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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Nicht blos ihren auf dem Felde stehenden Reichthum, sondern auch
ihre alten Vorrathe und selbst die Häuser, die ihnen Obdach gewahr¬
ten, haben viele Tausende verloren, die jetzt einer Zukunft ohne Hoff¬
nung entgegengehen. Es wird Außerordentliches geschehen müssen,
um diese außerordentliche Noth zu mildern, und in der That hören
wir auch, daß zu diesem Behufe bereits die ersten Staatsbeamten
mit einigen hiesigen Banquiers und anderen angesehenen Bürgern
zusammengetreten sind, um in ähnlicher Weise Geldsammlungen zu
veranstalten, wie sie vor zwei Jahren für Hamburg stattgefunden ha¬
ben. Das Elend ist jetzt unstreitig in den ohnehin schon durch
die russische Grenzsperre ganz heruntergekommenen preußischen Ostsee¬
provinzen viel größer, als es jemals in dem von so vielen tausend
reichen Kaufleuten bevölkerten Hamburg war, das, wie man weiß,
der eingegangenen Tausende zum Theil gar nicht bedurft hat, da die
abgebrannte Bevölkerung sogleich Arbeit und Erwerb fand. Wer aber
wird jetzt auch den armen Bürgern und Bauern von Schweiz und
Heilsberg Arbeit und Erwerb verschaffen?

Mit Rücksicht auf die eingetretene große Calamität ist bereits die
Einberufung der Landwehr jener Provinz, die in der nächsten Woche
stattfinden sollte, abbestellt worden. Auch zweifelt man, daß der Kö¬
nig nach seiner Rückkehr aus Wien auch noch, wie er sich vorgenom¬
men, zum Manöver nach Preußen reisen werde. Die Universität
Königsberg, die in diesem Monat ihr dreihundertjähriges Jubelfest
feiert, würde dies am meisten bedauern, da sie den König, welcher
ihr Rector Magnisicus ist, bei dieser Gelegenheit erwartet hatte.
Bereits haben sich die Herren Professoren die neue Amtstracht anfer¬
tigen lassen, welche für die verschiedenen Facultäten in schwarzen,
rothen, violetten und blauen Roben besteht und worin sie sich, inso¬
fern die Person selbst nicht gar zu unstattlich ist, recht stattlich aus¬
nehmen sollen. Professor Jacob", der berühmte Mathematiker der
Königsberger Universität, der sich jetzt hier befindet, nachdem er auf
des Königs Kosten eine italienische Reise gemacht, wird nicht mehr
nach der Pregelstadt zurückkehren, sondern hier bleiben, da ihm das
hiesige Klima -- wir wissen nicht, ob auch die politische Atmosphäre
in Berlin -- mehr zusagt, als das dortige.

Ganz erfreulich war es, den alten Alexander von Humboldt bei
der Feier zu sehen, die ihm vor einigen Tagen die Akademie der
Wissenschaften zur Erinnerung an feine vor vierzig Jahren geschehene
Rückkehr von seiner großen amerikanischen Reise veranstaltet hatte,
und bei der auch ein Neffe Napoleons, der Fürst von Canino, zugegen
war. Humboldt ist l7Kö geboren, also jetzt fünfundsiebzig Jahr alt;
er erscheint aber noch so jugendlich und rüstig, wie ein Fünfziger.
Viel hört man hier und da über feine doppelte Stellung zum Hofe
und zur Wissenschaft raisonniren, aber gerade diese Stellung macht


Nicht blos ihren auf dem Felde stehenden Reichthum, sondern auch
ihre alten Vorrathe und selbst die Häuser, die ihnen Obdach gewahr¬
ten, haben viele Tausende verloren, die jetzt einer Zukunft ohne Hoff¬
nung entgegengehen. Es wird Außerordentliches geschehen müssen,
um diese außerordentliche Noth zu mildern, und in der That hören
wir auch, daß zu diesem Behufe bereits die ersten Staatsbeamten
mit einigen hiesigen Banquiers und anderen angesehenen Bürgern
zusammengetreten sind, um in ähnlicher Weise Geldsammlungen zu
veranstalten, wie sie vor zwei Jahren für Hamburg stattgefunden ha¬
ben. Das Elend ist jetzt unstreitig in den ohnehin schon durch
die russische Grenzsperre ganz heruntergekommenen preußischen Ostsee¬
provinzen viel größer, als es jemals in dem von so vielen tausend
reichen Kaufleuten bevölkerten Hamburg war, das, wie man weiß,
der eingegangenen Tausende zum Theil gar nicht bedurft hat, da die
abgebrannte Bevölkerung sogleich Arbeit und Erwerb fand. Wer aber
wird jetzt auch den armen Bürgern und Bauern von Schweiz und
Heilsberg Arbeit und Erwerb verschaffen?

