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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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da ihnen das Rauschen des großen Stromes in's Ohr dringt, um
die Gräber ihrer Vater zu schützen; plötzlich entwickeln sie Tugenden,
die sie selbst nie geahnt und nie geübt haben, Eintracht, wo früher
Zwietracht, Hingebung, wo früher Selbstsucht, Gcistesschwung, wo
früher thierische Stumpfheit herrschte. Und doch ist kaum eine Frage,
daß bei Vielen diese tönende und klingende Agitation nur das Schwa-
nenlicd ihrer naturwüchsigen Selbständigkeit ist. Denn während diese
Jsolirten sich oft nur durch noch größere Jsolirung, d. h. durch die
Flucht, zu retten wähnen, sieht man, wie selbst große und mächtige
Nationen ihre Blutsverwandtschaft geltend machen und zu großen
Massen zusammenrücken, um in der allgemeinen Bewegung festzuste¬
hen und sich siegreicher auszubreiten. Dänen, Schweden und Nor¬
weger schmieden "am skandinavischen Bund und werden Deutschland
bald die Hände reichen; selbst die panslavistischen Träume, so fabel¬
hafte Ereignisse zu ihrer Erfüllung gehören würden, sind ein bedeut¬
sames Zeichen der Zeit. Sie verrathen, daß die slavischen Völker ein
dunkles Bewußtsein ihrer Schwäche als Individuen haben; sie, die
in der Selbständigkeit nie zur rechten und dauernden Blüthe gelangen
konnten, glauben durch die Verschmelzung eine neue Nation, eine
Nation der Zukunft zu werden.

Die kleinen oder innerlich ohnmächtigen Völker können den Kampf
für die Nationalität nur in äußerlicher und negativer Weise führen;
sie hegen und pflegen die Feindseligkeit gegen alles Fremde, verschmä¬
hen trotzig oder verarbeiten mechanisch in fiebernder Hast, was ihnen
das Ausland an Früchten der Kunst und Gesittung bietet; sie möchten
oft lieber in die Barbarei zurück, als sich fremder Cultur hingeben und
sie langsam verstehen und frei reproduciren lernen. Große Natio¬
nen dagegen, wennauch noch so tieferschüttert, sind ihrer selbst sicher;
nicht um das Dasein haben sie zu kämpfen, da an ihr Dasein der
Bestand der Civilisation geknüpft ist, nur um Glanz und Größe, um
Blüthe und Frucht kann es sich bei ihnen handeln. Ihr National¬
kampf ist ein positiver und geht im Ringen nach politischer Freiheit"
und Wohlfahrt auf. Wer diese fördern hilft, hat für die Nationali¬
tät mit gerungen, ohne fortwährend von Nationalität zu sprechen.
Denn innere Kraft führt zur Macht nach Außen und erhöht den
Stolz des Individuums auf die Nation, der es angehört.

oweit ist hoffentlicheutanon,aiemandan der
tief wurzelnden Kraft seiner Nationalität, an ihrer Wichtigkeit und
Nothwendigkeit für den Fortschritt der Welt zweifeln wird; woran es
fehlt, ist eben nur Blüthe und Frucht, ist die stolze und vertrauens¬
volle Freudigkeit am eigenen Leben und Wirken. Nicht durch den
frommen Vorsatz, nicht durch die ewige Mahnung, daß dieses Gefühl
Pflicht jedes guten Deutschen sei, wird man es im Volke erwecken,
sondern durch Thaten und politische Erfolge, die der Nation würdig


da ihnen das Rauschen des großen Stromes in's Ohr dringt, um
die Gräber ihrer Vater zu schützen; plötzlich entwickeln sie Tugenden,
die sie selbst nie geahnt und nie geübt haben, Eintracht, wo früher
Zwietracht, Hingebung, wo früher Selbstsucht, Gcistesschwung, wo
früher thierische Stumpfheit herrschte. Und doch ist kaum eine Frage,
daß bei Vielen diese tönende und klingende Agitation nur das Schwa-
nenlicd ihrer naturwüchsigen Selbständigkeit ist. Denn während diese
Jsolirten sich oft nur durch noch größere Jsolirung, d. h. durch die
Flucht, zu retten wähnen, sieht man, wie selbst große und mächtige
Nationen ihre Blutsverwandtschaft geltend machen und zu großen
Massen zusammenrücken, um in der allgemeinen Bewegung festzuste¬
hen und sich siegreicher auszubreiten. Dänen, Schweden und Nor¬
weger schmieden "am skandinavischen Bund und werden Deutschland
bald die Hände reichen; selbst die panslavistischen Träume, so fabel¬
hafte Ereignisse zu ihrer Erfüllung gehören würden, sind ein bedeut¬
sames Zeichen der Zeit. Sie verrathen, daß die slavischen Völker ein
dunkles Bewußtsein ihrer Schwäche als Individuen haben; sie, die
in der Selbständigkeit nie zur rechten und dauernden Blüthe gelangen
konnten, glauben durch die Verschmelzung eine neue Nation, eine
Nation der Zukunft zu werden.

