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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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gischen Regentenhauses enthält. Die im delphischen Orakelton gehal¬
tenen Prophezeihungen in Betreff der verstorbenen Regenten vom gro¬
ßen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm III. sind, wie Sie sich den¬
ken können, alle zugetroffen, denn "hinterher ist gut provhczejlM",
wie schon ein Sprichwort sagt, das vermuthlich älter ist, als jene
Rhapsodie des antelutherischen Mönchs von Lehnin -- welcher Ort,
beiläufig bemerkt, im Kreise Belzig des Regierungsbezirks Potsdam
liegt, und nur noch die Ruinen der vom Markgraf Otto I. gegrün¬
deten Abtei "Himmelpfort am See" enthält, wo mehrere Nachkom¬
men Albrechts des Bären begraben liegen. Was nun aber die Zu¬
kunft betrifft, so ist besagte lateinische Prophezeiung nicht blos noch
delphischer, wie hinsichtlich der Vergangenheit, sondern auch viel aben¬
teuerlicher und grausenerregender. Von nichts Geringerem handelt es
sich darin, als von der Ermordung eines kinderlosen Fürsten. Und
obwohl jeder einigermaßen scharfsinnige Kritiker leicht die Zeit nach¬
weisen könnte, in welcher dieses Opus im neunzehnten Jahrhundert
favricirt worden, so hat es doch bei der für dergleichen mysteriöse Dinge
empfänglichen Menge Eingang und Glauben gefunden, und Nichts
ist nun natürlicher, als daß das Ereigniß vom 26. Juli mit dem
Lehniner Mönchslatein in Verbindung gesetzt wird. Glücklicherweise
hat jedoch der ehemalige Bürgermeister Thebens die schlechte Prophe¬
zeiung eben so schlecht ausgeführt; an einem Metallknopf auf des
Königs Oberrock ist die mörderische Kugel abgeglitten, die ohne den¬
selben in die Brust, auf welcher sie nur eine Quetschung zurückließ,
eingedrungen wäre. Von der Verwirrung, die hier entstanden sein
würde, wenn des Mörders Absicht in Erfüllung ging, laßt sich kaum
ein Begriff machen. Denn weder der präfumtive Thronfolger, noch
irgend ein anderer der königlichen Prinzen ist hier anwesend, und nur
das Staatsministerium, an dessen Spitze der allerdings sehr energische
General von Boven -- in Vertretung des Prinzen von Preußen --
steht, hätte die Leitung des Staates unter diesen schwierigen Umstän¬
den übernehmen können. Jedermann freut sich, daß der Himmel die
Waffe des Meuchelmords stumpf gemacht. Welcher politischen Ansicht
auch die verschiedenen Parteien sein mögen, so ist doch der Abscheu
vor der That eines im Hinterhalt lauernden Fieschi oder Alibaud in
Deutschland noch viel größer und allgemeiner, als in Frankreich.
Thebens bekennt sich dazu, nur aus Privatrache seine That vollführt
zu haben; diese hat also mit dem Staate und der Gesellschaft durch¬
aus Nichts zu schaffen und steht ganz isolirt da. Hoffen wir daher
auch, daß sie nicht der Anlaß sein werde, neue Beschränkungen einer¬
seits der Presse und andererseits der bürgerlichen Freiheit überhaupt
aufzuerlegen. Nur der Unschuldige würde durch solche Maßregeln
getroffen und die allgemeine Sicherheit würde dadurch nicht allein
Nichts gewinnen, sondern auch um so mehr gefährdet werden. Dank-


gischen Regentenhauses enthält. Die im delphischen Orakelton gehal¬
tenen Prophezeihungen in Betreff der verstorbenen Regenten vom gro¬
ßen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm III. sind, wie Sie sich den¬
ken können, alle zugetroffen, denn „hinterher ist gut provhczejlM",
wie schon ein Sprichwort sagt, das vermuthlich älter ist, als jene
Rhapsodie des antelutherischen Mönchs von Lehnin — welcher Ort,
beiläufig bemerkt, im Kreise Belzig des Regierungsbezirks Potsdam
liegt, und nur noch die Ruinen der vom Markgraf Otto I. gegrün¬
deten Abtei „Himmelpfort am See" enthält, wo mehrere Nachkom¬
men Albrechts des Bären begraben liegen. Was nun aber die Zu¬
kunft betrifft, so ist besagte lateinische Prophezeiung nicht blos noch
delphischer, wie hinsichtlich der Vergangenheit, sondern auch viel aben¬
teuerlicher und grausenerregender. Von nichts Geringerem handelt es
sich darin, als von der Ermordung eines kinderlosen Fürsten. Und
obwohl jeder einigermaßen scharfsinnige Kritiker leicht die Zeit nach¬
weisen könnte, in welcher dieses Opus im neunzehnten Jahrhundert
favricirt worden, so hat es doch bei der für dergleichen mysteriöse Dinge
empfänglichen Menge Eingang und Glauben gefunden, und Nichts
ist nun natürlicher, als daß das Ereigniß vom 26. Juli mit dem
Lehniner Mönchslatein in Verbindung gesetzt wird. Glücklicherweise
hat jedoch der ehemalige Bürgermeister Thebens die schlechte Prophe¬
zeiung eben so schlecht ausgeführt; an einem Metallknopf auf des
Königs Oberrock ist die mörderische Kugel abgeglitten, die ohne den¬
selben in die Brust, auf welcher sie nur eine Quetschung zurückließ,
eingedrungen wäre. Von der Verwirrung, die hier entstanden sein
würde, wenn des Mörders Absicht in Erfüllung ging, laßt sich kaum
ein Begriff machen. Denn weder der präfumtive Thronfolger, noch
irgend ein anderer der königlichen Prinzen ist hier anwesend, und nur
das Staatsministerium, an dessen Spitze der allerdings sehr energische
General von Boven — in Vertretung des Prinzen von Preußen —
steht, hätte die Leitung des Staates unter diesen schwierigen Umstän¬
den übernehmen können. Jedermann freut sich, daß der Himmel die
Waffe des Meuchelmords stumpf gemacht. Welcher politischen Ansicht
auch die verschiedenen Parteien sein mögen, so ist doch der Abscheu
vor der That eines im Hinterhalt lauernden Fieschi oder Alibaud in
Deutschland noch viel größer und allgemeiner, als in Frankreich.
