Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach Beendigung seiner Studien erwarb sich Balzac die Bac-
calaureuswürde und sah sich jetzt in Paris, ohne Vermögen, aber
mit dem abenteuerlichen Geiste eines Mannes ausgestattet, der seine
Kräfte fühlt. Er stürzte sich kopfüber in die Hölle, die man die li¬
terarische Laufbahn nennt. Der interessanteste Roman, den er seitdem
unter dem Titel: IIIr gi-unä Komme cle l^rovivc" u Paris veröffent¬
licht hat, kann uns gewiß einen Begriff von seiner Lebensweise in
jener Zeit geben. Mit seltener Unerschrockenheit und unermüdlicher
Ausdauer machte er zwanzig vergebliche Versuche und sah vierzig
seiner Bände der Vergessenheit anheimfallen. Kaum hatte er eine
Schlacht verloren, so wagte er schon eine neue, indem er die Farben
seiner Fahne veränderte; er nannte sich nach einander I I"r.->c" <Jo 8t.
^ubiv, Viellvrxlv, I^ora K'noire. Je hartnäckiger man sich wei¬
gerte, ihn zu lesen, desto hartnäckiger bestand er darauf, zu schreiben,
i^es äeux llvctor, !v (^enteiiiüre, lo Vicinro clef ^rileimes (den
unlängst Tieck so sehr gelobt) u. s. w. sind die Namen jener Erst¬
lingswerke, die Balzac mit stoischen Gleichmuth aus dem Laden des
Buchhändlers zu der Bude des Antiquars und von da zum Käse¬
krämer wandern sah. Die Erzeugung dieses jetzt vergessenen Macu-
laturhausens fällt in die Jahre 182l bis 1829. Ich muß hinzufü¬
gen, daß Balzac die Verfasserschaft eines großen Theils dieser Werke
läugnet und erklärt, daß unter denen, die er anerkennt, mehrere sich
befinden, die er gemeinschaftlich mit Andern verfaßt habe.

Nicht zufrieden, sein Glück mit der Feder zu versuchen, ließ sich
auch der Schriftsteller in Buchdruckerei- und Buchhändlerspeculationcn
ein, welche schlecht ausfielen; er gerieth tief in Schulden, und um
diese zu bezahlen, glaubte er von Neuem zu dem Mittel, welches bis
jetzt so schlecht angeschlagen hatte, seine Zuflucht nehmen zu müssen.
"Ich wollte", sagte er später, "meine ungeheueren Schulden bezahlen
und anständig leben. Dies große Resultat wollte ich mit einer Gänse¬
feder, einer Flasche Tinte und einigen Buch Papier erreichen, in ei¬
ner Stadt, wo der Schriftsteller keinen Credit hat, wo er nicht nur
Talent, sondern auch Glück haben und außerdem Tag und Nacht
arbeiten muß, um sechstausend Francs jährlich zu erwerben; und ich
hatte allein achttausend Francs jährlich Interessen für meine schulde"
zu bezahlen! War das nicht eine Thorheit? Ich unternahm diesen


Nach Beendigung seiner Studien erwarb sich Balzac die Bac-
calaureuswürde und sah sich jetzt in Paris, ohne Vermögen, aber
mit dem abenteuerlichen Geiste eines Mannes ausgestattet, der seine
Kräfte fühlt. Er stürzte sich kopfüber in die Hölle, die man die li¬
terarische Laufbahn nennt. Der interessanteste Roman, den er seitdem
unter dem Titel: IIIr gi-unä Komme cle l^rovivc« u Paris veröffent¬
licht hat, kann uns gewiß einen Begriff von seiner Lebensweise in
jener Zeit geben. Mit seltener Unerschrockenheit und unermüdlicher
Ausdauer machte er zwanzig vergebliche Versuche und sah vierzig
seiner Bände der Vergessenheit anheimfallen. Kaum hatte er eine
Schlacht verloren, so wagte er schon eine neue, indem er die Farben
seiner Fahne veränderte; er nannte sich nach einander I I»r.->c« <Jo 8t.
