebhaft erregt hat. Er saß jedoch auf keinem Throne,
sonoern die meiste Zeit seines Lebens mit gekreuzten Beinen auf
einem Tische, in den letzten Monaten aber im Gefängniß oder auf
der Festung. Ich meine Weitling, den Eommunisten, der es für
nöthig halt, das Kleid unserer Gesellschaft zu wenden und ihm einen
neuen Schnitt zu geben. Darüber entsetzte sich namentlich Herr
Bluntschli in Zürich und es gelang ihm wirklich, vorläufig Staat
und Gesellschaft zu retten und Weitling in's Gefängniß zu bringen,
aus dem er vergebens vor dem Ablauf der ihm bestimmten Straf¬
zeit einmal zu entwischen suchte. Eines schönen Morgens aber
war man gewillt, den gefährlichen Mann der goldnen Freiheit
zurückzugeben, d. h. unter Gensd'armenbegleitung und zu Fuß über
die Grenze zu transportiren. Weitling widersetzte sich dieser, aller¬
dings willkürlichen Maßregel und schrie auf offener Straße um Hilfe,
wurde in das Gefängniß zurück- und dann in einen Wagen geschafft,
worin er, fortwährend unter der sorgsamsten Obhut von zwei Schwei¬
zer Gensd'armen, nach Stuttgart reiste. Magdeburg, seine Vaterstadt,
erreichte er vermuthlich unter ähnlicher Sauvegarde. Noch in seinen
Gefängnißklcidern traf er da ein, fand jedoch wohlwollende Theilnahme
an seinem Schicksale. Die Behörden selbst verfuhren mit voller Hu¬
manität gegen ihn; nur siel es ihnen ein, ihm das Heimathsrccht
streitig zu Machen, da es nach einer gesetzlichen Bestimmung jedem
Preußen verloren geht, der ohne besondere Erlaubniß länger als zehn
Jahre im Auslande verweilt. Weitling bestritt die rückwirkende Kraft
einer Verordnung, die später, als er Magdeburg verlassen, gegeben
ward. Heimathsberechtigt oder nicht, Weitling wurde für die Dauer
nicht in seiner Vaterstadt geduldet. Man wollte ihn bewegen,
seinen Aufenthalt in Amerika zu nehmen, wogegen er sich sträubte.
Er geht nun von hier nach England. Die preußische Negierung
zahlt die Kosten seiner Reise von Magdeburg aus, so wie die seines
hiesigen Aufenthaltes. Auf englischem Grund und Boden angekom¬
men, erhält Weitling von seinem liebevoll - furchtsamen Vaterlande
noch ein Zehrgeld von zwei Pfund Sterling und dann überläßt man
ihn mit erleichterten Herzen seinem Eommunismus und seinem Schick¬
sal. --Liegt nicht etwas entsetzlich Komisches in dieser hastigen


III.
Ans Ha in b >i r g.

Wcitlinq in Hamburg. — Heinrich Heine; seine Lieder und Memoiren. —
'Anekdote, — Theater; Tichatscher, Grunert, Scholz, Kunst.

Das Schicksal liebt die Contraste und die Fremdenliste liebt sie
auch. Bald nach dem König von Sachsen ist ein anderer Reisender
bei uns angekommen, welcher die Aufmerksamkeit der Behörden und
weiterer Kreise lebhaft erregt hat. Er saß jedoch auf keinem Throne,
sonoern die meiste Zeit seines Lebens mit gekreuzten Beinen auf
einem Tische, in den letzten Monaten aber im Gefängniß oder auf
der Festung. Ich meine Weitling, den Eommunisten, der es für
nöthig halt, das Kleid unserer Gesellschaft zu wenden und ihm einen
neuen Schnitt zu geben. Darüber entsetzte sich namentlich Herr
Bluntschli in Zürich und es gelang ihm wirklich, vorläufig Staat
und Gesellschaft zu retten und Weitling in's Gefängniß zu bringen,
aus dem er vergebens vor dem Ablauf der ihm bestimmten Straf¬
zeit einmal zu entwischen suchte. Eines schönen Morgens aber
war man gewillt, den gefährlichen Mann der goldnen Freiheit
zurückzugeben, d. h. unter Gensd'armenbegleitung und zu Fuß über
die Grenze zu transportiren. Weitling widersetzte sich dieser, aller¬
dings willkürlichen Maßregel und schrie auf offener Straße um Hilfe,
wurde in das Gefängniß zurück- und dann in einen Wagen geschafft,
worin er, fortwährend unter der sorgsamsten Obhut von zwei Schwei¬
zer Gensd'armen, nach Stuttgart reiste. Magdeburg, seine Vaterstadt,
erreichte er vermuthlich unter ähnlicher Sauvegarde. Noch in seinen
Gefängnißklcidern traf er da ein, fand jedoch wohlwollende Theilnahme
an seinem Schicksale. Die Behörden selbst verfuhren mit voller Hu¬
manität gegen ihn; nur siel es ihnen ein, ihm das Heimathsrccht
streitig zu Machen, da es nach einer gesetzlichen Bestimmung jedem
Preußen verloren geht, der ohne besondere Erlaubniß länger als zehn
Jahre im Auslande verweilt. Weitling bestritt die rückwirkende Kraft
einer Verordnung, die später, als er Magdeburg verlassen, gegeben
ward. Heimathsberechtigt oder nicht, Weitling wurde für die Dauer
nicht in seiner Vaterstadt geduldet. Man wollte ihn bewegen,
seinen Aufenthalt in Amerika zu nehmen, wogegen er sich sträubte.
Er geht nun von hier nach England. Die preußische Negierung
zahlt die Kosten seiner Reise von Magdeburg aus, so wie die seines
hiesigen Aufenthaltes. Auf englischem Grund und Boden angekom¬
men, erhält Weitling von seinem liebevoll - furchtsamen Vaterlande
noch ein Zehrgeld von zwei Pfund Sterling und dann überläßt man
ihn mit erleichterten Herzen seinem Eommunismus und seinem Schick¬
sal. --Liegt nicht etwas entsetzlich Komisches in dieser hastigen