Thebens bekennt sich dazu, nur aus Privatrache seine That vollführt
zu haben; diese hat also mit dem Staate und der Gesellschaft durch¬
aus Nichts zu schaffen und steht ganz isolirt da. Hoffen wir daher
auch, daß sie nicht der Anlaß sein werde, neue Beschränkungen einer¬
seits der Presse und andererseits der bürgerlichen Freiheit überhaupt
aufzuerlegen. Nur der Unschuldige würde durch solche Maßregeln
getroffen und die allgemeine Sicherheit würde dadurch nicht allein
Nichts gewinnen, sondern auch um so mehr gefährdet werden. Dank-


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[0293] gischen Regentenhauses enthält. Die im delphischen Orakelton gehal¬ tenen Prophezeihungen in Betreff der verstorbenen Regenten vom gro¬ ßen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm III. sind, wie Sie sich den¬ ken können, alle zugetroffen, denn „hinterher ist gut provhczejlM", wie schon ein Sprichwort sagt, das vermuthlich älter ist, als jene Rhapsodie des antelutherischen Mönchs von Lehnin — welcher Ort, beiläufig bemerkt, im Kreise Belzig des Regierungsbezirks Potsdam liegt, und nur noch die Ruinen der vom Markgraf Otto I. gegrün¬ deten Abtei „Himmelpfort am See" enthält, wo mehrere Nachkom¬ men Albrechts des Bären begraben liegen. Was nun aber die Zu¬ kunft betrifft, so ist besagte lateinische Prophezeiung nicht blos noch delphischer, wie hinsichtlich der Vergangenheit, sondern auch viel aben¬ teuerlicher und grausenerregender. Von nichts Geringerem handelt es sich darin, als von der Ermordung eines kinderlosen Fürsten. Und obwohl jeder einigermaßen scharfsinnige Kritiker leicht die Zeit nach¬ weisen könnte, in welcher dieses Opus im neunzehnten Jahrhundert favricirt worden, so hat es doch bei der für dergleichen mysteriöse Dinge empfänglichen Menge Eingang und Glauben gefunden, und Nichts ist nun natürlicher, als daß das Ereigniß vom 26. Juli mit dem Lehniner Mönchslatein in Verbindung gesetzt wird. Glücklicherweise hat jedoch der ehemalige Bürgermeister Thebens die schlechte Prophe¬ zeiung eben so schlecht ausgeführt; an einem Metallknopf auf des Königs Oberrock ist die mörderische Kugel abgeglitten, die ohne den¬ selben in die Brust, auf welcher sie nur eine Quetschung zurückließ, eingedrungen wäre. Von der Verwirrung, die hier entstanden sein würde, wenn des Mörders Absicht in Erfüllung ging, laßt sich kaum ein Begriff machen. Denn weder der präfumtive Thronfolger, noch irgend ein anderer der königlichen Prinzen ist hier anwesend, und nur das Staatsministerium, an dessen Spitze der allerdings sehr energische General von Boven — in Vertretung des Prinzen von Preußen — steht, hätte die Leitung des Staates unter diesen schwierigen Umstän¬ den übernehmen können. Jedermann freut sich, daß der Himmel die Waffe des Meuchelmords stumpf gemacht. Welcher politischen Ansicht auch die verschiedenen Parteien sein mögen, so ist doch der Abscheu vor der That eines im Hinterhalt lauernden Fieschi oder Alibaud in Deutschland noch viel größer und allgemeiner, als in Frankreich. Thebens bekennt sich dazu, nur aus Privatrache seine That vollführt zu haben; diese hat also mit dem Staate und der Gesellschaft durch¬ aus Nichts zu schaffen und steht ganz isolirt da. Hoffen wir daher auch, daß sie nicht der Anlaß sein werde, neue Beschränkungen einer¬ seits der Presse und andererseits der bürgerlichen Freiheit überhaupt aufzuerlegen. Nur der Unschuldige würde durch solche Maßregeln getroffen und die allgemeine Sicherheit würde dadurch nicht allein Nichts gewinnen, sondern auch um so mehr gefährdet werden. Dank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/293>, abgerufen am 01.07.2024.