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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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tersetzte Frau empfing mich auf dem Flur und schloß mir das kleine
niedlich eingerichtete Parterrezimmer auf, das ich, nebst dem daran
stoßenden Cabinet, ohne weiteres Besinnen sogleich miethete. Die
K--straße, dachte ich mir, ist freilich keine der lieblichsten, doch wirst
du es ja wenigstens einen Monat aushalten. In der That stieg
mir dieselbe Betrachtung wieder auf, als ich am andern Morgen
durch die Straße fuhr, meinen Einzug zu halten. Die Häuser wa¬
ren größtemheils sehr niedrig und baufällig und sahen nebst den
wenigen Personen und Kindern, die ich vor den Thüren erblickte,
schmutzig und unreinlich aus. Endlich vor meinem neuen Hotel an¬
gekommen, besah ich mir zum ersten Male die äußere Gestalt dessel¬
ben und mußte laut auflachen. Das Häuschen hatte nur zwei Fen¬
ster in der Breite und ragte doch über die niedrigern, aber bei wei¬
tem breitern Nebengebäude ein großes Stück hervor, so daß es mit
seiner thurmartigen schlanken Figur einen höchst possierlichen Eindruck
machte. Noch lachend trat ich näher; der kleine Sohn der Wirthin
überreichte mir mit artiger Kellnermiene die Schlüssel und holte meine
Effecten aus der Droschke, auch Madame Wonnig erschien selber
und dieses Mal nicht gerade in dem nobelsten Morgencostüm. Sie
erzählte mir gleich, daß ihr Mann schon in Geschäften ausgegangen,
daß er eigentlich ein Schuhmacher sei, daß sie eine große Familie
hätten; daß sie sich ihr Häuschen, da es bei einem Umbau nicht
größer gemacht werden konnte, so in die Hohe hätten bauen müssen;
daß es aus lauter solchen Piecen, wie die meinige, bestehe, immer
vorn heraus solch ein Zimmer mit Cabinet und nach hinten hinaus
noch eine kleine Stube, die alle zum Vernüethen meublirt und immer
sehr gut besetzt seien. Herr Wonnig, ein schon etwas ältlicher Mann
mit einem exemplarisch gutmüthigen Schafsgesicht, kam dazu und be¬
grüßte mich mit unzähligen Kratzfüßen. An der An, wie seine Frau
mit ihm sprach, bemerkte ich gleich seine untergeordnete Stellung zu
ihr; sie war klug, gewandt und schlau, er im höchsten Grade ein¬
fältig. Seine stereotype Redensart war: "meine Frau sagt." Mein
Stübchen war recht warm, freundlich und behaglich; ich machte eS
mir bequem und verbrachte die ersten Tage in ruhiger Behaglichkeit.
Im Hause selbst war es ziemlich still, nur daß, wie in einem Gast¬
hof, die Klingelzuge oft gingen und man die Treppen viel auf- und
ablief. Wo die Wirthsleute eigentlich wohnten, konnte ich nicht er-


tersetzte Frau empfing mich auf dem Flur und schloß mir das kleine
niedlich eingerichtete Parterrezimmer auf, das ich, nebst dem daran
stoßenden Cabinet, ohne weiteres Besinnen sogleich miethete. Die
K—straße, dachte ich mir, ist freilich keine der lieblichsten, doch wirst
du es ja wenigstens einen Monat aushalten. In der That stieg
mir dieselbe Betrachtung wieder auf, als ich am andern Morgen
durch die Straße fuhr, meinen Einzug zu halten. Die Häuser wa¬
ren größtemheils sehr niedrig und baufällig und sahen nebst den
wenigen Personen und Kindern, die ich vor den Thüren erblickte,
schmutzig und unreinlich aus. Endlich vor meinem neuen Hotel an¬
gekommen, besah ich mir zum ersten Male die äußere Gestalt dessel¬
ben und mußte laut auflachen. Das Häuschen hatte nur zwei Fen¬
ster in der Breite und ragte doch über die niedrigern, aber bei wei¬
tem breitern Nebengebäude ein großes Stück hervor, so daß es mit
seiner thurmartigen schlanken Figur einen höchst possierlichen Eindruck
machte. Noch lachend trat ich näher; der kleine Sohn der Wirthin
überreichte mir mit artiger Kellnermiene die Schlüssel und holte meine
Effecten aus der Droschke, auch Madame Wonnig erschien selber
und dieses Mal nicht gerade in dem nobelsten Morgencostüm. Sie
erzählte mir gleich, daß ihr Mann schon in Geschäften ausgegangen,
daß er eigentlich ein Schuhmacher sei, daß sie eine große Familie
hätten; daß sie sich ihr Häuschen, da es bei einem Umbau nicht
größer gemacht werden konnte, so in die Hohe hätten bauen müssen;
daß es aus lauter solchen Piecen, wie die meinige, bestehe, immer
vorn heraus solch ein Zimmer mit Cabinet und nach hinten hinaus
noch eine kleine Stube, die alle zum Vernüethen meublirt und immer
sehr gut besetzt seien. Herr Wonnig, ein schon etwas ältlicher Mann
mit einem exemplarisch gutmüthigen Schafsgesicht, kam dazu und be¬
grüßte mich mit unzähligen Kratzfüßen. An der An, wie seine Frau
mit ihm sprach, bemerkte ich gleich seine untergeordnete Stellung zu
ihr; sie war klug, gewandt und schlau, er im höchsten Grade ein¬
fältig. Seine stereotype Redensart war: „meine Frau sagt." Mein
Stübchen war recht warm, freundlich und behaglich; ich machte eS
mir bequem und verbrachte die ersten Tage in ruhiger Behaglichkeit.
