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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Berlins Aufschwung. -- Scandalsuckt des Philisters. -- Die öffentlichen Ver¬
gnügungen. -- Sampiero. Köck und Guste. -- Brentano's Frühlingskranz. --
Jungnitz. -- Die vier neuen Monatsschriften und die Censur.

Berlin arbeitet sich immer mehr und mehr zu einer großartigen
Weltstadt empor. Es wird nicht blos fortwährend verschönert und
vergrößert, erzeugt nicht blos jährlich so und so viele neue Hauser,
Straßen und Menschen, sondern neuerdings auch ganz großartige,
miraculose Ereignisse und Thaten. Wir meinen hier nicht die radika¬
len Bewegungen des vergangnen Winters, nicht die socialistischen
Vorlesungen Theodor Mundt's, auch nicht die Eorrespondenzen Feodor
West's, nicht den Gesellenverein und den Verein zur Hebung der nie¬
dern Volksclassen, sondern die einfache Thatsache, daß Berlin in die¬
sem Augenblicke auch einen Königsmörder in seinem Schooße birgt.

Man wird gewiß im Auslande glauben, daß Berlin an dem
Tage des Attentats in großer Bewegung und Aufregung war. Nein.
Die Masse des Berliner Volks but an Allem nur das persönliche
Interesse der Neugier, es liebt den Scandal, er mag diesen oder jenen
Inhalt haben, wenn es nur etwas zu sehen und zu hören und zu
lärmen gibt; es ist noch naiv und indifferent und vielleicht dadurch
für den Beobachter interessanter als der "politische" Philister des kon¬
stitutionellen Deutschland. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die
Nachricht durch die weite Stadt, als ich aber mehrere Stunden dar¬
auf durch die Straßen ging, sah ich wohl hier und da ein Häuflein
Menschen an einer Ecke stehen und das Bulletin lesen, sah auch die
Massen auf dem Schloschof versammelt und sich genau die Stellen
ansehen, wo die That geschehen, aber im Ganzen war doch das In¬
teresse höchst matt, der Scandal war nicht lärmend, eclatant genug
gewesen. Der Brand des Opernhauses hatte einen tiefern Eindruck,
eine größere Sensation gemacht; das war doch ein Schauspiel, da
ging doch ein großes Haus in hellen Flammen auf, die halb Berlin
erleuchteten. Ich habe unter den Tausenden von Menschen, die die
Nachricht des Mordversuchs in das Schloß getrieben hatte, keinen
Einzigen, wie bei jenem Brande, vor Staunen die Hände zusammen¬
schlagen sehen. Abends war die Königsstraße -- auch unter den
Linden einige Hauser -- illuminirt; der Pöbel machte aber im Ver¬
ein mit unzähligen Gassenjungen dort einen so fürchterlichen Lärm,
daß die Leute ihm sein Vergnügen bald entziehen und ihre Lichter
verlöschen mußten. In den Gartenconcerten und im Königsstadtischen
Theater sang man die "Nationalhymne", am Abend darauf brachte
im Schauspielhause ein Mann in Landstandsuniform einen Toast auf



*) Bon einem andern Vorrespondcuten.
2.*)

Berlins Aufschwung. — Scandalsuckt des Philisters. — Die öffentlichen Ver¬
gnügungen. — Sampiero. Köck und Guste. — Brentano's Frühlingskranz. —
Jungnitz. — Die vier neuen Monatsschriften und die Censur.

Berlin arbeitet sich immer mehr und mehr zu einer großartigen
Weltstadt empor. Es wird nicht blos fortwährend verschönert und
vergrößert, erzeugt nicht blos jährlich so und so viele neue Hauser,
Straßen und Menschen, sondern neuerdings auch ganz großartige,
miraculose Ereignisse und Thaten. Wir meinen hier nicht die radika¬
len Bewegungen des vergangnen Winters, nicht die socialistischen
Vorlesungen Theodor Mundt's, auch nicht die Eorrespondenzen Feodor
West's, nicht den Gesellenverein und den Verein zur Hebung der nie¬
dern Volksclassen, sondern die einfache Thatsache, daß Berlin in die¬
sem Augenblicke auch einen Königsmörder in seinem Schooße birgt.

