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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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und possierliche Idyllen aufführen. Unabsehbare Wagenreihen fuhren
nach Pankow hinab und wirbelten den lustschnappenden, geputzten
Fußgängern, so wie denen, die sich mit ihren Schnapsflaschen und
Würsten schon am Wege und auf den Feldern massenweise gelagert
hatten, hohe Staubwolken in's Gesicht. Nachdem wir vom Fenster
aus lange genug dem bunten, lärmenden Schauspiel zugesehen und
die sich wälzenden Massen beobachtet hatten, beschlossen wir, auch
nach Pankow aufzubrechen, auf dem Wege dahin aber erst die Runde
durch verschiedene der interessantesten Locale zu machen. Zuerst stie-
gen wir auf den seitwärts liegenden Windmühlenberg. Wer kennt
in Berlin nicht Wurst's Local, jenen Ort, wo man den erhebenden
Genuß hat, auf einer lieblichen Anhöhe, umgeben vom sanften Ge¬
räusch hoher Windmühlen, bei Bratwurst, Liqueur und Weißbier die
herrlichste Janitscharenmusik zu hören; wo jetzt selbst die dramatische
Kunst sich einen Tempel erbaut hat, wo man in "Thalia" den Faust
von Klinger und die Toni von Körner unter vielen Thränen und
bengalischen Feuer aufführt? Dieser Erholungsort des Berliner Volkes
war es, in den wir zuerst eintraten. Der Garten war heute beson¬
ders gefüllt, die verschiedenartigsten, possierlichsten Toiletten drängten
sich bunt durcheinander, besonders amüsirten mich viele der älteren,
sehr geputzten Frauen, die, an dem Arm ihrer Gatten einherstolzierend,
den großen seidenen Pompadour gewöhnlich nicht in einer sehr
rein gewaschenen Hand hielten. Auch einige Gensdarmen mischten
sich heute recht gesellig unter die kleinen Bürger, die diese Herablas¬
sung freudig anzuerkennen schienen. Wie groß war aber meine Freude,
als ich am oberen Ende deö Gartens aus zwei riesigen Patermördern
eine hochrothe Nase hervorschimmern sah, die nur gleich bekannt schien.
Die Nase des Herrn Wonnig mußte sich so fest meinem Gedächtnisse
eingeprägt haben, daß ich sie augenblicklich unter Hunderten wieder
erkannte, denn, wie gesagt, sein übriges Gesicht konnte ich nicht se¬
hen, dies war fast bis zu den Augenbraunen von den Vatermördern
bedeckt. Zu dem hellblauen Frack rin gro en gelben Knöpfen, sehr
rein gewaschenen gelben Ncmkinhosen, ein ebenfalls hellgelbes Tuch
zierlich um den Hals geschlungen, auf dem Kopf den kleinen rictu- -
chen Sountagshut, so saß Herr Wonnig, mit dem Rücken gerade an
die Bretterwand Thalia's gelehnt, steif und unbeweglich da, neben
sich seine Familie, die sich ebenfalls im größten Feststaate um eine


und possierliche Idyllen aufführen. Unabsehbare Wagenreihen fuhren
nach Pankow hinab und wirbelten den lustschnappenden, geputzten
Fußgängern, so wie denen, die sich mit ihren Schnapsflaschen und
Würsten schon am Wege und auf den Feldern massenweise gelagert
hatten, hohe Staubwolken in's Gesicht. Nachdem wir vom Fenster
aus lange genug dem bunten, lärmenden Schauspiel zugesehen und
die sich wälzenden Massen beobachtet hatten, beschlossen wir, auch
nach Pankow aufzubrechen, auf dem Wege dahin aber erst die Runde
durch verschiedene der interessantesten Locale zu machen. Zuerst stie-
gen wir auf den seitwärts liegenden Windmühlenberg. Wer kennt
in Berlin nicht Wurst's Local, jenen Ort, wo man den erhebenden
Genuß hat, auf einer lieblichen Anhöhe, umgeben vom sanften Ge¬
räusch hoher Windmühlen, bei Bratwurst, Liqueur und Weißbier die
herrlichste Janitscharenmusik zu hören; wo jetzt selbst die dramatische
Kunst sich einen Tempel erbaut hat, wo man in „Thalia" den Faust
von Klinger und die Toni von Körner unter vielen Thränen und
bengalischen Feuer aufführt? Dieser Erholungsort des Berliner Volkes
war es, in den wir zuerst eintraten. Der Garten war heute beson¬
ders gefüllt, die verschiedenartigsten, possierlichsten Toiletten drängten
sich bunt durcheinander, besonders amüsirten mich viele der älteren,
sehr geputzten Frauen, die, an dem Arm ihrer Gatten einherstolzierend,
den großen seidenen Pompadour gewöhnlich nicht in einer sehr
rein gewaschenen Hand hielten. Auch einige Gensdarmen mischten
sich heute recht gesellig unter die kleinen Bürger, die diese Herablas¬
sung freudig anzuerkennen schienen. Wie groß war aber meine Freude,
als ich am oberen Ende deö Gartens aus zwei riesigen Patermördern
eine hochrothe Nase hervorschimmern sah, die nur gleich bekannt schien.
