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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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ter, als die indischen Philosophen mit ihrem 0in, 0in.-i- i Dieses
0in, 0in ist der klarste und naivste Ausdruck des absoluten Gedan¬
kens und der erschöpfendste. -- Wohl hat dies Denken eine Menge
von verschiedenen Kategorien producirt -- aber wahrlich sie sind nicht
mehr, denn 0in 0in! Denn Denken ist nicht mehr als eine zusam¬
menstellende, vergleichende, prüfende und anordnende Thätigkeit. Sei¬
nen Inhalt erhält es aus der uns umgebenden objectiven Welt,
welche durch die Anschauung aufgenommen oder verinnerlicht wird.
Die Begriffe, die wir also mit Hilfe des Denkens erhalten, haben
die Erfahrung zu ihrer unumgänglichen Voraussetzung. Ohne solche
sind es inhaltlose -- nichtige --- undenkbare Gedanken. Nesultirt
demgemäß aus einer vorgegebenen Entwicklung des Denkens aus sich
selber irgend ein Inhalt, so ist dieser vielmehr aus dem Leben auf¬
gegriffen und nur verstohlner Weise als in der Bewegung des Den¬
kens selbst hervorgebracht und gar wunderlich ausstaffirt untergescho¬
ben. Es ist nämlich bei dieser Art des Philosophirenö ein zwiefa¬
ches Verfahren bemerkenswerth. Einerseits nimmt es aus der Man¬
nigfaltigkeit der Natur und des Geisterlebens eine Menge von That¬
sachen auf und weiß durch geschickte und ungeschickte Manipulatio¬
nen sie als aus dem Denken selbst hergeleitet, sich und Andern vor¬
zulügen, andrerseits aber beraubt sie dabei zugleich das Dasein sei<
ner Lebensfrische und wahren Gestalt, und gibt ihm einen durch¬
aus fremden und ungemüthlichen Anstrich. Wohl sind es noch die¬
selben Dinge, die uns alltäglich fast auf der Straße begegnen und
mit wohlbekannten Mienen anlächeln -- aber sie schauen uns aus
diesem Nebelflor der dialektischen Methode mit so qualvollen und
unglückseligen Gesichtern an, daß uns angst und bange um's Herz
wird. Es ist dasselbe unheimliche Gefühl, welches uns in einem
schweren beängstigenden Traume fesselt. Da wird das Getreibe der
verzerrten und verhexten Gestalten immer toller und wirrer,

von all dem Zeug wird man so dumm,
es geht wie ein Mühlrad im Kopf herum.

Und in solchen Spukgebilden wird dann das ganze Leben an uns
vorbeigeführt, so kahl und so nüchtern, daß man die Lust daran für



*) Bergleiche Hegel Philosophie der Geschichte. 2. Aufl. S. 181.
.Wenn ich mich in mich zurückziehe und alle äußeren Sinne verschließe und in
mir ol" spreche, so ist dies Brahm."
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ter, als die indischen Philosophen mit ihrem 0in, 0in.-i- i Dieses
0in, 0in ist der klarste und naivste Ausdruck des absoluten Gedan¬
kens und der erschöpfendste. — Wohl hat dies Denken eine Menge
von verschiedenen Kategorien producirt — aber wahrlich sie sind nicht
mehr, denn 0in 0in! Denn Denken ist nicht mehr als eine zusam¬
menstellende, vergleichende, prüfende und anordnende Thätigkeit. Sei¬
nen Inhalt erhält es aus der uns umgebenden objectiven Welt,
welche durch die Anschauung aufgenommen oder verinnerlicht wird.
Die Begriffe, die wir also mit Hilfe des Denkens erhalten, haben
die Erfahrung zu ihrer unumgänglichen Voraussetzung. Ohne solche
sind es inhaltlose — nichtige —- undenkbare Gedanken. Nesultirt
demgemäß aus einer vorgegebenen Entwicklung des Denkens aus sich
selber irgend ein Inhalt, so ist dieser vielmehr aus dem Leben auf¬
gegriffen und nur verstohlner Weise als in der Bewegung des Den¬
kens selbst hervorgebracht und gar wunderlich ausstaffirt untergescho¬
ben. Es ist nämlich bei dieser Art des Philosophirenö ein zwiefa¬
ches Verfahren bemerkenswerth. Einerseits nimmt es aus der Man¬
nigfaltigkeit der Natur und des Geisterlebens eine Menge von That¬
sachen auf und weiß durch geschickte und ungeschickte Manipulatio¬
nen sie als aus dem Denken selbst hergeleitet, sich und Andern vor¬
zulügen, andrerseits aber beraubt sie dabei zugleich das Dasein sei<
ner Lebensfrische und wahren Gestalt, und gibt ihm einen durch¬
aus fremden und ungemüthlichen Anstrich. Wohl sind es noch die¬
selben Dinge, die uns alltäglich fast auf der Straße begegnen und
mit wohlbekannten Mienen anlächeln — aber sie schauen uns aus
diesem Nebelflor der dialektischen Methode mit so qualvollen und
unglückseligen Gesichtern an, daß uns angst und bange um's Herz
wird. Es ist dasselbe unheimliche Gefühl, welches uns in einem
schweren beängstigenden Traume fesselt. Da wird das Getreibe der
verzerrten und verhexten Gestalten immer toller und wirrer,

