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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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während der neun vollendeten Jahre meines Schullebens neunmal
Botanik studiren und auch späterhin das Gelernte wieder auffrischen
"jüssen. Denn die eben so nothwendige als ennuycmte Landplage der
Eramina -- mit Recht ordnet man sie vielfältig an, da Prüfungen
den Muth des Menschen stählen -- hatte auch mich in der Natur¬
wissenschaft, wie sehr sie auch seitab vom Hauptwege meiner Studien
lag, Rekapitulationen beginnen lassen, die mir recht klar vor Augen
stellten, wie man sich gratuliren könne, bei jenen Prüfungen nicht sein
eigener Examinator zu sein. Seit der letzten Prüfung, nach deren
glücklichem Bestehen gewöhnlich erst die wahre, freie Lust zu Selbst¬
studien ihre Fittige hebt, hatten die botanischen Episoden für mich
gänzlich aufgehört. Ich mochte im Buche der Natur lieber obenhin lesen,
als gründlich buchstabiren, lieber mich an der Natur als einer Summa,
denn an ihren einzelnen Summanden erfreuen und folgte dem Dich¬
ter, der da fragt:


Die ird'schen Pathen, die am Himmelsthron
Gevattern gleich jedweden Stern benennen,
Erfreu'n sie sich der schönen Nächte mehr,
Als die umhergehn und nicht Eine" kennen?

Heute aber in der Nähe der Manen des größten Botanikers, war
mein botanisches Gewissen wieder erwacht. Die Vorbereitungen zu
dieser Reise hatten sich um die Sprache und die Alterthümer des
Nordens gedreht; zur Naturwissenschaft war weder Muße, noch Lust
dagewesen. Das that mir nun sehr Leid. Unwillkürlich flogen meine
Gedanken in die botanische Schulzeit zurück. Phanerogamien und
Kryptvgamien, Dekandria und Monadelphic, solche und ähnliche
Töne säuselten in meinen Ohren; und in Opposition traten hingegen
die Motyledonen und Monokotyledonen. Dann hörte ich im Geiste
noch einmal, wie mein geliebter Lehrer von Linne sprach, dem er fast
eine göttliche Verehrung zollte, und wie er uns gestand, es wäre
seine größte Seligkeit gewesen, den edlen Mann persönlich kennen zu
lernen, oder wenigstens den geweihten Boden zu betreten, da er ge¬
wandelt und gelehrt; und wenn uns das Schicksal einmal dort oben
nach Norden hinführte, dann sollten wir die heilige Wanderung nach
Upsala und Hammersby für eine Herzenspflicht halten, die wir dem
großen Manne, uns selber und ihm, unserem Lehrer, schuldig seien.


während der neun vollendeten Jahre meines Schullebens neunmal
Botanik studiren und auch späterhin das Gelernte wieder auffrischen
»jüssen. Denn die eben so nothwendige als ennuycmte Landplage der
Eramina — mit Recht ordnet man sie vielfältig an, da Prüfungen
den Muth des Menschen stählen — hatte auch mich in der Natur¬
wissenschaft, wie sehr sie auch seitab vom Hauptwege meiner Studien
lag, Rekapitulationen beginnen lassen, die mir recht klar vor Augen
stellten, wie man sich gratuliren könne, bei jenen Prüfungen nicht sein
eigener Examinator zu sein. Seit der letzten Prüfung, nach deren
glücklichem Bestehen gewöhnlich erst die wahre, freie Lust zu Selbst¬
studien ihre Fittige hebt, hatten die botanischen Episoden für mich
gänzlich aufgehört. Ich mochte im Buche der Natur lieber obenhin lesen,
als gründlich buchstabiren, lieber mich an der Natur als einer Summa,
denn an ihren einzelnen Summanden erfreuen und folgte dem Dich¬
ter, der da fragt:


Die ird'schen Pathen, die am Himmelsthron
Gevattern gleich jedweden Stern benennen,
Erfreu'n sie sich der schönen Nächte mehr,
Als die umhergehn und nicht Eine» kennen?