Man wird gewiß im Auslande glauben, daß Berlin an dem
Tage des Attentats in großer Bewegung und Aufregung war. Nein.
Die Masse des Berliner Volks but an Allem nur das persönliche
Interesse der Neugier, es liebt den Scandal, er mag diesen oder jenen
Inhalt haben, wenn es nur etwas zu sehen und zu hören und zu
lärmen gibt; es ist noch naiv und indifferent und vielleicht dadurch
für den Beobachter interessanter als der „politische" Philister des kon¬
stitutionellen Deutschland. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die
Nachricht durch die weite Stadt, als ich aber mehrere Stunden dar¬
auf durch die Straßen ging, sah ich wohl hier und da ein Häuflein
Menschen an einer Ecke stehen und das Bulletin lesen, sah auch die
Massen auf dem Schloschof versammelt und sich genau die Stellen
ansehen, wo die That geschehen, aber im Ganzen war doch das In¬
teresse höchst matt, der Scandal war nicht lärmend, eclatant genug
gewesen. Der Brand des Opernhauses hatte einen tiefern Eindruck,
eine größere Sensation gemacht; das war doch ein Schauspiel, da
ging doch ein großes Haus in hellen Flammen auf, die halb Berlin
erleuchteten. Ich habe unter den Tausenden von Menschen, die die
Nachricht des Mordversuchs in das Schloß getrieben hatte, keinen
Einzigen, wie bei jenem Brande, vor Staunen die Hände zusammen¬
schlagen sehen. Abends war die Königsstraße — auch unter den
Linden einige Hauser — illuminirt; der Pöbel machte aber im Ver¬
ein mit unzähligen Gassenjungen dort einen so fürchterlichen Lärm,
daß die Leute ihm sein Vergnügen bald entziehen und ihre Lichter
verlöschen mußten. In den Gartenconcerten und im Königsstadtischen
Theater sang man die „Nationalhymne", am Abend darauf brachte
im Schauspielhause ein Mann in Landstandsuniform einen Toast auf



*) Bon einem andern Vorrespondcuten.
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[0338] 2.*) Berlins Aufschwung. — Scandalsuckt des Philisters. — Die öffentlichen Ver¬ gnügungen. — Sampiero. Köck und Guste. — Brentano's Frühlingskranz. — Jungnitz. — Die vier neuen Monatsschriften und die Censur. Berlin arbeitet sich immer mehr und mehr zu einer großartigen Weltstadt empor. Es wird nicht blos fortwährend verschönert und vergrößert, erzeugt nicht blos jährlich so und so viele neue Hauser, Straßen und Menschen, sondern neuerdings auch ganz großartige, miraculose Ereignisse und Thaten. Wir meinen hier nicht die radika¬ len Bewegungen des vergangnen Winters, nicht die socialistischen Vorlesungen Theodor Mundt's, auch nicht die Eorrespondenzen Feodor West's, nicht den Gesellenverein und den Verein zur Hebung der nie¬ dern Volksclassen, sondern die einfache Thatsache, daß Berlin in die¬ sem Augenblicke auch einen Königsmörder in seinem Schooße birgt. Man wird gewiß im Auslande glauben, daß Berlin an dem Tage des Attentats in großer Bewegung und Aufregung war. Nein. Die Masse des Berliner Volks but an Allem nur das persönliche Interesse der Neugier, es liebt den Scandal, er mag diesen oder jenen Inhalt haben, wenn es nur etwas zu sehen und zu hören und zu lärmen gibt; es ist noch naiv und indifferent und vielleicht dadurch für den Beobachter interessanter als der „politische" Philister des kon¬ stitutionellen Deutschland. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch die weite Stadt, als ich aber mehrere Stunden dar¬ auf durch die Straßen ging, sah ich wohl hier und da ein Häuflein Menschen an einer Ecke stehen und das Bulletin lesen, sah auch die Massen auf dem Schloschof versammelt und sich genau die Stellen ansehen, wo die That geschehen, aber im Ganzen war doch das In¬ teresse höchst matt, der Scandal war nicht lärmend, eclatant genug gewesen. Der Brand des Opernhauses hatte einen tiefern Eindruck, eine größere Sensation gemacht; das war doch ein Schauspiel, da ging doch ein großes Haus in hellen Flammen auf, die halb Berlin erleuchteten. Ich habe unter den Tausenden von Menschen, die die Nachricht des Mordversuchs in das Schloß getrieben hatte, keinen Einzigen, wie bei jenem Brande, vor Staunen die Hände zusammen¬ schlagen sehen. Abends war die Königsstraße — auch unter den Linden einige Hauser — illuminirt; der Pöbel machte aber im Ver¬ ein mit unzähligen Gassenjungen dort einen so fürchterlichen Lärm, daß die Leute ihm sein Vergnügen bald entziehen und ihre Lichter verlöschen mußten. In den Gartenconcerten und im Königsstadtischen Theater sang man die „Nationalhymne", am Abend darauf brachte im Schauspielhause ein Mann in Landstandsuniform einen Toast auf *) Bon einem andern Vorrespondcuten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/338>, abgerufen am 03.07.2024.