^ubiv, Viellvrxlv, I^ora K'noire. Je hartnäckiger man sich wei¬
gerte, ihn zu lesen, desto hartnäckiger bestand er darauf, zu schreiben,
i^es äeux llvctor, !v (^enteiiiüre, lo Vicinro clef ^rileimes (den
unlängst Tieck so sehr gelobt) u. s. w. sind die Namen jener Erst¬
lingswerke, die Balzac mit stoischen Gleichmuth aus dem Laden des
Buchhändlers zu der Bude des Antiquars und von da zum Käse¬
krämer wandern sah. Die Erzeugung dieses jetzt vergessenen Macu-
laturhausens fällt in die Jahre 182l bis 1829. Ich muß hinzufü¬
gen, daß Balzac die Verfasserschaft eines großen Theils dieser Werke
läugnet und erklärt, daß unter denen, die er anerkennt, mehrere sich
befinden, die er gemeinschaftlich mit Andern verfaßt habe.

Nicht zufrieden, sein Glück mit der Feder zu versuchen, ließ sich
auch der Schriftsteller in Buchdruckerei- und Buchhändlerspeculationcn
ein, welche schlecht ausfielen; er gerieth tief in Schulden, und um
diese zu bezahlen, glaubte er von Neuem zu dem Mittel, welches bis
jetzt so schlecht angeschlagen hatte, seine Zuflucht nehmen zu müssen.
„Ich wollte", sagte er später, „meine ungeheueren Schulden bezahlen
und anständig leben. Dies große Resultat wollte ich mit einer Gänse¬
feder, einer Flasche Tinte und einigen Buch Papier erreichen, in ei¬
ner Stadt, wo der Schriftsteller keinen Credit hat, wo er nicht nur
Talent, sondern auch Glück haben und außerdem Tag und Nacht
arbeiten muß, um sechstausend Francs jährlich zu erwerben; und ich
hatte allein achttausend Francs jährlich Interessen für meine schulde«
zu bezahlen! War das nicht eine Thorheit? Ich unternahm diesen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180596"/>
            <p xml:id="ID_61"> Nach Beendigung seiner Studien erwarb sich Balzac die Bac-<lb/>
calaureuswürde und sah sich jetzt in Paris, ohne Vermögen, aber<lb/>
mit dem abenteuerlichen Geiste eines Mannes ausgestattet, der seine<lb/>
Kräfte fühlt. Er stürzte sich kopfüber in die Hölle, die man die li¬<lb/>
terarische Laufbahn nennt. Der interessanteste Roman, den er seitdem<lb/>
unter dem Titel: IIIr gi-unä Komme cle l^rovivc« u Paris veröffent¬<lb/>
licht hat, kann uns gewiß einen Begriff von seiner Lebensweise in<lb/>
jener Zeit geben. Mit seltener Unerschrockenheit und unermüdlicher<lb/>
Ausdauer machte er zwanzig vergebliche Versuche und sah vierzig<lb/>
seiner Bände der Vergessenheit anheimfallen. Kaum hatte er eine<lb/>
Schlacht verloren, so wagte er schon eine neue, indem er die Farben<lb/>
seiner Fahne veränderte; er nannte sich nach einander I I»r.-&gt;&lt;Jo 8t.<lb/>
^ubiv, Viellvrxlv, I^ora K'noire. Je hartnäckiger man sich wei¬<lb/>
gerte, ihn zu lesen, desto hartnäckiger bestand er darauf, zu schreiben,<lb/>
i^es äeux llvctor, !v (^enteiiiüre, lo Vicinro clef ^rileimes (den<lb/>
unlängst Tieck so sehr gelobt) u. s. w. sind die Namen jener Erst¬<lb/>
lingswerke, die Balzac mit stoischen Gleichmuth aus dem Laden des<lb/>
Buchhändlers zu der Bude des Antiquars und von da zum Käse¬<lb/>
krämer wandern sah. Die Erzeugung dieses jetzt vergessenen Macu-<lb/>
laturhausens fällt in die Jahre 182l bis 1829. Ich muß hinzufü¬<lb/>
gen, daß Balzac die Verfasserschaft eines großen Theils dieser Werke<lb/>
läugnet und erklärt, daß unter denen, die er anerkennt, mehrere sich<lb/>
befinden, die er gemeinschaftlich mit Andern verfaßt habe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_62" next="#ID_63"> Nicht zufrieden, sein Glück mit der Feder zu versuchen, ließ sich<lb/>