Heute aber in der Nähe der Manen des größten Botanikers, war
mein botanisches Gewissen wieder erwacht. Die Vorbereitungen zu
dieser Reise hatten sich um die Sprache und die Alterthümer des
Nordens gedreht; zur Naturwissenschaft war weder Muße, noch Lust
dagewesen. Das that mir nun sehr Leid. Unwillkürlich flogen meine
Gedanken in die botanische Schulzeit zurück. Phanerogamien und
Kryptvgamien, Dekandria und Monadelphic, solche und ähnliche
Töne säuselten in meinen Ohren; und in Opposition traten hingegen
die Motyledonen und Monokotyledonen. Dann hörte ich im Geiste
noch einmal, wie mein geliebter Lehrer von Linne sprach, dem er fast
eine göttliche Verehrung zollte, und wie er uns gestand, es wäre
seine größte Seligkeit gewesen, den edlen Mann persönlich kennen zu
lernen, oder wenigstens den geweihten Boden zu betreten, da er ge¬
wandelt und gelehrt; und wenn uns das Schicksal einmal dort oben
nach Norden hinführte, dann sollten wir die heilige Wanderung nach
Upsala und Hammersby für eine Herzenspflicht halten, die wir dem
großen Manne, uns selber und ihm, unserem Lehrer, schuldig seien.


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[0372] während der neun vollendeten Jahre meines Schullebens neunmal Botanik studiren und auch späterhin das Gelernte wieder auffrischen »jüssen. Denn die eben so nothwendige als ennuycmte Landplage der Eramina — mit Recht ordnet man sie vielfältig an, da Prüfungen den Muth des Menschen stählen — hatte auch mich in der Natur¬ wissenschaft, wie sehr sie auch seitab vom Hauptwege meiner Studien lag, Rekapitulationen beginnen lassen, die mir recht klar vor Augen stellten, wie man sich gratuliren könne, bei jenen Prüfungen nicht sein eigener Examinator zu sein. Seit der letzten Prüfung, nach deren glücklichem Bestehen gewöhnlich erst die wahre, freie Lust zu Selbst¬ studien ihre Fittige hebt, hatten die botanischen Episoden für mich gänzlich aufgehört. Ich mochte im Buche der Natur lieber obenhin lesen, als gründlich buchstabiren, lieber mich an der Natur als einer Summa, denn an ihren einzelnen Summanden erfreuen und folgte dem Dich¬ ter, der da fragt: Die ird'schen Pathen, die am Himmelsthron Gevattern gleich jedweden Stern benennen, Erfreu'n sie sich der schönen Nächte mehr, Als die umhergehn und nicht Eine» kennen? Heute aber in der Nähe der Manen des größten Botanikers, war mein botanisches Gewissen wieder erwacht. Die Vorbereitungen zu dieser Reise hatten sich um die Sprache und die Alterthümer des Nordens gedreht; zur Naturwissenschaft war weder Muße, noch Lust dagewesen. Das that mir nun sehr Leid. Unwillkürlich flogen meine Gedanken in die botanische Schulzeit zurück. Phanerogamien und Kryptvgamien, Dekandria und Monadelphic, solche und ähnliche Töne säuselten in meinen Ohren; und in Opposition traten hingegen die Motyledonen und Monokotyledonen. Dann hörte ich im Geiste noch einmal, wie mein geliebter Lehrer von Linne sprach, dem er fast eine göttliche Verehrung zollte, und wie er uns gestand, es wäre seine größte Seligkeit gewesen, den edlen Mann persönlich kennen zu lernen, oder wenigstens den geweihten Boden zu betreten, da er ge¬ wandelt und gelehrt; und wenn uns das Schicksal einmal dort oben nach Norden hinführte, dann sollten wir die heilige Wanderung nach Upsala und Hammersby für eine Herzenspflicht halten, die wir dem großen Manne, uns selber und ihm, unserem Lehrer, schuldig seien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/372>, abgerufen am 23.12.2024.