Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.sich nun, wie er zu Agnes sagte, an dem Geschwätz dort langweilte, Nach seinem Verschwinden war die Gesellschaft wieder unge¬ sich nun, wie er zu Agnes sagte, an dem Geschwätz dort langweilte, Nach seinem Verschwinden war die Gesellschaft wieder unge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180957"/> <p xml:id="ID_953" prev="#ID_952"> sich nun, wie er zu Agnes sagte, an dem Geschwätz dort langweilte,<lb/> erhob sich, nahm ein Glas zur Hand und rief mit so lauter Stimme,<lb/> daß augenblicklich Alles verstummte: Meine Herren und Damen!<lb/> Ich fühle mich gedrungen, bei unserem heiteren und schönen Beisam¬<lb/> mensein zwei Männern ein Lebehoch zu bringen, die gewiß unsere<lb/> tiefste Verehrung verdienen. Es lebe Schelling, der uns aus den<lb/> Irrgänger- der falschen Philosophie wieder dem Lichte der Wahrheit<lb/> entgegenführt, er, der von unserem allergnädigsten König selbst zum<lb/> geistigen Retter der leidenden Menschheit berufen wurde, und Liszt,<lb/> Franz Liszt, nicht der Künstler, nicht der Hervorzauberer kühner,<lb/> berauschender Töne, nicht der liebenswürdige, bescheidene, begeisternde<lb/> Mann von europäischer Bedeutung, sondern Liszt, der Wohlthäter<lb/> der leidenden Menschheit, der Helfer der Armen und Nothleidenden!<lb/> Er lebe hoch! Hoch! hoch! hoch! erscholl eS von allen Seiten unter<lb/> Gläserklirren, daß der Salon erzitterte. Es war das erste Mal, daß<lb/> ich eine Berliner Gesellschaft in Bewegung und aus der anständigen<lb/> noblen Ruhe hatte kommen sehen. Felir's Augen füllten sich mit<lb/> Thränen, und auch Agnes sah mit thränenfeuchten Blicken zu ihm<lb/> auf. Der FreihcitSprediger hatte sich schon während des Lebehochs<lb/> leise entfernt. Der Arme hatte heute eine bittere Erfahrung gemacht.<lb/> So aber geht es Allen, denen die heutige Gesellschaft noch nicht so<lb/> gleichgiltig geworden ist, daß sie sie noch bessern wollen, die für Con-<lb/> stitutionen und dergleichen liberale Institutionen und Ideen schwär¬<lb/> men, mit denen sie, einen alten zerbrochenen Zustand wieder zuflik-<lb/> kend, eine Schaar von Schwächlingen, die sich civilisirte Menschheit<lb/> nennt, wieder stark machen und auffrischen wollen. Wahrscheinlich<lb/> geht der junge Mann nur von hier weg, um anderwärts heute oder<lb/> morgen wieder denselben Scandal und dieselbe Langeweile hervorzu^<lb/> rufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_954"> Nach seinem Verschwinden war die Gesellschaft wieder unge¬<lb/> stört in ihrem Elemente; man fällte seine Urtheile, sprach über Cha-<lb/> misso, Friedrich Förster, Godwin-Castle und das französische Theater<lb/> u. s. w., kam wieder aus Liszt, und als sich Herr Felir endlich an<lb/> das Klavier setzte, empfahl ich mich ganz unbemerkt, denn eS war<lb/> schon drei Viertel auf zehn und ich hatte meinen Freunden verspro¬<lb/> chen, sie um zehn Uhr auf einem Kaffeehause zu treffen, um mit ih¬<lb/> nen zu überlegen, was von da an heute noch anzufangen sei.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
sich nun, wie er zu Agnes sagte, an dem Geschwätz dort langweilte,
erhob sich, nahm ein Glas zur Hand und rief mit so lauter Stimme,
daß augenblicklich Alles verstummte: Meine Herren und Damen!
Ich fühle mich gedrungen, bei unserem heiteren und schönen Beisam¬
mensein zwei Männern ein Lebehoch zu bringen, die gewiß unsere
tiefste Verehrung verdienen. Es lebe Schelling, der uns aus den
Irrgänger- der falschen Philosophie wieder dem Lichte der Wahrheit
entgegenführt, er, der von unserem allergnädigsten König selbst zum
geistigen Retter der leidenden Menschheit berufen wurde, und Liszt,
Franz Liszt, nicht der Künstler, nicht der Hervorzauberer kühner,
berauschender Töne, nicht der liebenswürdige, bescheidene, begeisternde
Mann von europäischer Bedeutung, sondern Liszt, der Wohlthäter
der leidenden Menschheit, der Helfer der Armen und Nothleidenden!
Er lebe hoch! Hoch! hoch! hoch! erscholl eS von allen Seiten unter
Gläserklirren, daß der Salon erzitterte. Es war das erste Mal, daß
ich eine Berliner Gesellschaft in Bewegung und aus der anständigen
noblen Ruhe hatte kommen sehen. Felir's Augen füllten sich mit
Thränen, und auch Agnes sah mit thränenfeuchten Blicken zu ihm
auf. Der FreihcitSprediger hatte sich schon während des Lebehochs
leise entfernt. Der Arme hatte heute eine bittere Erfahrung gemacht.
So aber geht es Allen, denen die heutige Gesellschaft noch nicht so
gleichgiltig geworden ist, daß sie sie noch bessern wollen, die für Con-
stitutionen und dergleichen liberale Institutionen und Ideen schwär¬
men, mit denen sie, einen alten zerbrochenen Zustand wieder zuflik-
kend, eine Schaar von Schwächlingen, die sich civilisirte Menschheit
nennt, wieder stark machen und auffrischen wollen. Wahrscheinlich
geht der junge Mann nur von hier weg, um anderwärts heute oder
morgen wieder denselben Scandal und dieselbe Langeweile hervorzu^
rufen.
Nach seinem Verschwinden war die Gesellschaft wieder unge¬
stört in ihrem Elemente; man fällte seine Urtheile, sprach über Cha-
misso, Friedrich Förster, Godwin-Castle und das französische Theater
u. s. w., kam wieder aus Liszt, und als sich Herr Felir endlich an
das Klavier setzte, empfahl ich mich ganz unbemerkt, denn eS war
schon drei Viertel auf zehn und ich hatte meinen Freunden verspro¬
chen, sie um zehn Uhr auf einem Kaffeehause zu treffen, um mit ih¬
nen zu überlegen, was von da an heute noch anzufangen sei.
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