Die kleinen oder innerlich ohnmächtigen Völker können den Kampf
für die Nationalität nur in äußerlicher und negativer Weise führen;
sie hegen und pflegen die Feindseligkeit gegen alles Fremde, verschmä¬
hen trotzig oder verarbeiten mechanisch in fiebernder Hast, was ihnen
das Ausland an Früchten der Kunst und Gesittung bietet; sie möchten
oft lieber in die Barbarei zurück, als sich fremder Cultur hingeben und
sie langsam verstehen und frei reproduciren lernen. Große Natio¬
nen dagegen, wennauch noch so tieferschüttert, sind ihrer selbst sicher;
nicht um das Dasein haben sie zu kämpfen, da an ihr Dasein der
Bestand der Civilisation geknüpft ist, nur um Glanz und Größe, um
Blüthe und Frucht kann es sich bei ihnen handeln. Ihr National¬
kampf ist ein positiver und geht im Ringen nach politischer Freiheit»
und Wohlfahrt auf. Wer diese fördern hilft, hat für die Nationali¬
tät mit gerungen, ohne fortwährend von Nationalität zu sprechen.
Denn innere Kraft führt zur Macht nach Außen und erhöht den
Stolz des Individuums auf die Nation, der es angehört.

oweit ist hoffentlicheutanon,aiemandan der
tief wurzelnden Kraft seiner Nationalität, an ihrer Wichtigkeit und
Nothwendigkeit für den Fortschritt der Welt zweifeln wird; woran es
fehlt, ist eben nur Blüthe und Frucht, ist die stolze und vertrauens¬
volle Freudigkeit am eigenen Leben und Wirken. Nicht durch den
frommen Vorsatz, nicht durch die ewige Mahnung, daß dieses Gefühl
Pflicht jedes guten Deutschen sei, wird man es im Volke erwecken,
sondern durch Thaten und politische Erfolge, die der Nation würdig


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[0047] da ihnen das Rauschen des großen Stromes in's Ohr dringt, um die Gräber ihrer Vater zu schützen; plötzlich entwickeln sie Tugenden, die sie selbst nie geahnt und nie geübt haben, Eintracht, wo früher Zwietracht, Hingebung, wo früher Selbstsucht, Gcistesschwung, wo früher thierische Stumpfheit herrschte. Und doch ist kaum eine Frage, daß bei Vielen diese tönende und klingende Agitation nur das Schwa- nenlicd ihrer naturwüchsigen Selbständigkeit ist. Denn während diese Jsolirten sich oft nur durch noch größere Jsolirung, d. h. durch die Flucht, zu retten wähnen, sieht man, wie selbst große und mächtige Nationen ihre Blutsverwandtschaft geltend machen und zu großen Massen zusammenrücken, um in der allgemeinen Bewegung festzuste¬ hen und sich siegreicher auszubreiten. Dänen, Schweden und Nor¬ weger schmieden "am skandinavischen Bund und werden Deutschland bald die Hände reichen; selbst die panslavistischen Träume, so fabel¬ hafte Ereignisse zu ihrer Erfüllung gehören würden, sind ein bedeut¬ sames Zeichen der Zeit. Sie verrathen, daß die slavischen Völker ein dunkles Bewußtsein ihrer Schwäche als Individuen haben; sie, die in der Selbständigkeit nie zur rechten und dauernden Blüthe gelangen konnten, glauben durch die Verschmelzung eine neue Nation, eine Nation der Zukunft zu werden. Die kleinen oder innerlich ohnmächtigen Völker können den Kampf für die Nationalität nur in äußerlicher und negativer Weise führen; sie hegen und pflegen die Feindseligkeit gegen alles Fremde, verschmä¬ hen trotzig oder verarbeiten mechanisch in fiebernder Hast, was ihnen das Ausland an Früchten der Kunst und Gesittung bietet; sie möchten oft lieber in die Barbarei zurück, als sich fremder Cultur hingeben und sie langsam verstehen und frei reproduciren lernen. Große Natio¬ nen dagegen, wennauch noch so tieferschüttert, sind ihrer selbst sicher; nicht um das Dasein haben sie zu kämpfen, da an ihr Dasein der Bestand der Civilisation geknüpft ist, nur um Glanz und Größe, um Blüthe und Frucht kann es sich bei ihnen handeln. Ihr National¬ kampf ist ein positiver und geht im Ringen nach politischer Freiheit» und Wohlfahrt auf. Wer diese fördern hilft, hat für die Nationali¬ tät mit gerungen, ohne fortwährend von Nationalität zu sprechen. Denn innere Kraft führt zur Macht nach Außen und erhöht den Stolz des Individuums auf die Nation, der es angehört. oweit ist hoffentlicheutanon,aiemandan der tief wurzelnden Kraft seiner Nationalität, an ihrer Wichtigkeit und Nothwendigkeit für den Fortschritt der Welt zweifeln wird; woran es fehlt, ist eben nur Blüthe und Frucht, ist die stolze und vertrauens¬ volle Freudigkeit am eigenen Leben und Wirken. Nicht durch den frommen Vorsatz, nicht durch die ewige Mahnung, daß dieses Gefühl Pflicht jedes guten Deutschen sei, wird man es im Volke erwecken, sondern durch Thaten und politische Erfolge, die der Nation würdig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/47>, abgerufen am 23.07.2024.