Im Hause selbst war es ziemlich still, nur daß, wie in einem Gast¬
hof, die Klingelzuge oft gingen und man die Treppen viel auf- und
ablief. Wo die Wirthsleute eigentlich wohnten, konnte ich nicht er-


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[0346] tersetzte Frau empfing mich auf dem Flur und schloß mir das kleine niedlich eingerichtete Parterrezimmer auf, das ich, nebst dem daran stoßenden Cabinet, ohne weiteres Besinnen sogleich miethete. Die K—straße, dachte ich mir, ist freilich keine der lieblichsten, doch wirst du es ja wenigstens einen Monat aushalten. In der That stieg mir dieselbe Betrachtung wieder auf, als ich am andern Morgen durch die Straße fuhr, meinen Einzug zu halten. Die Häuser wa¬ ren größtemheils sehr niedrig und baufällig und sahen nebst den wenigen Personen und Kindern, die ich vor den Thüren erblickte, schmutzig und unreinlich aus. Endlich vor meinem neuen Hotel an¬ gekommen, besah ich mir zum ersten Male die äußere Gestalt dessel¬ ben und mußte laut auflachen. Das Häuschen hatte nur zwei Fen¬ ster in der Breite und ragte doch über die niedrigern, aber bei wei¬ tem breitern Nebengebäude ein großes Stück hervor, so daß es mit seiner thurmartigen schlanken Figur einen höchst possierlichen Eindruck machte. Noch lachend trat ich näher; der kleine Sohn der Wirthin überreichte mir mit artiger Kellnermiene die Schlüssel und holte meine Effecten aus der Droschke, auch Madame Wonnig erschien selber und dieses Mal nicht gerade in dem nobelsten Morgencostüm. Sie erzählte mir gleich, daß ihr Mann schon in Geschäften ausgegangen, daß er eigentlich ein Schuhmacher sei, daß sie eine große Familie hätten; daß sie sich ihr Häuschen, da es bei einem Umbau nicht größer gemacht werden konnte, so in die Hohe hätten bauen müssen; daß es aus lauter solchen Piecen, wie die meinige, bestehe, immer vorn heraus solch ein Zimmer mit Cabinet und nach hinten hinaus noch eine kleine Stube, die alle zum Vernüethen meublirt und immer sehr gut besetzt seien. Herr Wonnig, ein schon etwas ältlicher Mann mit einem exemplarisch gutmüthigen Schafsgesicht, kam dazu und be¬ grüßte mich mit unzähligen Kratzfüßen. An der An, wie seine Frau mit ihm sprach, bemerkte ich gleich seine untergeordnete Stellung zu ihr; sie war klug, gewandt und schlau, er im höchsten Grade ein¬ fältig. Seine stereotype Redensart war: „meine Frau sagt." Mein Stübchen war recht warm, freundlich und behaglich; ich machte eS mir bequem und verbrachte die ersten Tage in ruhiger Behaglichkeit. Im Hause selbst war es ziemlich still, nur daß, wie in einem Gast¬ hof, die Klingelzuge oft gingen und man die Treppen viel auf- und ablief. Wo die Wirthsleute eigentlich wohnten, konnte ich nicht er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/346>, abgerufen am 23.07.2024.