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[0482] III. Ans Ha in b >i r g. Wcitlinq in Hamburg. — Heinrich Heine; seine Lieder und Memoiren. — 'Anekdote, — Theater; Tichatscher, Grunert, Scholz, Kunst. Das Schicksal liebt die Contraste und die Fremdenliste liebt sie auch. Bald nach dem König von Sachsen ist ein anderer Reisender bei uns angekommen, welcher die Aufmerksamkeit der Behörden und weiterer Kreise lebhaft erregt hat. Er saß jedoch auf keinem Throne, sonoern die meiste Zeit seines Lebens mit gekreuzten Beinen auf einem Tische, in den letzten Monaten aber im Gefängniß oder auf der Festung. Ich meine Weitling, den Eommunisten, der es für nöthig halt, das Kleid unserer Gesellschaft zu wenden und ihm einen neuen Schnitt zu geben. Darüber entsetzte sich namentlich Herr Bluntschli in Zürich und es gelang ihm wirklich, vorläufig Staat und Gesellschaft zu retten und Weitling in's Gefängniß zu bringen, aus dem er vergebens vor dem Ablauf der ihm bestimmten Straf¬ zeit einmal zu entwischen suchte. Eines schönen Morgens aber war man gewillt, den gefährlichen Mann der goldnen Freiheit zurückzugeben, d. h. unter Gensd'armenbegleitung und zu Fuß über die Grenze zu transportiren. Weitling widersetzte sich dieser, aller¬ dings willkürlichen Maßregel und schrie auf offener Straße um Hilfe, wurde in das Gefängniß zurück- und dann in einen Wagen geschafft, worin er, fortwährend unter der sorgsamsten Obhut von zwei Schwei¬ zer Gensd'armen, nach Stuttgart reiste. Magdeburg, seine Vaterstadt, erreichte er vermuthlich unter ähnlicher Sauvegarde. Noch in seinen Gefängnißklcidern traf er da ein, fand jedoch wohlwollende Theilnahme an seinem Schicksale. Die Behörden selbst verfuhren mit voller Hu¬ manität gegen ihn; nur siel es ihnen ein, ihm das Heimathsrccht streitig zu Machen, da es nach einer gesetzlichen Bestimmung jedem Preußen verloren geht, der ohne besondere Erlaubniß länger als zehn Jahre im Auslande verweilt. Weitling bestritt die rückwirkende Kraft einer Verordnung, die später, als er Magdeburg verlassen, gegeben ward. Heimathsberechtigt oder nicht, Weitling wurde für die Dauer nicht in seiner Vaterstadt geduldet. Man wollte ihn bewegen, seinen Aufenthalt in Amerika zu nehmen, wogegen er sich sträubte. Er geht nun von hier nach England. Die preußische Negierung zahlt die Kosten seiner Reise von Magdeburg aus, so wie die seines hiesigen Aufenthaltes. Auf englischem Grund und Boden angekom¬ men, erhält Weitling von seinem liebevoll - furchtsamen Vaterlande noch ein Zehrgeld von zwei Pfund Sterling und dann überläßt man ihn mit erleichterten Herzen seinem Eommunismus und seinem Schick¬ sal. --Liegt nicht etwas entsetzlich Komisches in dieser hastigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/482>, abgerufen am 26.06.2024.