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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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er des Nachts hingeht, wissen wir Alle nicht. -- Die Studenten im
Hause sind artige Herren, doch die Handlungsdiener und Stuben¬
maler ganz lächerliche Menschen mit ihren Anhängercien und Wiz-
zen und verwickelten Locken. Ein wahres Vergnügen, vom Flurfen¬
ster aus zuzusehen, wenn die sich am Sonntag anziehen; da zanken
sie sich immer, wer zuerst vor den Spiegel soll, denn Einer steht im¬
mer zwei volle Stunden. -- Emilie ist ein gutes Mädchen, aber sie
spielt in den Kneipen Guitarre, ihre Mutter ist ein altes Waschweib
und ihr Bräutigam, Herr Alir, ein grober, abgeschmackter Mensch.
Nun haben Sie auch da den langen, dünnbeinigen Herrn gesehen.
Dieser Mensch stellt mir von dem Augenblick, wo ich einzog, immer¬
während nach, ich aber kann ihn nicht leiden und mag Nichts von
ihm wissen; er ist Schreiber auf dem Gericht und hält sich für sehr
schön und nimmt eine Miene und einen Ton an, als habe er Tau¬
sende zu verzehren. Ich aber habe schon meinen Bräutigam, mein
Felix ist sehr streng und etwas eifersüchtig,, und ich kann ihm wohl
gehorchen, da ich Nichts habe und er Alles für mich bezahlt. Als
ich daher den Schreiber, der mir sehr unausstehlich wurde, einmal
recht derb abfallen ließ, da fing er, noch nicht müde, an, sich hinter
die Alte, hier neben, zu stecken. Diese hatte sich von Anfang an
gleich sehr an mich herangeschmeichelt, kam alle Nachmittag mit dem
Strickstrumpf zu mir herauf und blieb Stunden lang, bis sie meinen
Felir auf der Treppe horte. Obwohl sie immer sehr nach Brannt¬
wein roch und mir manchmal höchst unangenehm wurde, war ich doch
zu gutmüthig, ihr die Thüre zu weisen. Endlich fing sie auch von
dem Schreiber an zu sprechen, was das für ein herrlicher, feiner
Mann sei, ganz anders als andere Männer; daß sie, wenn sie jung
wäre, sich schon längst in ihn verliebt hätte; daß er immer von mir
und meiner Schönheit mit der größten Achtung spreche u. s. w. Die
Anspielung auf Felir hatte mir schon nicht gefallen, als ich aber den
Braten vollends merkte, wies ich ihr die Wege und erfuhr dann auch
bald, daß der Schreiber ihr einen goldenen Ring geschenkt und noch
viel Geld versprochen hatte, wenn sie mich freundlicher gegen ihn
stimmen könnte. Seit dieser Zeit hat sie ihren ganzen Haß auf mich
geworfen und hängt mir an, was sie nur kann. Gestern nun kommt
Felir zu mir, setzt sich stumm auf das Sopha nieder und sieht sehr
verstört und wehmüthig aus. Ich sage: Felir, was ist Dir, warum