von all dem Zeug wird man so dumm,
es geht wie ein Mühlrad im Kopf herum.

Und in solchen Spukgebilden wird dann das ganze Leben an uns
vorbeigeführt, so kahl und so nüchtern, daß man die Lust daran für



*) Bergleiche Hegel Philosophie der Geschichte. 2. Aufl. S. 181.
.Wenn ich mich in mich zurückziehe und alle äußeren Sinne verschließe und in
mir ol» spreche, so ist dies Brahm."
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[0043] ter, als die indischen Philosophen mit ihrem 0in, 0in.-i- i Dieses 0in, 0in ist der klarste und naivste Ausdruck des absoluten Gedan¬ kens und der erschöpfendste. — Wohl hat dies Denken eine Menge von verschiedenen Kategorien producirt — aber wahrlich sie sind nicht mehr, denn 0in 0in! Denn Denken ist nicht mehr als eine zusam¬ menstellende, vergleichende, prüfende und anordnende Thätigkeit. Sei¬ nen Inhalt erhält es aus der uns umgebenden objectiven Welt, welche durch die Anschauung aufgenommen oder verinnerlicht wird. Die Begriffe, die wir also mit Hilfe des Denkens erhalten, haben die Erfahrung zu ihrer unumgänglichen Voraussetzung. Ohne solche sind es inhaltlose — nichtige —- undenkbare Gedanken. Nesultirt demgemäß aus einer vorgegebenen Entwicklung des Denkens aus sich selber irgend ein Inhalt, so ist dieser vielmehr aus dem Leben auf¬ gegriffen und nur verstohlner Weise als in der Bewegung des Den¬ kens selbst hervorgebracht und gar wunderlich ausstaffirt untergescho¬ ben. Es ist nämlich bei dieser Art des Philosophirenö ein zwiefa¬ ches Verfahren bemerkenswerth. Einerseits nimmt es aus der Man¬ nigfaltigkeit der Natur und des Geisterlebens eine Menge von That¬ sachen auf und weiß durch geschickte und ungeschickte Manipulatio¬ nen sie als aus dem Denken selbst hergeleitet, sich und Andern vor¬ zulügen, andrerseits aber beraubt sie dabei zugleich das Dasein sei< ner Lebensfrische und wahren Gestalt, und gibt ihm einen durch¬ aus fremden und ungemüthlichen Anstrich. Wohl sind es noch die¬ selben Dinge, die uns alltäglich fast auf der Straße begegnen und mit wohlbekannten Mienen anlächeln — aber sie schauen uns aus diesem Nebelflor der dialektischen Methode mit so qualvollen und unglückseligen Gesichtern an, daß uns angst und bange um's Herz wird. Es ist dasselbe unheimliche Gefühl, welches uns in einem schweren beängstigenden Traume fesselt. Da wird das Getreibe der verzerrten und verhexten Gestalten immer toller und wirrer, von all dem Zeug wird man so dumm, es geht wie ein Mühlrad im Kopf herum. Und in solchen Spukgebilden wird dann das ganze Leben an uns vorbeigeführt, so kahl und so nüchtern, daß man die Lust daran für *) Bergleiche Hegel Philosophie der Geschichte. 2. Aufl. S. 181. .Wenn ich mich in mich zurückziehe und alle äußeren Sinne verschließe und in mir ol» spreche, so ist dies Brahm." 5»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/43>, abgerufen am 23.07.2024.