Mit Rücksicht auf die eingetretene große Calamität ist bereits die
Einberufung der Landwehr jener Provinz, die in der nächsten Woche
stattfinden sollte, abbestellt worden. Auch zweifelt man, daß der Kö¬
nig nach seiner Rückkehr aus Wien auch noch, wie er sich vorgenom¬
men, zum Manöver nach Preußen reisen werde. Die Universität
Königsberg, die in diesem Monat ihr dreihundertjähriges Jubelfest
feiert, würde dies am meisten bedauern, da sie den König, welcher
ihr Rector Magnisicus ist, bei dieser Gelegenheit erwartet hatte.
Bereits haben sich die Herren Professoren die neue Amtstracht anfer¬
tigen lassen, welche für die verschiedenen Facultäten in schwarzen,
rothen, violetten und blauen Roben besteht und worin sie sich, inso¬
fern die Person selbst nicht gar zu unstattlich ist, recht stattlich aus¬
nehmen sollen. Professor Jacob», der berühmte Mathematiker der
Königsberger Universität, der sich jetzt hier befindet, nachdem er auf
des Königs Kosten eine italienische Reise gemacht, wird nicht mehr
nach der Pregelstadt zurückkehren, sondern hier bleiben, da ihm das
hiesige Klima — wir wissen nicht, ob auch die politische Atmosphäre
in Berlin — mehr zusagt, als das dortige.

Ganz erfreulich war es, den alten Alexander von Humboldt bei
der Feier zu sehen, die ihm vor einigen Tagen die Akademie der
Wissenschaften zur Erinnerung an feine vor vierzig Jahren geschehene
Rückkehr von seiner großen amerikanischen Reise veranstaltet hatte,
und bei der auch ein Neffe Napoleons, der Fürst von Canino, zugegen
war. Humboldt ist l7Kö geboren, also jetzt fünfundsiebzig Jahr alt;
er erscheint aber noch so jugendlich und rüstig, wie ein Fünfziger.
Viel hört man hier und da über feine doppelte Stellung zum Hofe
und zur Wissenschaft raisonniren, aber gerade diese Stellung macht


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[0384] Nicht blos ihren auf dem Felde stehenden Reichthum, sondern auch ihre alten Vorrathe und selbst die Häuser, die ihnen Obdach gewahr¬ ten, haben viele Tausende verloren, die jetzt einer Zukunft ohne Hoff¬ nung entgegengehen. Es wird Außerordentliches geschehen müssen, um diese außerordentliche Noth zu mildern, und in der That hören wir auch, daß zu diesem Behufe bereits die ersten Staatsbeamten mit einigen hiesigen Banquiers und anderen angesehenen Bürgern zusammengetreten sind, um in ähnlicher Weise Geldsammlungen zu veranstalten, wie sie vor zwei Jahren für Hamburg stattgefunden ha¬ ben. Das Elend ist jetzt unstreitig in den ohnehin schon durch die russische Grenzsperre ganz heruntergekommenen preußischen Ostsee¬ provinzen viel größer, als es jemals in dem von so vielen tausend reichen Kaufleuten bevölkerten Hamburg war, das, wie man weiß, der eingegangenen Tausende zum Theil gar nicht bedurft hat, da die abgebrannte Bevölkerung sogleich Arbeit und Erwerb fand. Wer aber wird jetzt auch den armen Bürgern und Bauern von Schweiz und Heilsberg Arbeit und Erwerb verschaffen? Mit Rücksicht auf die eingetretene große Calamität ist bereits die Einberufung der Landwehr jener Provinz, die in der nächsten Woche stattfinden sollte, abbestellt worden. Auch zweifelt man, daß der Kö¬ nig nach seiner Rückkehr aus Wien auch noch, wie er sich vorgenom¬ men, zum Manöver nach Preußen reisen werde. Die Universität Königsberg, die in diesem Monat ihr dreihundertjähriges Jubelfest feiert, würde dies am meisten bedauern, da sie den König, welcher ihr Rector Magnisicus ist, bei dieser Gelegenheit erwartet hatte. Bereits haben sich die Herren Professoren die neue Amtstracht anfer¬ tigen lassen, welche für die verschiedenen Facultäten in schwarzen, rothen, violetten und blauen Roben besteht und worin sie sich, inso¬ fern die Person selbst nicht gar zu unstattlich ist, recht stattlich aus¬ nehmen sollen. Professor Jacob», der berühmte Mathematiker der Königsberger Universität, der sich jetzt hier befindet, nachdem er auf des Königs Kosten eine italienische Reise gemacht, wird nicht mehr nach der Pregelstadt zurückkehren, sondern hier bleiben, da ihm das hiesige Klima — wir wissen nicht, ob auch die politische Atmosphäre in Berlin — mehr zusagt, als das dortige. Ganz erfreulich war es, den alten Alexander von Humboldt bei der Feier zu sehen, die ihm vor einigen Tagen die Akademie der Wissenschaften zur Erinnerung an feine vor vierzig Jahren geschehene Rückkehr von seiner großen amerikanischen Reise veranstaltet hatte, und bei der auch ein Neffe Napoleons, der Fürst von Canino, zugegen war. Humboldt ist l7Kö geboren, also jetzt fünfundsiebzig Jahr alt; er erscheint aber noch so jugendlich und rüstig, wie ein Fünfziger. Viel hört man hier und da über feine doppelte Stellung zum Hofe und zur Wissenschaft raisonniren, aber gerade diese Stellung macht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/384>, abgerufen am 23.07.2024.