Grenzboten I8ii. it. 44

er des Nachts hingeht, wissen wir Alle nicht. — Die Studenten im
Hause sind artige Herren, doch die Handlungsdiener und Stuben¬
maler ganz lächerliche Menschen mit ihren Anhängercien und Wiz-
zen und verwickelten Locken. Ein wahres Vergnügen, vom Flurfen¬
ster aus zuzusehen, wenn die sich am Sonntag anziehen; da zanken
sie sich immer, wer zuerst vor den Spiegel soll, denn Einer steht im¬
mer zwei volle Stunden. — Emilie ist ein gutes Mädchen, aber sie
spielt in den Kneipen Guitarre, ihre Mutter ist ein altes Waschweib
und ihr Bräutigam, Herr Alir, ein grober, abgeschmackter Mensch.
Nun haben Sie auch da den langen, dünnbeinigen Herrn gesehen.
Dieser Mensch stellt mir von dem Augenblick, wo ich einzog, immer¬
während nach, ich aber kann ihn nicht leiden und mag Nichts von
ihm wissen; er ist Schreiber auf dem Gericht und hält sich für sehr
schön und nimmt eine Miene und einen Ton an, als habe er Tau¬
sende zu verzehren. Ich aber habe schon meinen Bräutigam, mein
Felix ist sehr streng und etwas eifersüchtig,, und ich kann ihm wohl
gehorchen, da ich Nichts habe und er Alles für mich bezahlt. Als
ich daher den Schreiber, der mir sehr unausstehlich wurde, einmal
recht derb abfallen ließ, da fing er, noch nicht müde, an, sich hinter
die Alte, hier neben, zu stecken. Diese hatte sich von Anfang an
gleich sehr an mich herangeschmeichelt, kam alle Nachmittag mit dem
Strickstrumpf zu mir herauf und blieb Stunden lang, bis sie meinen
Felir auf der Treppe horte. Obwohl sie immer sehr nach Brannt¬
wein roch und mir manchmal höchst unangenehm wurde, war ich doch
zu gutmüthig, ihr die Thüre zu weisen. Endlich fing sie auch von
dem Schreiber an zu sprechen, was das für ein herrlicher, feiner
Mann sei, ganz anders als andere Männer; daß sie, wenn sie jung
wäre, sich schon längst in ihn verliebt hätte; daß er immer von mir
und meiner Schönheit mit der größten Achtung spreche u. s. w. Die
Anspielung auf Felir hatte mir schon nicht gefallen, als ich aber den
Braten vollends merkte, wies ich ihr die Wege und erfuhr dann auch
bald, daß der Schreiber ihr einen goldenen Ring geschenkt und noch
viel Geld versprochen hatte, wenn sie mich freundlicher gegen ihn
stimmen könnte. Seit dieser Zeit hat sie ihren ganzen Haß auf mich
geworfen und hängt mir an, was sie nur kann. Gestern nun kommt
Felir zu mir, setzt sich stumm auf das Sopha nieder und sieht sehr
verstört und wehmüthig aus. Ich sage: Felir, was ist Dir, warum


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[0353] er des Nachts hingeht, wissen wir Alle nicht. — Die Studenten im Hause sind artige Herren, doch die Handlungsdiener und Stuben¬ maler ganz lächerliche Menschen mit ihren Anhängercien und Wiz- zen und verwickelten Locken. Ein wahres Vergnügen, vom Flurfen¬ ster aus zuzusehen, wenn die sich am Sonntag anziehen; da zanken sie sich immer, wer zuerst vor den Spiegel soll, denn Einer steht im¬ mer zwei volle Stunden. — Emilie ist ein gutes Mädchen, aber sie spielt in den Kneipen Guitarre, ihre Mutter ist ein altes Waschweib und ihr Bräutigam, Herr Alir, ein grober, abgeschmackter Mensch. Nun haben Sie auch da den langen, dünnbeinigen Herrn gesehen. Dieser Mensch stellt mir von dem Augenblick, wo ich einzog, immer¬ während nach, ich aber kann ihn nicht leiden und mag Nichts von ihm wissen; er ist Schreiber auf dem Gericht und hält sich für sehr schön und nimmt eine Miene und einen Ton an, als habe er Tau¬ sende zu verzehren. Ich aber habe schon meinen Bräutigam, mein Felix ist sehr streng und etwas eifersüchtig,, und ich kann ihm wohl gehorchen, da ich Nichts habe und er Alles für mich bezahlt. Als ich daher den Schreiber, der mir sehr unausstehlich wurde, einmal recht derb abfallen ließ, da fing er, noch nicht müde, an, sich hinter die Alte, hier neben, zu stecken. Diese hatte sich von Anfang an gleich sehr an mich herangeschmeichelt, kam alle Nachmittag mit dem Strickstrumpf zu mir herauf und blieb Stunden lang, bis sie meinen Felir auf der Treppe horte. Obwohl sie immer sehr nach Brannt¬ wein roch und mir manchmal höchst unangenehm wurde, war ich doch zu gutmüthig, ihr die Thüre zu weisen. Endlich fing sie auch von dem Schreiber an zu sprechen, was das für ein herrlicher, feiner Mann sei, ganz anders als andere Männer; daß sie, wenn sie jung wäre, sich schon längst in ihn verliebt hätte; daß er immer von mir und meiner Schönheit mit der größten Achtung spreche u. s. w. Die Anspielung auf Felir hatte mir schon nicht gefallen, als ich aber den Braten vollends merkte, wies ich ihr die Wege und erfuhr dann auch bald, daß der Schreiber ihr einen goldenen Ring geschenkt und noch viel Geld versprochen hatte, wenn sie mich freundlicher gegen ihn stimmen könnte. Seit dieser Zeit hat sie ihren ganzen Haß auf mich geworfen und hängt mir an, was sie nur kann. Gestern nun kommt Felir zu mir, setzt sich stumm auf das Sopha nieder und sieht sehr verstört und wehmüthig aus. Ich sage: Felir, was ist Dir, warum Grenzboten I8ii. it. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/353>, abgerufen am 23.07.2024.