Die Nase des Herrn Wonnig mußte sich so fest meinem Gedächtnisse
eingeprägt haben, daß ich sie augenblicklich unter Hunderten wieder
erkannte, denn, wie gesagt, sein übriges Gesicht konnte ich nicht se¬
hen, dies war fast bis zu den Augenbraunen von den Vatermördern
bedeckt. Zu dem hellblauen Frack rin gro en gelben Knöpfen, sehr
rein gewaschenen gelben Ncmkinhosen, ein ebenfalls hellgelbes Tuch
zierlich um den Hals geschlungen, auf dem Kopf den kleinen rictu- -
chen Sountagshut, so saß Herr Wonnig, mit dem Rücken gerade an
die Bretterwand Thalia's gelehnt, steif und unbeweglich da, neben
sich seine Familie, die sich ebenfalls im größten Feststaate um eine


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[0407] und possierliche Idyllen aufführen. Unabsehbare Wagenreihen fuhren nach Pankow hinab und wirbelten den lustschnappenden, geputzten Fußgängern, so wie denen, die sich mit ihren Schnapsflaschen und Würsten schon am Wege und auf den Feldern massenweise gelagert hatten, hohe Staubwolken in's Gesicht. Nachdem wir vom Fenster aus lange genug dem bunten, lärmenden Schauspiel zugesehen und die sich wälzenden Massen beobachtet hatten, beschlossen wir, auch nach Pankow aufzubrechen, auf dem Wege dahin aber erst die Runde durch verschiedene der interessantesten Locale zu machen. Zuerst stie- gen wir auf den seitwärts liegenden Windmühlenberg. Wer kennt in Berlin nicht Wurst's Local, jenen Ort, wo man den erhebenden Genuß hat, auf einer lieblichen Anhöhe, umgeben vom sanften Ge¬ räusch hoher Windmühlen, bei Bratwurst, Liqueur und Weißbier die herrlichste Janitscharenmusik zu hören; wo jetzt selbst die dramatische Kunst sich einen Tempel erbaut hat, wo man in „Thalia" den Faust von Klinger und die Toni von Körner unter vielen Thränen und bengalischen Feuer aufführt? Dieser Erholungsort des Berliner Volkes war es, in den wir zuerst eintraten. Der Garten war heute beson¬ ders gefüllt, die verschiedenartigsten, possierlichsten Toiletten drängten sich bunt durcheinander, besonders amüsirten mich viele der älteren, sehr geputzten Frauen, die, an dem Arm ihrer Gatten einherstolzierend, den großen seidenen Pompadour gewöhnlich nicht in einer sehr rein gewaschenen Hand hielten. Auch einige Gensdarmen mischten sich heute recht gesellig unter die kleinen Bürger, die diese Herablas¬ sung freudig anzuerkennen schienen. Wie groß war aber meine Freude, als ich am oberen Ende deö Gartens aus zwei riesigen Patermördern eine hochrothe Nase hervorschimmern sah, die nur gleich bekannt schien. Die Nase des Herrn Wonnig mußte sich so fest meinem Gedächtnisse eingeprägt haben, daß ich sie augenblicklich unter Hunderten wieder erkannte, denn, wie gesagt, sein übriges Gesicht konnte ich nicht se¬ hen, dies war fast bis zu den Augenbraunen von den Vatermördern bedeckt. Zu dem hellblauen Frack rin gro en gelben Knöpfen, sehr rein gewaschenen gelben Ncmkinhosen, ein ebenfalls hellgelbes Tuch zierlich um den Hals geschlungen, auf dem Kopf den kleinen rictu- - chen Sountagshut, so saß Herr Wonnig, mit dem Rücken gerade an die Bretterwand Thalia's gelehnt, steif und unbeweglich da, neben sich seine Familie, die sich ebenfalls im größten Feststaate um eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/407>, abgerufen am 22.12.2024.