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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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später, als Egmont gefangen, der glanzvolle ritterliche Held in
ihm nicht durchbricht, so denkt man blos, daß der passive Held
sein Loos verdient hat: man fühlt aber nicht zugleich die Göthe-
sche Wehmuth darüber, daß eine Natur, eine schöne, heitere,
freie Persönlichkeit, zu Grunde geht, weil sie ohne Rücksicht
auf Menschen und Verhältnisse, sich selber treu blieb. Man sieht
dann kein Opfer des finsteren spanischen Sinnes in ihm, keinen Mär¬
tyrer seiner ritterlichen, freudig vertrauenden Seele, sondern einen phleg¬
matischen, weibisch bequemen Gcwvhnheits-Menschen, der die freund¬
liche Gewohnheit des Daseins und (Nicht-) Wirkens so lange fortsetzt,
als es eben geht, und mit dem für die Sache des Volkes kaum et¬
was verloren wird. Herr Marrder scheint der Rolle Egmonts
nicht gewachsen; wir denken uns schon das Organ eines Egmont an¬
ders: hellschallend, Sorgen wie Gefahren weglachend muß es sein. Ei¬
genthümlich aufgefaßt, trefflich durchgeführt war Marr's Alba; ein
eiserner, ehrgeiziger Geschäftsmann. Mit besonnenen Eifer trifft er
die Anstalten zu Egmont's Fang, man sieht, dergleichen ist ihm nichts
Ungewöhnliches. Der Hohn in seinen Worten ist nicht absichtlich,
scheint nicht aus besonderem Haß gegen Egmont und Oranien zu
fließen, es ist seine scharfe, strenge Natur, die ihn nicht anders spre¬
chen laßt. Nur ist er innerlich gar sehr befriedigt, daß Pflicht und
Neigung bei ihm so schön zusammenstimmen, und seinen Sohn, den
er aufrichtig liebt, möchte er zu demselben pflichtgetreuen Staatsdiener
erziehen. Wir dachten einen ultrarovalistischen preußischen Büreaukra-
ten zu sehen. -- Herr Ulram als Oranien sprach sehr verständig.
Aber sein Costüme gefiel uns nicht. So breit aufgedonnert darf
Oranien nicht erscheinen; schlicht und einfach, im schwarzen Reise¬
mantel, incognito, erwarteten wir ihn. -- Fräulein Be rü h art (Klär-
chen) ist eine anziehende Gestalt, voll Feuer und Talent; sie hat viel
Routine, aber auch schon zu viel Sicherheit für eine Anfängerin. Sie
war eine Liebhaberin, kein Klärchen. Dazu fehlte es ihr an
Kindlichkeit, Naivetät und vor Allem an Maß. In den Liebesscenen
zu süßlich singend, in den Marktscenen zu heftig. Wenn Einer aus
dem Volke sagt: Bringt sie bei Seite, so bedeutet das nicht, daß
Klärchen in Fieberwuth ist, sondern das Volk hält in seiner besonne¬
nen Weise ihren schönen, gefährlichen Heldenmuth für thörichten Wahn¬
sinn. Viel besser war ihre letzte Scene. -- Frau Dessoir (Regentin)
hätten wir nur etwas mehr Würde gewünscht. -- Der c"n<ZicI.
ttieoloxiil" und burschenschaftlich sentimentale Ohnmachtsmensch Brak-
kenburg ist an und für sich eine mißliche Figur auf der Bühne. Hr.
Richter hatte nicht die rechte Art gefunden, diesen jungen Mann
leidlicher zu machen. -- Ferdinand, Alba's natürlicher Sohn, soll
allerdings jugendlich, aber nicht so gar kindhaft sein, wie er gegeben


später, als Egmont gefangen, der glanzvolle ritterliche Held in
ihm nicht durchbricht, so denkt man blos, daß der passive Held
sein Loos verdient hat: man fühlt aber nicht zugleich die Göthe-
sche Wehmuth darüber, daß eine Natur, eine schöne, heitere,
freie Persönlichkeit, zu Grunde geht, weil sie ohne Rücksicht
auf Menschen und Verhältnisse, sich selber treu blieb. Man sieht
dann kein Opfer des finsteren spanischen Sinnes in ihm, keinen Mär¬
tyrer seiner ritterlichen, freudig vertrauenden Seele, sondern einen phleg¬
matischen, weibisch bequemen Gcwvhnheits-Menschen, der die freund¬
liche Gewohnheit des Daseins und (Nicht-) Wirkens so lange fortsetzt,
als es eben geht, und mit dem für die Sache des Volkes kaum et¬
was verloren wird. Herr Marrder scheint der Rolle Egmonts
nicht gewachsen; wir denken uns schon das Organ eines Egmont an¬
ders: hellschallend, Sorgen wie Gefahren weglachend muß es sein. Ei¬
genthümlich aufgefaßt, trefflich durchgeführt war Marr's Alba; ein
eiserner, ehrgeiziger Geschäftsmann. Mit besonnenen Eifer trifft er
die Anstalten zu Egmont's Fang, man sieht, dergleichen ist ihm nichts
Ungewöhnliches. Der Hohn in seinen Worten ist nicht absichtlich,
scheint nicht aus besonderem Haß gegen Egmont und Oranien zu
fließen, es ist seine scharfe, strenge Natur, die ihn nicht anders spre¬
chen laßt. Nur ist er innerlich gar sehr befriedigt, daß Pflicht und
Neigung bei ihm so schön zusammenstimmen, und seinen Sohn, den
er aufrichtig liebt, möchte er zu demselben pflichtgetreuen Staatsdiener
erziehen. Wir dachten einen ultrarovalistischen preußischen Büreaukra-
ten zu sehen. — Herr Ulram als Oranien sprach sehr verständig.