auch der Schriftsteller in Buchdruckerei- und Buchhändlerspeculationcn<lb/>
ein, welche schlecht ausfielen; er gerieth tief in Schulden, und um<lb/>
diese zu bezahlen, glaubte er von Neuem zu dem Mittel, welches bis<lb/>
jetzt so schlecht angeschlagen hatte, seine Zuflucht nehmen zu müssen.<lb/>
&#x201E;Ich wollte", sagte er später, &#x201E;meine ungeheueren Schulden bezahlen<lb/>
und anständig leben. Dies große Resultat wollte ich mit einer Gänse¬<lb/>
feder, einer Flasche Tinte und einigen Buch Papier erreichen, in ei¬<lb/>
ner Stadt, wo der Schriftsteller keinen Credit hat, wo er nicht nur<lb/>
Talent, sondern auch Glück haben und außerdem Tag und Nacht<lb/>
arbeiten muß, um sechstausend Francs jährlich zu erwerben; und ich<lb/>
hatte allein achttausend Francs jährlich Interessen für meine schulde«<lb/>
zu bezahlen! War das nicht eine Thorheit? Ich unternahm diesen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] Nach Beendigung seiner Studien erwarb sich Balzac die Bac- calaureuswürde und sah sich jetzt in Paris, ohne Vermögen, aber mit dem abenteuerlichen Geiste eines Mannes ausgestattet, der seine Kräfte fühlt. Er stürzte sich kopfüber in die Hölle, die man die li¬ terarische Laufbahn nennt. Der interessanteste Roman, den er seitdem unter dem Titel: IIIr gi-unä Komme cle l^rovivc« u Paris veröffent¬ licht hat, kann uns gewiß einen Begriff von seiner Lebensweise in jener Zeit geben. Mit seltener Unerschrockenheit und unermüdlicher Ausdauer machte er zwanzig vergebliche Versuche und sah vierzig seiner Bände der Vergessenheit anheimfallen. Kaum hatte er eine Schlacht verloren, so wagte er schon eine neue, indem er die Farben seiner Fahne veränderte; er nannte sich nach einander I I»r.->c« <Jo 8t. ^ubiv, Viellvrxlv, I^ora K'noire. Je hartnäckiger man sich wei¬ gerte, ihn zu lesen, desto hartnäckiger bestand er darauf, zu schreiben, i^es äeux llvctor, !v (^enteiiiüre, lo Vicinro clef ^rileimes (den unlängst Tieck so sehr gelobt) u. s. w. sind die Namen jener Erst¬ lingswerke, die Balzac mit stoischen Gleichmuth aus dem Laden des Buchhändlers zu der Bude des Antiquars und von da zum Käse¬ krämer wandern sah. Die Erzeugung dieses jetzt vergessenen Macu- laturhausens fällt in die Jahre 182l bis 1829. Ich muß hinzufü¬ gen, daß Balzac die Verfasserschaft eines großen Theils dieser Werke läugnet und erklärt, daß unter denen, die er anerkennt, mehrere sich befinden, die er gemeinschaftlich mit Andern verfaßt habe. Nicht zufrieden, sein Glück mit der Feder zu versuchen, ließ sich auch der Schriftsteller in Buchdruckerei- und Buchhändlerspeculationcn ein, welche schlecht ausfielen; er gerieth tief in Schulden, und um diese zu bezahlen, glaubte er von Neuem zu dem Mittel, welches bis jetzt so schlecht angeschlagen hatte, seine Zuflucht nehmen zu müssen. „Ich wollte", sagte er später, „meine ungeheueren Schulden bezahlen und anständig leben. Dies große Resultat wollte ich mit einer Gänse¬ feder, einer Flasche Tinte und einigen Buch Papier erreichen, in ei¬ ner Stadt, wo der Schriftsteller keinen Credit hat, wo er nicht nur Talent, sondern auch Glück haben und außerdem Tag und Nacht arbeiten muß, um sechstausend Francs jährlich zu erwerben; und ich hatte allein achttausend Francs jährlich Interessen für meine schulde« zu bezahlen! War das nicht eine Thorheit? Ich unternahm diesen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/37>, abgerufen am 22.12.2024.