Aber sein Costüme gefiel uns nicht. So breit aufgedonnert darf
Oranien nicht erscheinen; schlicht und einfach, im schwarzen Reise¬
mantel, incognito, erwarteten wir ihn. — Fräulein Be rü h art (Klär-
chen) ist eine anziehende Gestalt, voll Feuer und Talent; sie hat viel
Routine, aber auch schon zu viel Sicherheit für eine Anfängerin. Sie
war eine Liebhaberin, kein Klärchen. Dazu fehlte es ihr an
Kindlichkeit, Naivetät und vor Allem an Maß. In den Liebesscenen
zu süßlich singend, in den Marktscenen zu heftig. Wenn Einer aus
dem Volke sagt: Bringt sie bei Seite, so bedeutet das nicht, daß
Klärchen in Fieberwuth ist, sondern das Volk hält in seiner besonne¬
nen Weise ihren schönen, gefährlichen Heldenmuth für thörichten Wahn¬
sinn. Viel besser war ihre letzte Scene. — Frau Dessoir (Regentin)
hätten wir nur etwas mehr Würde gewünscht. — Der c»n<ZicI.
ttieoloxiil« und burschenschaftlich sentimentale Ohnmachtsmensch Brak-
kenburg ist an und für sich eine mißliche Figur auf der Bühne. Hr.
Richter hatte nicht die rechte Art gefunden, diesen jungen Mann
leidlicher zu machen. — Ferdinand, Alba's natürlicher Sohn, soll
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[0437] später, als Egmont gefangen, der glanzvolle ritterliche Held in ihm nicht durchbricht, so denkt man blos, daß der passive Held sein Loos verdient hat: man fühlt aber nicht zugleich die Göthe- sche Wehmuth darüber, daß eine Natur, eine schöne, heitere, freie Persönlichkeit, zu Grunde geht, weil sie ohne Rücksicht auf Menschen und Verhältnisse, sich selber treu blieb. Man sieht dann kein Opfer des finsteren spanischen Sinnes in ihm, keinen Mär¬ tyrer seiner ritterlichen, freudig vertrauenden Seele, sondern einen phleg¬ matischen, weibisch bequemen Gcwvhnheits-Menschen, der die freund¬ liche Gewohnheit des Daseins und (Nicht-) Wirkens so lange fortsetzt, als es eben geht, und mit dem für die Sache des Volkes kaum et¬ was verloren wird. Herr Marrder scheint der Rolle Egmonts nicht gewachsen; wir denken uns schon das Organ eines Egmont an¬ ders: hellschallend, Sorgen wie Gefahren weglachend muß es sein. Ei¬ genthümlich aufgefaßt, trefflich durchgeführt war Marr's Alba; ein eiserner, ehrgeiziger Geschäftsmann. Mit besonnenen Eifer trifft er die Anstalten zu Egmont's Fang, man sieht, dergleichen ist ihm nichts Ungewöhnliches. Der Hohn in seinen Worten ist nicht absichtlich, scheint nicht aus besonderem Haß gegen Egmont und Oranien zu fließen, es ist seine scharfe, strenge Natur, die ihn nicht anders spre¬ chen laßt. Nur ist er innerlich gar sehr befriedigt, daß Pflicht und Neigung bei ihm so schön zusammenstimmen, und seinen Sohn, den er aufrichtig liebt, möchte er zu demselben pflichtgetreuen Staatsdiener erziehen. Wir dachten einen ultrarovalistischen preußischen Büreaukra- ten zu sehen. — Herr Ulram als Oranien sprach sehr verständig. Aber sein Costüme gefiel uns nicht. So breit aufgedonnert darf Oranien nicht erscheinen; schlicht und einfach, im schwarzen Reise¬ mantel, incognito, erwarteten wir ihn. — Fräulein Be rü h art (Klär- chen) ist eine anziehende Gestalt, voll Feuer und Talent; sie hat viel Routine, aber auch schon zu viel Sicherheit für eine Anfängerin. Sie war eine Liebhaberin, kein Klärchen. Dazu fehlte es ihr an Kindlichkeit, Naivetät und vor Allem an Maß. In den Liebesscenen zu süßlich singend, in den Marktscenen zu heftig. Wenn Einer aus dem Volke sagt: Bringt sie bei Seite, so bedeutet das nicht, daß Klärchen in Fieberwuth ist, sondern das Volk hält in seiner besonne¬ nen Weise ihren schönen, gefährlichen Heldenmuth für thörichten Wahn¬ sinn. Viel besser war ihre letzte Scene. — Frau Dessoir (Regentin) hätten wir nur etwas mehr Würde gewünscht. — Der c»n<ZicI. ttieoloxiil« und burschenschaftlich sentimentale Ohnmachtsmensch Brak- kenburg ist an und für sich eine mißliche Figur auf der Bühne. Hr. Richter hatte nicht die rechte Art gefunden, diesen jungen Mann leidlicher zu machen. — Ferdinand, Alba's natürlicher Sohn, soll allerdings jugendlich, aber nicht so gar kindhaft sein, wie er gegeben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/437>, abgerufen am 22.12.2024.